Ein Mann bekämpft bei Santa Juana (Chile) mit einem Zweig einen Waldbrand

Waldbrände in Chile Eine selbstgemachte Katastrophe

Stand: 10.02.2023 06:27 Uhr

Chile kämpft regelmäßig mit Waldbränden, aber in diesem Jahr sind sie besonders groß. Das liegt nicht nur an Hitzewellen - es ist auch die Folge einer vor vielen Jahren getroffenen Fehlentscheidung.

Von Levin Schwarzkopf und Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro

Es musste schnell gehen am 5. Februar, als Neftali Nahuelqueo mit Nachbarn in den Wald ging, um die heftigen Brände zu bekämpfen. Mit Werkzeugen, Wasserkanistern und Verpflegung wollte er in der südchilenischen Gemeinde Tirúa eine Katastrophe verhindern.

Viele Nachbarhäuser waren bereits zerstört und die Flammen kamen Nahuelqueos Haus immer näher. Ohnmacht schwingt in seiner Stimme mit, als er von dem Einsatz berichtet: "Wir haben Feuerschneisen von einem Meter ausgehoben und mit Wasser begossen, damit das Feuer nur bis dorthin gelangt."

Dass Chile derzeit eine außergewöhnlich starke und tödliche Waldbrand-Saison erlebt, ist für Gemeinderat Nahuelqueo keine Überraschung: "In unserer Region gibt es fast keine traditionelle Forstwirtschaft mehr. Was es aber gibt, sind viele Kiefern- und Eukalyptuswälder. Die sind sozusagen Brandbeschleuniger."

Ein Gebiet größer als das Saarland zerstört

Zahlen des chilenischen Katastrophendienstes zeigen: Mehr als 300.000 Hektar Wald sind in kurzer Zeit verbrannt - ein etwas größeres Gebiet als das Saarland. 1180 Haushalte wurden vollkommen zerstört und 24 Menschen sind gestorben.

Schon lange wird in Chile über die Ursachen der Brände diskutiert, die jeden Sommer mit wechselnder Stärke wiederkehren.

Feuerwehrleute und Anwohner bekämpfen bei Santa Juana (Chile) einen Waldbrand.

Mit einfachsten Mitteln bekämpfen Feuerwehrleute und Anwohner die Waldbrände, doch gegen die Kombination aus Hitze, Wind und trockenes Holz kommen sie häufig nicht an.

Brandbeschleuniger Eukalyptus

Grund dafür sind in erster Linie Hitzewellen, die in Chile für extreme Temperaturen sorgen. Bricht dann ein Feuer aus, wirken die vorherrschenden Monokulturen wie Brandbeschleuniger, erklärt Andrés Meza. Er nennt die Situation "kritisch" - das habe diese Katastrophe einmal mehr bewiesen.

Der Forstingenieur ist Mitglied der "Agrupación de Ingenieros Forestales por el Bosque Nativo", einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den heimischen Wald einsetzt. Aus seiner Sicht beschleunigt der aus Australien stammende Eukalyptus-Baum die Brände, weil er viele Öle enthält und als regelrecht explosiv gilt.

Eukalyptus wurde vor mehr als 100 Jahren in Chile eingeführt. Heute dominiert diese Baumsorte die chilenische Forstwirtschaft in der Brandregion. Auf riesigen Plantagen wird sie in industriellem Maßstab angepflanzt. Laut Meza hält Eukalyptus weniger Feuchtigkeit als der durchmischte einheimische Wald.

Rauch steht über einem Waldgebiet aus Pinien und Eukalyptus-Bäumen bei Tome (Chile)

Große Monokulturen aus Pinien und Eukalyptus-Bäume - auch das begünstigt die rasche Ausbreitung von Waldbränden in Chile.

Schnell wachsendes Holz - auch für Deutschland

Die Eukalyptus-Monokulturen sind wichtig für die chilenische Wirtschaft. In Zentral- und Süd-Chile wurden viele Landstriche in den vergangenen Jahrzehnten zu Baumplantagen umgewandelt. Im Rahmen von Chiles neoliberalem Wirtschaftsmodell ließ Diktator Augusto Pinochet 1974, ein Jahr nach dem brutalen Militärputsch, das Dekret 701 verabschieden. Dadurch wurden schnell wachsende Plantagen von kalifornischen Monterey-Kiefern und Eukalyptus vom Staat subventioniert.

Umgesetzt wurde das Dekret von Julio Ponce Lerou, dem Leiter der Behörde für Wirtschaftsförderung und Schwiegersohn des Diktators. Davon profitierten vor allem zwei Konzerne: CMPC und Arauco. Sie dominieren seither den Markt.

Die Forstindustrie beschäftigt mehr als 110.000 Arbeitskräfte und hat 2022 Waren im Wert von knapp über sechs Milliarden US-Dollar exportiert - auch nach Deutschland. Die deutsche Papierindustrie bezieht nach eigenen Angaben rund fünf Prozent ihrer Zellstoffimporte aus Chile.

“Wir haben keine Zeit mehr.”

Forstingenieur Meza kennt die Bedeutung des Holz- und Zellstoff-Exports. Er stellt fest: "Es ist überhaupt nicht einfach, ein industrielles Wald-Modell zu verändern, das vor mehr als 50 Jahren etabliert wurde, und zu einem nachhaltigen Flächenmanagement zu kommen."

Dennoch dränge die Zeit: Chile verzeichnet in den letzten Jahren stetig steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit. Derzeit sind es 37 Grad in den Waldbrand-Regionen.

Meza sieht die nationale Politik in der Pflicht, die Planung der Waldflächen nicht allein dem Markt zu überlassen und eine nachhaltige, weniger feueranfällige Holzwirtschaft zu etablieren.

Hoffen auf eine neue Verfassung

Nachhaltige Veränderungen könnte es aber erst im Rahmen des chilenischen Verfassungsprozesses geben. Ein politisches Gremium soll noch in diesem Jahr ein neues Grundgesetz ausarbeiten, das die aktuelle Verfassung ablöst, die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammt.

Dabei werden Umweltschützer höhere Umweltstandards für die Forstwirtschaft und Vorrang für einheimische Baum-Sorten fordern.

Heimische Wälder, sagt Forstingenieur Meza, seien "diverser und behalten mehr Feuchtigkeit als die Eukalyptus-Plantagen, selbst unter widrigen Bedingungen". Deshalb seien sie weniger anfällig für die unkontrollierte Ausbreitung der Waldbrände.

Auch in Ländern in Europa - zum Beispiel in Portugal - sind Eukalyptus-Plantagen Teil des Wirtschaftsmodells, auch wenn dies die Wahrscheinlichkeit für Waldbrände erhöht. Ein Umlenken Chiles wäre auch ein Zeichen an die Forstwirtschaft und Politik in Europa.

In Chile müssen vorerst vor allem Anwohner die Feuer löschen, Verletzte versorgen und Häuser wieder aufbauen. So wie Neftali Nahuelqueo, der auch in den kommenden Tagen die Feuer auf eigene Faust bekämpfen will und sich damit selbst in Gefahr bringt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. Februar 2023 um 10:00 Uhr.