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Zusammenhang mit Corona-Pandemie Pubertät beginnt immer früher

Stand: 21.02.2024 15:35 Uhr

Mädchen und Jungen kommen immer früher in die Pubertät. Die Forschung sieht Zusammenhänge vor allem mit der Ernährung, aber auch die Corona-Pandemie hat offenbar einen Anteil an der Entwicklung.

Dass die Pubertät immer früher einsetzt, darüber berichten Medizinerinnen und Mediziner schon seit Jahrzehnten. Die Corona-Pandemie hat diesen Effekt aber noch deutlich verstärkt. Bettina Gohlke von der Universitätskinderklinik Bonn sagt, in der Zeit der Pandemie "wurden 20 bis 30 Prozent mehr Fälle verfrühter Pubertät erfasst". Das Phänomen sei weltweit aufgefallen, entsprechende Daten gebe es aus Europa ebenso wie aus den USA und China. 

Möglicher Zusammenhang mit psychosozialer Belastung

Als verfrühte Pubertät, lateinisch "Pubertas praecox", wird die Entwicklung äußerer Sexualmerkmale bei Jungen vor dem vollendeten 9. und bei Mädchen vor dem vollendeten 8. Lebensjahr bezeichnet.

Kinderendokrinologin Gohlke hält einen Zusammenhang mit höherer psychosozialer Belastung in der Corona-Pandemie für möglich. Frühere Studien hätten ergeben, dass Kinder in solchen Situationen körperlich früher reiften. Diskutiert werde zudem ein Gewichtseffekt: Viele Kinder aßen in der Pandemie mehr beziehungsweise bewegten sich merklich weniger. Übergewicht gilt als einer der wichtigsten Faktoren für eine früh einsetzende Pubertät. "Aber auch, wenn das Gewicht herausgerechnet wurde, blieb ein Plus an Fällen von Pubertas praecox", sagt Gohlke. Wahrscheinlich gebe es mehrere Gründe, die zusammenspielen.

Biologisch setzt die Pubertät mit der vermehrten Produktion von Geschlechtshormonen ein, wie der Münchner Endokrinologe Günter Stalla erklärt. Bei Jungen vergrößern sich demnach in der Folge Hoden und Hodensack, gefolgt von einer Verlängerung des Penis. Scham- und Achselhaare wachsen. Bei Mädchen entwickeln sich die Brüste, kurz darauf beginnt die Scham- und Achselbehaarung zu wachsen, Jahre später folgt die erste Regelblutung.

Pubertät dauert immer länger

Daten eines Forschungsteams um Gohlke zufolge ist das durchschnittliche Alter bei Pubertätsbeginn bei Mädchen seit den 1970er-Jahren um etwa drei Monate pro Jahrzehnt gesunken. Bei Jungen sei die Entwicklung ähnlich. Das Alter am Pubertätsende hingegen verschob sich in den vergangenen 50 Jahren nicht - die Pubertät dauert also im Mittel länger als früher. Kaum verändert hat sich auch das durchschnittliche Alter der Mädchen bei der ersten Regelblutung.  

Für den Hamburger Endokrinologen Stephan Petersenn ist Übergewicht maßgeblich für die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte: Im Fettgewebe entstehe dann vermehrt der Botenstoff Leptin, der die Pubertät vorantreibe, so Petersenn. Je dicker ein Kind, desto früher entwickelt es sich also zum Erwachsenen. Das Einsetzen der Pubertät hänge also immer auch mit dem Lebensstandard in der Gesellschaft zusammen, so Petersenn.

Aktuell treffe eine verfrühte Pubertät Kinder aus sozial schwächeren Familien anteilig häufiger, weil sie öfter übergewichtig seien, sagt der Münchner Endokrinologe Stalla. "Gesundheit hängt von sozialem Status und Bildung ab, das zeigt sich auch hier."

Pubertät kann psychische Folgen haben

Vorzeitig pubertierende Kinder schießen also zunächst rascher in die Höhe. Neben solchen körperlichen Folgen kann es psychische geben, wie Petersenn sagt. Und das nicht nur deshalb, weil Kinder sich zum Beispiel für Brustwachstum oder Behaarung schämten: Mit einsetzender Pubertät veränderten sich auch die Art zu denken und die Gefühlswelt, was zu Problemen im Freundeskreis führen könne, erklärt Petersenn. "Man reift früher zu erwachsenem Denken heran."

Die verfrühte Pubertät lässt sich unterbrechen, nämlich durch das Spritzen synthetischer Botenstoffe, die die Produktion von Sexualhormonen stoppen, alle drei Monate.