Ein kleiner Junge läuft in der somalischen Hauptstadt Mogadischu am Wrack eines Fahrzeugs vorbei.

Machtvakuum in Somalia Wahlen verzögert, Terror erstarkt

Stand: 25.02.2022 13:32 Uhr

Wegen politischer Streitigkeiten verzögern sich die Parlamentswahlen in Somalia inzwischen seit mehr als einem Jahr. Die Terrormiliz Al-Shabaab nutzt das Machtvakuum und verübt vermehrt Anschläge.

Von Caroline Hoffmann, Nairobi

Mit Blaulicht fährt der Krankenwagen in den Hof des kleinen Krankenhauses der Stadt Beledweyne in Zentral-Somalia. Unter freiem Himmel liegen viele Verwundete, notdürftig versorgt in Betten, umringt von ihren Angehörigen. Ein paar Stunden zuvor hatte sich am vergangenen Samstag ein Selbstmordattentäter der islamistischen Terrorgruppe Al-Shabaab in einem Restaurant in die Luft gesprengt. 13 Menschen wurden getötet und 18 verletzt. Einer von mehreren Angriffen der Miliz in den vergangenen Monaten. Die Islamisten nutzen das Machtvakuum, seit die politische Lage durch die immer wieder verschobenen Wahlen noch unsicherer geworden ist.

"Al-Shabaab bleibt die größte Bedrohung für die Sicherheit Somalias", erklärte James Swan, UN-Sonderbeauftragter für Somalia am 15. Februar vor dem Sicherheitsrat. "Die politische Spaltung und die anhaltende Verzögerung des Wahlprozesses haben es aufständischen Kräften ermöglicht, zuletzt einige Zugewinne zu machen." Seit mehr als einem Jahr waren die Wahlen in Somalia wegen politischer Streitigkeiten immer wieder verschoben worden. Die Sicherheitslage im instabilen Land hat sich dadurch weiter verschlechtert.

Endergebnis der Wahlen erneut verschoben

Mittlerweile hat der Wahlprozess begonnen und sollte am 25. Februar eigentlich abgeschlossen werden, doch er verzögert sich weiter. "Der Zeitplan wird nicht eingehalten", erklärt Omar Mahmood, Somalia-Analyst der International Crisis Group. "Erst rund 60 Prozent der Sitze sind gewählt worden. Es gibt einen Disput, wo Wahlen abgehalten werden können und wir sehen erhebliche Anzeichen für Wahlbetrug." Regierungsvertreter entschieden, die Frist für das Endergebnis der Wahlen auf den 15. März zu verschieben.

Seit 50 Jahren keine demokratischen Wahlen

In Somalia haben seit mehr als 50 Jahren keine allgemeinen, demokratischen Parlamentswahlen mehr stattgefunden. Nach einem Militärputsch gegen die demokratische Regierung 1969 war der Offizier Siad Barre bis 1991 an der Macht. Nach dem Fall seines Regimes brach ein Bürgerkrieg aus, durch den staatliche Strukturen zusammenbrachen.

In dem ostafrikanischen Land wählt nicht die Bevölkerung das Parlament und den Präsidenten, sondern es existiert ein kompliziertes indirektes Wahlsystem. Das Land am Horn von Afrika ist ein föderaler Staat. Das zentrale Parlament in Somalias Hauptstadt Mogadischu besteht aus zwei Kammern, dem Senat, dessen Mitglieder von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt werden, und dem Unterhaus. Somalische Clanführer nominieren mehr als 30.000 Delegierte. Diese wiederum wählen über Wahlleute die 275 Abgeordneten des Unterhauses. Am Ende dieses Prozesses wählt dann das Parlament den neuen somalischen Präsidenten. 

"Programm der politischen Versöhnung"

Politische Spannungen zwischen den Bundesstaaten und der Zentralregierung, aber auch zwischen dem weiterhin regierenden Präsidenten Mohamed Abdullahi Farmajo, dessen Amtszeit vor einem Jahr ablief, und Premierminister Mohamed Hussein Roble, hatten den Wahlprozess verzögert. Der Präsident warf dem Premier Korruption vor, der erklärte, Farmajo versuche den Wahlprozess zu sabotieren. Jetzt kandidiert Farmajo erneut, neben anderen Bewerbern, für das Amt des Präsidenten.

Sobald dieser neu gewählt sei, müsse er die Spaltung der Eliten endlich überwinden, so Omar Mahmood. "Die Zentralregierung in Mogadishu hat es versäumt Einigkeit herzustellen. Dieses Problem muss gelöst werden, denn sonst kann es keinen Fortschritt in Somalia geben. Es braucht ein sehr umfassendes Programm der politischen Versöhnung, um die Missstände zu bekämpfen, die sich durch den verzögerten Wahlprozess noch verschlimmert haben", sagt der Analyst. Dann müsse schnell die neue Verfassung verabschiedet, der Sicherheitsapparat reformiert und nach einer Lösung für den Umgang mit Al-Shabaab gesucht werden.

UN: "Humanitäre Situation bleibt düster"

Auch der internationale Druck steigt. Die von der Europäischen Union mit finanzierte AMISOM-Mission, die mit mehr als 19.000 Soldaten die Regierung im Kampf gegen die islamistische Terrorgruppe Al-Shabaab unterstützt, läuft Ende März aus. Schon lange herrscht Uneinigkeit zwischen allen Parteien, wie und ob sie fortgesetzt werden soll. Der internationale Währungsfonds kündigte an, bei erneuten Verzögerungen der Wahl seine Programme in Somalia auszusetzen. Hinzu kommt eine Dürre am Horn von Afrika, die im Land bereits jetzt mehr als vier Millionen Menschen bedroht.

"Die humanitäre Situation in Somalia bleibt sehr düster", so der UN-Sonderbeauftragte Snow vor dem Sicherheitsrat. "7,7 Millionen Somalis brauchen in diesem Jahr humanitäre Hilfe. Wenn der nächste Regen im April zum vierten Mal unterdurchschnittlich ausfällt, steht Somalia vor einer potentiellen humanitären Katastrophe." Viele Probleme, um die sich dringend eine stabile Regierung kümmern müsste.

Auf den Straßen der Hauptstadt hoffen die Passanten, dass der Prozess abgeschlossen wird, damit das Land bald einen Präsidenten bekommt und es endlich weiter vorwärts geht. "Erst muss der neue Präsident sich um Sicherheit, die Wirtschaft und Bildung kümmern", sagt Osman Ibrahim. "Und dann muss er es ermöglichen, dass die somalische Bevölkerung zukünftig in einer freien Wahl über politische Parteien ihre Anführer selbst bestimmt." Noch ist Somalia davon weit entfernt.

Caroline Hoffmann, Caroline Hoffmann, ARD Nairobi, 25.02.2022 13:26 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. Dezember 2021 um 05:23 Uhr.