US-Space Force-Abzeichen
interview

Verteidigung im Weltraum "Satelliten müssen geschützt werden"

Stand: 08.12.2023 06:25 Uhr

Mit einer Feierstunde auf der Air Base in Ramstein starten die USA die Arbeit des Weltraumstreitkräftekommandos für Europa und Afrika. Der ehemalige deutsche Astronaut Ulrich Walter erklärt die Bedeutung der militärischen Nutzung des Weltraums.

tagesschau.de: Als der ehemalige US-Präsident Donald Trump 2019 die Space Force gegründet hat, ist er vielfach belächelt worden. Wie wichtig sind heutzutage Weltraumstreitkräfte?

Ulrich Walter: Ich glaube, es kamen zwei Faktoren zusammen. Viele Kritiker - auch in Deutschland - haben nicht verstanden, dass Satelliten für unsere Gesellschaft inzwischen so wertvoll geworden sind, dass man sie schützen muss. Man hat gesagt: Da oben gibt es halt Satelliten, was soll‘s? Viele haben nicht verstanden, dass Satelliten geschützt werden müssen, auch im militärischen Bereich. Wenn Satelliten im All ausfallen, hat es Folgen auf der Erde. Außerdem war Trump der Bösewicht schlechthin, da passte es, dass er die Space Force gegründet hat.

Ulrich Walter
Ulrich Walter

Ulrich Walter gehörte von 1987 bis 1994 dem damaligen deutschen Astronautenteam an. Vom 26. April bis zum 6. Mai 1993 flog er mit der Raumfähre Columbia, arbeitete dabei im europäischen Raumlabor Spacelab und wurde damit zum fünften Deutschen im All. Seit 2003 ist er Professor für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München.

Bundeswehr schaut, ob Satelliten bedroht sind

tagesschau.de: In Deutschland gibt es neben den klassischen Operationsräumen Heer, Marine und Luftwaffe inzwischen auch den Weltraum sowie den Cyber- und Informationsraum. Wie überwachen die Militärs den Weltraum?

Walter: Die Bundeswehr schaut sich über Satelliten und Radar die sogenannte Weltraumlage an. Da geht es zum einen um das sogenannte Weltraumwetter. Wird es beispielsweise einen Sonnensturm geben, der unsere Satelliten gefährden kann? Und man schaut, ob Weltraumschrott unseren Satelliten gefährlich nah kommt. Dann würde man die Höhe der Satelliten ändern. Außerdem schaut man, ob unsere Satelliten von anderen bedroht werden, etwa von russischen Spionagesatelliten.

tagesschau.de: Die Bundeswehr hat auch acht eigene Satelliten. Ganz grundsätzlich: Wie können Satelliten bedroht werden?

Walter: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Nehmen wir einmal die Russen, sie verfügen über den sogenannten Luch-Satelliten. Er ist speziell gebaut, um andere Satelliten anzufliegen. Was er genau machen kann, ist nicht klar, ob er etwa Laserblendwerkzeuge hat. Laserblendung bedeutet: Man schickt einen Lasterstrahl auf einen Sensor eines gegnerischen Satelliten und setzt ihn so außer Kraft. Damit würde der Satellit "blind". Das wäre eine Möglichkeit.

Eine andere wäre der Einsatz von Hochfrequenzstrahlung, also klassische Radiowellen, aber sehr stark. Wenn man nahe genug an einem Satellit ist und ihn mit dieser HF-Strahlung zuballert, würde der Sensor ebenfalls kaputtgehen. Und dann gibt es auch noch die Möglichkeit, einen Satelliten mechanisch auszuschalten, also ihn abzuschießen. Das kann man auch vom Boden aus.

Zu Testzwecken eigene Satelliten abgeschossen

tagesschau.de: Mehrere Staaten haben bereits sogenannte Antisatellitentests durchgeführt und zu Testzwecken und zur Abschreckung ihre eigenen Satelliten abgeschossen. Das könnte man also auch mit gegnerischen Satelliten machen?

Walter: Genau. Es gibt spezielle Raketen, die vom Boden abgefeuert in den Weltraum fliegen und dort Satelliten abschießen. Inzwischen haben die USA, China, Indien und Russland solche Antisatellitentests durchgeführt.

tagesschau.de: Wie würden Weltraumstreitkräfte auf einen gegnerischen Antisatellitentest reagieren?

Walter: Das Ganze ist ein zweistufiger Prozess. Die erste Stufe beginnt im geostationären Orbit, also ganz weit weg. Dort gibt es etwa Infrarotsatelliten der Amerikaner und die machen nichts anderes als zu schauen: Wo ist eine starke Infrarotquelle? Und eine starke Infrarotquelle ist eine Rakete, die gerade startet. Damit kann man also die ganze Erde "abtasten". Die US-Satelliten schauen insbesondere auf Nordkorea. Und wenn nun eine Rakete startet, dann wird das an eine Bodenstation gemeldet. Dort übernimmt das Bodenradar und trackt die Rakete. Dadurch lässt sich die Bahn der Rakete bestimmen. Und mit diesen Daten könnte man dann eine Abfangrakete starten.

Hyperschallraketen können konventionell kaum abgefangen werden

tagesschau.de: Müssen wir befürchten, dass in Zukunft auch Waffen im Weltraum stationiert werden, die auf die Erde zielen?

Walter: Aus dem Weltraum eine Bombe auf die Erde werfen, wäre mit immensem Aufwand verbunden. Außerdem könnte man Ziele nicht präzise ansteuern. Da wäre es einfacher, eine Cruise Missile von der Erde zu starten. Inzwischen gibt es sogenannte "Hyper Velocity"-Waffen, also Hyperschallraketen. Die würden vom Boden starten, in den Weltraum fliegen und dann mit hoher Geschwindigkeit wieder auf die Erde stürzen. Wenn diese Waffen vom Weltraum wieder in die Erdatmosphäre eintreten, haben sie eine bis zu fünfzehnfache Schallgeschwindigkeit und wären zu schnell für klassische Abfangraketen.

tagesschau.de: Könnte man von Satelliten mit Laserstrahlen auf die Erde zielen?

Walter: Das könnte man, aber es macht wenig Sinn. Wenn man einen Laserstrahl von einem Satelliten aus dem All auf die Erde schießen würde, hätte man keine hohe Trefferwahrscheinlichkeit. Die Atmosphäre beugt Lichtstrahlen, der Strahl würde seitlich abgelenkt. Die Stärke der Beugung hängt von vielen Faktoren ab, etwa von der Luftfeuchtigkeit und der Lufttemperatur. Das kann man aus dem Weltraum nicht genau bestimmen. Mit Laserstrahlen könnte man Satelliten im Weltraum nur von anderen Satelliten aus angreifen. Aufgrund der fehlenden Atmosphäre geht der Laserstrahl geradeaus. So würden die heutigen sogenannten Killersatelliten arbeiten, die es schon gibt.

tagesschau.de: Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine spielen die Starlink-Satelliten von Elon Musk eine wichtige Rolle. Was bringen sie?

Walter: Die Satelliten von Elon Musk ermöglichen der Ukraine Informationsübertragung in Echtzeit. Heute arbeitet die Artillerie anders als früher. Früher hat man sich in großer Entfernung in Stellung gebracht, mit einer Kanone geschossen, geschaut, wie weit man daneben lag, korrigiert und nochmals geschossen. Das dauert und man läuft daher Gefahr, selbst angegriffen zu werden.

Inzwischen sind die Artillerieeinheiten höchst mobil und präziser. Sie werden in kürzerer Entfernung aufgestellt, Aufklärungsdrohnen steigen auf und lokalisieren genau, wo der Feind ist. Und hier kommen die Satelliten von Elon Musk ins Spiel. Die Drohnen übertragen die Positionsdaten über Starlink an eine Zentrale. Die werden an die aktuellen Artilleriestellungen verteilt. Es wird sofort gefeuert und mit heutigen Präzisionsgeschossen auf zehn Meter genau getroffen. Das dauert Sekunden bis maximal Minuten und danach verlegt die Artillerie sofort ihre Stellung.

"Notwendig ist ein flexibles Netzwerk"

tagesschau.de: Wird es in Zukunft statt einzelner Aufklärungssatelliten Satellitennetzwerke geben, die militärisch genutzt werden und zu Tausenden im niedrigen Erdorbit fliegen? Beim aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hamas etwa spielt Starlink ja keine Rolle.

Walter: Das stimmt. Wenn ich die Koordinaten eines unbeweglichen Ziels genau weiß, dann brauche ich Satelliten wie Starlink nicht. Ich gebe die Zielkoordinaten in ein GPS-System der Waffe ein und die fliegt damit das Ziel an. Wenn sich das Ziel aber ständig ändert, wie zum Beispiel russische Panzer oder Schiffe, dann brauche ich die sich ändernden Zielpositionen in Echtzeit, dafür braucht man Kommunikationssatellitensysteme wie Starlink.

Meistens sind militärische Satelliten aber immer noch einzelne Überwachungssatelliten. Deutschland benutzt dazu Radarsatelliten, weil man mit optischen Satelliten nur tagsüber und nicht durch Wolken sehen kann. Aber mit Radar schon und das auch nachts. Übertragung in Echtzeit ist tatsächlich durch den Ukraine-Krieg zum Thema geworden.

Die Militärs haben begriffen: Aufklärung ist das eine, aber in Echtzeit auf Bewegungen reagieren können, dafür brauche ich ein flexibles Informationssystem, also ein Netzwerk von Informationsübertragungssatelliten. Solche Netzwerke sind auch weniger angreifbar, denn wenn davon ein Satellit ausfällt, werden die Informationen über andere Knotenpunkte weitergleitet, wie beim Internet.

tagesschau.de: Ist zu befürchten, dass in Zukunft wie in James Bond-Filmen Bösewichte Satellitensysteme an den Start bringen?

Walter: Ein System wie Starlink zu bauen, ist ein extrem großer Aufwand. Das können sich wirklich nur Nationen leisten, die ein großes militärisches Budget haben oder Privatleute, die richtig viel Geld haben, also Elon Musk oder Jeff Bezos. Und China baut ein eigenes System auf. Auch Europa möchte ein System aufbauen, aber das dauert noch.

Das Gespräch führte Ute Spangenberger, SWR.