Blick auf den Kreml in Moskau.
Analyse

Folgen für die Wirtschaft Wie die Russland-Sanktionen wirken

Stand: 22.02.2023 06:21 Uhr

Der Kreml frohlockt, ein Kollaps der russischen Wirtschaft sei ausgeblieben, trotz massiver Sanktionen des Westens. Experten zufolge greifen die Strafmaßnahmen durchaus - auch wenn sie ihr Ziel bislang nicht erreicht haben.

Eine Analyse von Frank Aischmann, MDR

Gegen kein Land der Erde sind derzeit so viele Sanktionen in Kraft wie gegen Russland: Gut 2500 waren es bereits vor Kriegsbeginn, im Jahr danach kamen noch einmal mehr als 11.000 hinzu. Verhängt wurden sie unter anderem von der Europäischen Union, den G7-Staaten, Australien und der Schweiz. Gegen einzelne Personen, Wirtschaftszweige oder das Land, akribisch beobachtet zum Beispiel von der Online-Plattform Castellum.AI. 

Mehr als Tausend ausländische Unternehmen haben Russland binnen eines Jahres verlassen. Ihnen rief Präsident Wladimir Putin vor einigen Tagen hinterher: "Alles Gute! Sie verlieren unseren Markt, werden enorme Verluste erleiden. Es ist ihre Entscheidung." Wenn jemand glaube, dass "alles bei uns zusammenbrechen und auseinanderfallen wird - nein: Nichts ist zusammengebrochen oder auseinandergefallen".

"Liste der Schande"

In Russland hergestellte Waren, Dienstleistungen und Produkte sollten "zum Gegenstand unseres nationalen Stolzes" werden, so Putin. "Diese Waren und Dienstleistungen sollten nicht nur auf dem Binnenmarkt erfolgreich sein, sondern natürlich auch auf internationalen Märkten."

Von einem kompletten Rückzug westlicher Firmen aus Russland kann indes nicht die Rede sein. Eine "Liste der Schande", herausgegeben vom Ökonomieprofessor Jeffrey Sonnenfeld von der Yale-Universität, listet auf, welche Unternehmen gingen, pausieren oder weiter in Russland aktiv sind.

Tourismus-Zahlen eingebrochen

In der russischen Hauptstadt zum Beispiel sind die westlichen Sanktionen auf den ersten Blick für Touristen nicht zu erkennen, die Logos vieler westlicher Ketten wurden abgelöst von recht ähnlichen - nunmehr heimischen.

Wobei Tourismus auch ein Problem ist: Die Zahl der ausländischen Besucher brach um 96 Prozent ein. Statt fünf Millionen im Vor-Corona-Jahr kamen im vergangenen Jahr wegen der Sanktionen - und erschwerend wegen der strikten Corona-Beschränkungen Chinas - nur noch 200.000 Besucher, so die offiziellen Zahlen des russischen Tourismus-Verbands.

Beim Blick auf die immer wieder verlängerte EU-Sanktionsliste finden sich Maschinen und Fahrzeuge, Luxusgüter und Waffen, Hochtechnologie, Ausrüstung für Luft- und Raumfahrt oder Erdölförderung. Auch Wirtschaftsprüfung, IT- und Steuerberatung oder auch Werbung sind tabu.

Der europäische Luftraum ist geschlossen für russische Airlines, die Straßen für die meisten russischen und belarusischen Speditionen. Die Zentralbank und die meisten Geschäftsbanken sind vom internationalen Zahlungsverkehr abgeklemmt.

Technik für den Energiesektor fehlt

Im vergangenen Sommer berichtete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit diesem seltsam klingenden Beispiel, wie erfolgreich die Sanktionen inzwischen seien: "Das russische Militär nimmt Computerchips aus Spülmaschinen und Kühlschränken und baut sie in Kriegsgeräte ein, weil es keine Halbleiter mehr gibt."

Die Sanktionen greifen langsam - aber sie greifen, sagt der Russland-Experte Eric Woydte vom Düsseldorfer Civic-Institut: "Wir sehen das im Energiesektor, in dem aktuelle Öl- und Gasfelder langsam erschöpft sind, neue Felder aber nur schwer erschlossen werden können, weil aufgrund der Sanktionen die Technik fehlt. Russland ist da sehr abhängig."

Ein weiteres Beispiel sei die Autoindustrie. "Komponenten wie ABS oder Airbags sind nicht mehr verfügbar. Das heißt zum Beispiel, dass Russland die Standards senkt, es wird überlegt, auf die Euro-2-Norm zurückzugehen, die in Deutschland in den 1990er-Jahren galt."

Hohes Minus im Staatshaushalt

Um fast 70 Prozent brach die Autoproduktion im vergangenen Jahr in Russland ein, auf ein historisches Tief. Auch die mehrfach verschärften Erdölsanktionen scheinen zu funktionieren: 23 Milliarden Euro Minus musste der russische Staatshaushalt im Januar hinnehmen, Goldreserven wurden verkauft. 

Dennoch: Die russische Wirtschaft erwies sich als robuster als zu Beginn der Sanktionen erwartet. Wie erfolgreich waren sie also? Russland-Experte Woydte hält sie für bislang nicht sehr erfolgreich. "Sie haben für erhebliche Wohlstandsverluste in der Bevölkerung gesorgt, während sich die Oberschicht, die Oligarchen, die Reichen auch jetzt westliche Produkte leisten können. Sie finden Reisemöglichkeiten, wenn sie nicht auf Sanktionslisten stehen, obwohl es auch hier viele Ausnahmen gibt."

Auch sei die russische Regierung offensichtlich nicht gewillt, ihren Kurs zu ändern. "Putin lässt sich aktuell nicht beirren von den Sanktionen", meint Woydte. Aus westlicher Sicht hätten die Sanktionen daher "noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht": das Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Frank Aischmann, Frank Aischmann, MDR, 21.02.2023 12:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. Februar 2023 um 17:05 Uhr.