Hinter einem Tanklager ragt die so genannte Fackel der Total-Raffinerie in Leuna, Sachsen-Anhalt in die Höhe.
Analyse

Stopp von Energie-Lieferungen Erst ein Ölembargo träfe Russland hart

Stand: 08.04.2022 08:26 Uhr

Die EU-Kommission plant einen Importstopp russischer Kohle. Als nächstes könnte auch Öl mit Sanktionen belegt werden. Doch nicht nur Russland dürfte unter den Folgen leiden.

Eine Analyse von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Nun kommt es also, das Energieembargo gegen Russland. Die EU-Staaten haben einen Einfuhrstopp russischer Kohle beschlossen. Es ist ein erster Schritt der Europäischen Union, die aus Russland importierte Energie mit Sanktionen zu belegen. "Bislang hat die EU die aus Russland importierte Energie nicht angetastet", sagt Janis Kluge, Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Gespräch mit tagesschau.de. Das Kohle-Embargo zeige, dass die Europäer bereit seien, "auch über die Energieträger das russische Regime zu treffen".

Zwar sei die Sanktion zunächst eher ein symbolischer Akt, so Kluge: "Kohle ist als Exportgut für Russland im Grunde völlig unbedeutend, und auch die EU als Abnehmer spielt für Russland eine untergeordnete Rolle." Im vergangenen Jahr exportierte das Land Kohle im Wert von etwa vier Milliarden Euro in die EU. Das entspricht laut Kluge etwa einem Viertel der gesamten Kohleexporte von Russland, der überwiegende Teil der Ausfuhren geht in asiatische Länder wie Japan und Südkorea.

Folgt das Öl-Embargo?

Doch scheinen mit diesem Vorstoß die generellen Vorbehalte gegen ein Energieembargo zu schwinden. Denn schon sind öffentlich mögliche weitere Maßnahmen diskutiert worden. So rechnet EU-Ratspräsident Charles Michel damit, dass als nächster Schritt ein Importstopp von Öl aus Russland in die Europäische Union folgen könnte. Und auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte klar, dass weitere Sanktionen vorbereitet würden.

"Bislang waren die Energieimporte aus Russland die offene Flanke der EU-Sanktionen, die dem russischen Staat weiter eine Handlungsfähigkeit erlaubten", sagt Kluge. Sollten die Mitgliedsländer nun noch einen Schritt weiter gehen und zusätzlich zu einem Importstopp russischer Kohle auch ein Embargo für russisches Öl beschließen, würde das den Staat nach Ansicht des Experten hart treffen: "Vergleichen mit den Einnahmen, die der russische Staat aus Öllieferungen in die EU generiert, sind die Gelder aus der Kohle 'Peanuts'."

Denn Russland habe durch die Öllieferungen in der Vergangenheit einen Großteil seiner Einnahmen aus Energieexporten generiert: "Und fast drei Viertel dieser Einnahmen kamen aus der EU. Sanktioniert die EU russisches Öl, dann könnte das die Handlungsfähigkeit des russischen Staates spürbar einschränken, weil die Einnahmen um rund ein Drittel sinken würden", schätzt der Russland-Experte. Es wäre seiner Ansicht nach für die EU ein effektiver Weg, um die russische Kriegsmaschinerie finanziell entscheidend zu schwächen.

"Embargo für russische Kohle verkraftbar"

Für Deutschland hätten die Sanktionen unterschiedliche Folgen: Die Bundesrepublik importierte im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt Kohle im Wert von rund 2,2 Milliarden Euro aus Russland. Das entspricht zwar mehr als 50 Prozent der gesamten Einfuhren von Steinkohle nach Deutschland. Allerdings dürften sich diese Importe kompensieren lassen, schätzt Karen Pittel, die das ifo-Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen leitet, auf Anfrage von tagesschau.de: "In der Stromerzeugung könnte Steinkohle primär durch Braunkohle ersetzt werden, was wiederum kurzfristig Mengen verfügbar machen würde, um den Bedarf an Steinkohle in der Industrie zu decken." Darum würden die direkten Auswirkungen ihrer Meinung nach gering ausfallen: "Schauen wir uns die bisher bekannten Eckdaten an - bestehende Kohlevorräte, Möglichkeiten für den Ersatz der russischen Importe - dann erscheint ein Embargo für russische Kohle verkraftbar."

Auch beim Verein der Kohleimporteure bleibt man gelassen: "Schon seit Herbst letzten Jahres kam es bei russischer Kohle zu Lieferengpässen. Seitdem suchen Handel und Verbraucher nach Alternativen. Es gibt einen gut funktionierenden Weltmarkt mit etwa einer Milliarde Tonnen Steinkohle", sagte Alexander Bethe, Vorstandsvorsitzender des Vereins der Kohlenimporteure e.V. Er rechnet damit, dass man schon im kommenden Winter nicht mehr auf russische Kohle angewiesen sein wird: "Die russische Steinkohle kann durch Kohle aus anderen Ländern wie USA, Südafrika, Australien, Kolumbien, Mosambik und Indonesien ersetzt werden."

Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck könnte sogar schon bis zum Frühsommer "ein Großteil der Betreiber gänzlich auf russische Steinkohle verzichten". Bis Ende des Sommers werde Deutschland frei von russischen Kohle-Lieferungen sein.

Öl ist wichtigster Rohstoff für Deutschland

Deutlich schwieriger dürfte für Deutschland hingegen ein Verzicht auf russisches Öl werden. Denn Mineralöl war im vergangenen Jahr, gemessen am Primärenergieverbrauch, der für Deutschland wichtigste Rohstoff. Und die überwiegende Menge der Importe kommt aus Russland. Das Land lieferte nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums 2021 rund 28 Millionen Tonnen Rohöl nach Deutschland und bediente damit mehr als ein Drittel des gesamten Ölverbrauchs hierzulande.

Auch hier gibt es, ähnlich wie bei der Kohle, ambitionierte Pläne für einen Ausstieg. "Durch die Vertragsumstellungen sinkt die Abhängigkeit von russischem Öl bereits jetzt absehbar auf 25 Prozent; diese veränderten Lieferketten werden schon in den kommenden Wochen und Monaten wirksam", heißt es in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums. "Bis Mitte des Jahres werden die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein. Zum Jahresende streben wir an, nahezu unabhängig zu sein."

Bundesregierung lehnt Öl-Embargo ab

Und dennoch lehnt die Bundesregierung bislang ein Embargo von russischem Öl ab. Denn gerade für die ostdeutschen Raffinerie-Standorte Leuna und Schwedt, in denen Rohöl zu Benzin, Diesel, Flugbenzin oder etwa Heizöl für Tankstellen, Fluggesellschaften, Privatkunden und Unternehmen weiterverarbeitet wird, lässt sich das russische Öl nur schwer ersetzen. Denn das dort verarbeitete Rohöl wird vor allem über Pipelines an die Raffinerien geliefert. Zahlreiche Voraussetzungen müssten laut Wirtschaftsministerium gegeben sein, um eine Umstellung zu ermöglichen. Und die Raffinerie in Schwedt ist zudem überwiegend im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft. "Es rächt sich, dass trotz des Krim-Kriegs ein russischer Energiekonzern so starken Einfluss auf die Versorgungssituation bekommen hat", heißt es in dem Ministeriums-Papier. "Die Bundesregierung kümmert sich intensiv darum, dieses komplexe Problem zu lösen, um so die völlige Unabhängigkeit von russischem Öl zu erreichen."

Hinzu kommen Befürchtungen, dass Russland als Reaktion auf ein EU-Ölembargo die Gaslieferungen stoppen könnte: "Das wäre zwar völlig irrational, weil Russland in einem solchen Fall erst recht auf die Einnahmen der Gasimporte angewiesen wäre", so Janis Kluge. Doch ausschließen könne man dies natürlich nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 06. April 2022 um 10:00 Uhr.