
Ukraine-Krieg Millionen Tonnen Getreide stecken fest
Trotz des Krieges könnten große Mengen Getreide aus der Ukraine exportiert werden. Doch laut UN fehlt derzeit die Infrastruktur, wichtige Häfen sind blockiert. Außerdem sollen russische Truppen Getreide gestohlen haben.
In der Ukraine stecken nach Angaben der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) knapp 25 Millionen Tonnen Getreide fest. Der stellvertretende FAO-Direktor der Abteilung Märkte und Handel, Josef Schmidhuber, sprach bei einer Pressekonferenz in Genf von einer "nahezu grotesken Situation".
Die Getreidemenge könne eigentlich exportiert werde, "kann aber das Land nicht verlassen, einfach wegen der fehlenden Infrastruktur und der Blockade der Häfen".
Ukraine will Exporte wieder ausbauen
Die Ukraine will nun ihre Exportkapazitäten durch den Ausbau von Anlagen an ihrer Westgrenze steigern. Das Vorkriegsniveau werde aber dennoch in weiter Ferne bleiben, sagte der stellvertretende Infrastrukturminister Juri Waskow. Über die Seehäfen seien ursprünglich 75 Prozent des ukrainischen Außenhandels abgewickelt worden, doch seien sie wegen der russischen Invasion inzwischen geschlossen. "Die Westgrenzen und die Donauhäfen sind heute die einzige Möglichkeit, zu exportieren und zu importieren", sagte Waskow. "Wir haben das Handelsvolumen über die Donauhäfen bereits vervierfacht."
Allein im letzten April seien 3,5 Millionen Tonnen Fracht über die westlichen Grenzen auf der Schiene transportiert worden. Der nationale Eisenbahnbetreiber haben dafür Grenzterminals entwickelt. "All dies dürfte dazu führen, dass die Kapazität der Westgrenze in den nächsten Monaten um 50 Prozent zunehmen wird", so Waskow.
Tausende Tonnen Getreide verschwunden
Nach Angaben der FAO sind in der Ukraine rund 700.000 Tonnen Getreide verschwunden. Schmidhuber geht davon aus, dass russische Streitkräfte Getreide in ihre Heimat brachten. Dafür gebe es "anekdotische Beweise". Es gebe Videos in den sozialen Medien, die die Diebstähle nahelegten, und er halte diese Videos für glaubwürdig, sagte Schmidhuber. Ebenso gebe es glaubhafte Berichte, dass russische Streitkräfte Agrargeräte gestohlen und Lagerhäuser zerstört haben.
Seinen Angaben nach sind bereits 50 Prozent der Sommerkulturen angepflanzt. Insgesamt dürften es in diesem Jahr immerhin 70 Prozent der sonst üblichen Menge werden. Die Unsicherheit bei allen Prognosen sei aber wegen der Kriegshandlungen groß, so Schmidhuber.
Weizenernte könnte um 35 Prozent einbrechen
Nach Einschätzungen der französischen Datenanalysefirma Karryos könnte die Weizenernte in der Ukraine in diesem Jahr um rund ein Drittel (35 Prozent) niedriger ausfallen als im vergangenen Jahr. Die Firma geht von einer Produktion von 21 Millionen Tonnen Weizen aus - zwölf Millionen Tonnen weniger als 2021 und 23 Prozent weniger als der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Da die Kämpfe anhielten und sich ein Großteil der Produktion im stark umkämpften Osten der Ukraine befinde, dürfte der tatsächliche Ertrag letztlich noch geringer sein als es die derzeitige Beobachtung nahelege, warnte die Analysefirma.
Das Unternehmen wertet Satellitenbilder der NASA aus und kann damit den Stand der Felder bestimmen. Die Daten stammen aus dem Zeitraum vom 14. bis zum 22. April - rund zwei Monate nach dem Beginn des Kriegs. Die ukrainische Regierung geht davon aus, dass die Ukraine die Hälfte ihrer gesamten Ernte wegen des Kriegs einbüßen könnte.
Die Ukraine gilt wegen ihrer fruchtbaren Böden als Kornkammer Europas. Vor dem Krieg war das Land der weltweit viertgrößte Exporteur von Mais und auf dem besten Weg, der drittgrößte Exporteur von Weizen zu werden. Das Land trug zwölf Prozent zu den weltweiten Weizen-Exporten bei.
Angesichts von Nahrungsmittel-Engpässen wegen des Ukraine-Kriegs will UN-Generalsekretär António Guterres das Land zurück an den Weltmarkt bringen. "Eine sinnvolle Lösung für die globale Ernährungsunsicherheit erfordert die Wiedereingliederung der landwirtschaftlichen Produktion der Ukraine und der Lebensmittel- und Düngemittelproduktion Russlands und Belarus' in die Weltmärkte trotz des Kriegs", sagte Guterres am Donnerstag in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats.