Fahnen hängen vor der Börse an der New Yorker Wall Street.

Zinsen als Indikator Rutschen die USA in die Rezession?

Stand: 30.03.2022 13:24 Uhr

In den USA sendet der Markt für Staatsanleihen ein Alarmzeichen: Dort ist jetzt ein verlässlicher Vorbote einer Rezession aufgetaucht. Doch wie steht es wirklich um die US-Wirtschaft?

Von Angela Göpfert, tagesschau.de

Die Wall Street ist in Aufruhr. Gestern überstieg erstmals seit zweieinhalb Jahren die Rendite der zweijährigen US-Staatsanleihen diejenige der zehnjährigen. Die kürzer laufenden Bonds rentierten bei 2,453 Prozent und die länger laufenden bei 2,398 Prozent. Das mag wenig spektakulär klingen, doch nicht wenige Experten sehen in dieser "verkehrten Zinswelt" ein negatives Signal für die größte Volkswirtschaft der Welt. Denn normal ist diese Entwicklung nicht.

Händler und Ökonomen sind beunruhigt

Im Regelfall werfen langlaufende Zinspapiere vielmehr eine höhere Rendite ab als Kurzläufer. Schließlich gehen Anleger, die sich länger binden, auch höhere Risiken ein, für die sie mit höheren Zinsen entlohnt werden. Das spiegelt sich in einer steigenden Zinsstrukturkurve wider.

Steigen hingegen die Zinsen für Anleihen mit kurzer Laufzeit über die langfristigen Sätze, so ist das ein äußerst ungewöhnliches Muster - ein seltenes Phänomen, das Händler wie Ökonomen gleichermaßen beunruhigt. Die Zinsstrukturkurve ist dann negativ oder invers - diese Ausprägung gilt als Vorbote einer Rezession.

Die Statistik spricht für eine Rezession

Tatsächlich hat sich der Bondmarkt als verlässlicher Frühindikator für eine Konjunkturflaute erwiesen: Laut einer Studie der Federal Reserve Bank von San Francisco ging bis auf eine Ausnahme jedem wirtschaftlichen Abschwung in den USA seit 1955 eine inverse Renditekurve voraus.

Dabei betrage die durchschnittliche Vorlaufzeit zehn Monate - mindestens fünf, maximal 16 Monate, betont Robert Rethfeld, Marktexperte von Wellenreiter-Invest. Eine US-Rezession würde also möglicherweise bereits im September, spätestens aber im Verlauf des kommenden Jahres eintreten, so Rethfeld.

Würgt die Fed die Konjunktur ab?

Doch droht der US-Wirtschaft wirklich solches Ungemach? Oder sendet die inverse Zinskurve diesmal ein Fehlsignal? Fakt ist: Normalerweise treten inverse Zinskurven erst spät gegen Ende eines Zinserhöhungszyklus durch die US-Notenbank auf. Doch aktuell befindet sich die Fed erst ganz am Anfang ihres Zinserhöhungszyklus. Im März hatten die Währungshüter um Fed-Chef Jerome Powell erstmals seit 2018 den Leitzins auf nunmehr 0,25 bis 0,5 Prozent angehoben.

Angesichts einer Inflationsrate, die im Februar auf ein 40-Jahreshoch von 7,9 Prozent gestiegen war, besteht das womöglich größte Risiko für die US-Wirtschaft nun darin, dass die Fed mit der Zinswende zu lange gewartet haben könnte. Sollten die Notenbanker zu der Überzeugung gelangen, dass der rasante Anstieg der Verbraucherpreise noch raschere und aggressivere Schritte erfordert als bislang erwartet, wächst die Gefahr, dass die Fed die laufende Konjunkturerholung abwürgt und so eine Rezession auslöst.

Starker Arbeitsmarkt als Risikofaktor?

Vor diesem Hintergrund ist auch die starke Verfassung des US-Arbeitsmarkts nicht uneingeschränkt positiv zu sehen. Laut einer Reuters-Umfrage unter Ökonomen dürfte die Arbeitslosenrate im März auf 3,7 Prozent gefallen sein und damit nur noch 0,2 Prozentpunkte oberhalb ihres Vor-Corona-Stands rangieren.

Laut einer Studie des Conference Boards sagen aktuell gerade einmal 9,8 Prozent der US-Amerikaner, es sei "schwer", einen Job zu bekommen - so wenige wie seit fast 22 Jahren nicht mehr. Ein Rekordanteil von 57,2 Prozent ist der Ansicht, Jobs seien "reichlich" vorhanden. Der starke Arbeitsmarkt birgt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale, welche die Inflationsrate noch weiter in die Höhe schneller lassen und noch drastischere Zinsschritte der Fed erfordern würde.

Höhere Hypotheken- und Kreditzinsen als Folge

Doch selbst wenn eine Rezession ausbleiben sollte, bringt eine "verkehrte Zinswelt" genügend andere Probleme mit sich. Der Grund liegt im Finanzsystem: Bei einer steilen Zinskurve können sich Banken kurzfristig günstig Geld leihen, um es zu leicht höheren Zinsen als Kredit an Unternehmen und Privatkunden zu verleihen.

Bei einer flachen oder inversen Zinskurve funktioniert diese Art von Geschäft hingegen schlecht bis gar nicht. Die Gewinnmarge der Banken wird geringer. Banken heben daher in einer solchen Situation üblicherweise die Zinsen für Kreditkartenschulden, Verbraucherkredite und kleinere Unternehmenskredite an. Auch die Hypothekenzinsen steigen. So kommt die inverse Renditekurve in der Realwirtschaft an.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. März 2022 um 14:00 Uhr.