Koralle im Great Barrier Reef

Lebewesen im Riff Korallenkur aus Hessen

Stand: 17.08.2023 06:00 Uhr

Die steigenden Meerestemperaturen bedrohen Riffe rund um den Globus. Forscherinnen und Forscher aus Hessen versuchen, die Ökosysteme wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Von Stephan Hübner, hr

Die Nachrichten erreichen uns vor allem aus dem Golf von Mexiko: Das Meer dort hat an seiner Oberfläche Badewannentemperatur und ist durchschnittlich zwei bis drei Grad wärmer als sonst um diese Jahreszeit.  

"Wir haben eine marine Hitzewelle, die dazu führt, dass Korallen bleichen. Das bedeutet, dass sie ihre symbiotischen Algen verlieren", erklärt die Biologin Maren Ziegler aus der Arbeitsgruppe "Spezielle Zoologie und Biodiversitätsforschung" an der Universität Gießen.

Die Algen, von denen sie spricht, sind jene Einzeller, die als "Untermieter" im Körper der Steinkorallen leben. Zusammen bilden Algen und Korallen eine Symbiose, eine Lebensgemeinschaft zu beiderseitigem Vorteil: Die Korallen bieten den Algen unter anderem Schutz. Die Algen geben den Korallen Zucker ab, der bei der Fotosynthese entsteht.

Im hessischen Korallen-Hospital

Ist das Meer über einen langen Zeitraum zu warm, produzieren die Algen Giftstoffe und werden von den Korallen abgestoßen. Die Korallen bleichen aus, denn die Algen verleihen ihnen auch eine Farbigkeit. Bis zu acht Wochen überleben robuste Steinkorallen ohne Algen. Können sie in dieser Zeit keine neue Symbiose eingehen, sterben sie. Das führt zu irreparablen Schäden des Ökosystems Riff.  

Dagegen will Ziegler etwas tun: "Wir bringen gezielt Algenkulturen mit gebleichten Korallen in Kontakt." Ihr Forschungsteam beobachtet dann, unter welchen Bedingungen neue Symbiosen entstehen. Das Labor mit seinen raumhohen Aquarien-Regalen sieht aus wie ein Korallen-Hospital. Aber genau darum geht es hier: Herauszufinden, wie sich hitzegeschädigte Korallen heilen lassen. Eine zweite Frage, die untersucht wird, ist: Welche Art von Nahrung hilft der geschädigten Koralle am besten?

Was sind Korallen?

Korallen sind Tiere. Ihre nächsten Verwandten sind die Quallen und Seeanemonen. Sie ernähren sich von kleinsten Meereslebewesen, dem Plankton. Bei den sogenannten Steinkorallen kommen noch Zucker hinzu, die Algen im Körper der Korallen produzieren.

Speziell diese Steinkorallen werden auch als die "Architekten der Ozeane" bezeichnet. Mit den von ihnen selbst hergestellten Kalkskeletten bilden sie - neben einigen wenigen anderen Korallenarten - eine wichtige Grundlage dafür, dass Korallenriffe entstehen können. Korallenriffe gehören neben tropischen Regenwäldern zu den artenreichsten und ältesten Ökosystemen unseres Planeten. Viele unterschiedliche Meeresbewohner, vom kleinen Krebs, der im Sand lebt, über spektakulär bunte Fische und gut getarnte Kraken bis hin zu großen Räubern wie Haien, sind auf intakte Korallenriffe angewiesen. 

Uns Menschen leisten Korallen aber auch wichtige Dienste: Sie schützen zum Beispiel Küstengebiete vor Naturgewalten. Steinkorallen speichern in ihren Kalkskeletten CO2, das sonst die Erwärmung der Atmosphäre begünstigen würde. In anderen Korallen wurden chemische Substanzen entdeckt, die gegen Malaria oder HIV helfen könnten. Der Erhalt der Riffe ist für Tiere und Menschen von existenzieller Bedeutung.

Wo Korallen trotz Klimawandels leben können

Am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main hat die Arbeitsgruppe der Meeresforscherin Angelika Brandt ihre Computer mit Verbreitungsdaten von 57 riffbewohnenden Organismen-Gruppen von Koralle bis Fisch gefüttert. Diese Daten wurden mit Klimaszenarien aus dem aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC verrechnet. "Man kann so eine Idee davon bekommen, wo es sinnvoll ist, Korallen zu helfen oder sie neu anzusiedeln, damit sie trotz Klimawandel weiter existieren können." Denn die Bedrohung der Korallen durch Hitze ist nicht nur ein Problem im Golf von Mexiko, sondern überall, wo sogenannte Warmwasserkorallen leben. 

90 Prozent der Rifftiere sind nicht überlebensfähig

Auf Basis der Analysen haben Brandt und ihr Team festgestellt, wo es künftig überhaupt noch Riffe, wie wir sie kennen, geben kann. Nur dort würden Schutzmaßnahmen sinnvoll sein. Doch diese Stellen sind rar. Infolge des Klimawandels seien 90 Prozent der untersuchten Riffbewohner in ihren derzeitigen Verbreitungsgebieten nicht überlebensfähig, fürchtet Brandt: "Die zentrale Aussage ist, dass sich die Korallenriffgemeinschaften sehr stark verändern werden."

Einerseits rechnet sie mit Massensterben in warmen Meeren, im Indo-Pazifik etwa, in der Karibik und vor Australien. Andererseits erwartet Brandt, dass sich die Verbreitungsgebiete anderer Arten verlagern. Und: In den nördlichen, gemäßigten Breiten könnten sich die Arten der wenig bekannten Kaltwasser-Korallenriffe weiter ausbreiten.

Korallenschutz ist Menschenschutz

Korallenriffe vor Skandinavien also? Für Brandt ist das nicht unwahrscheinlich. Doch so charmant zumindest diese Vision klingt: "Jedes Ungleichgewicht in den Populationen der Korallenriffe wirkt sich auch auf die Produktivität dieser Ökosysteme aus", gibt die Forscherin zu bedenken, und sie fürchtet einen Domino-Effekt mit unvorhersehbaren negativen Folgen für die Bewohnerinnen und Bewohner vieler Küstengebiete.

"Entscheiderinnen und Entscheider sollten unsere Ergebnisse nutzen, um die biologische Vielfalt zu schützen und das menschliche Wohlergehen in den betroffenen Ländern und Regionen zu erhalten." Dazu sei es nötig, die Hauptursache all dieser Veränderungen zu stoppen, und das ist für die Meeresforscherin der Klimawandel.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die hessenschau im HR-Fernsehen am 07. August 2023 um 16:45 Uhr.