Interview

Interview zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz "Vieles bleibt wirkungslos"

Stand: 04.12.2009 12:15 Uhr

Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz soll milliardenschwere Entlastungen bringen - unter anderem niedrigere Steuern für Hoteliers und höhere Freibeträge für Eltern. Der Konjunktur-Experte Michael Bräuninger kritisiert im Interview mit tagesschau.de: "Die Effekte werden klein sein."

tagesschau.de: Die Bundesregierung will mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Wirtschaft in Fahrt bringen. Wird ihr das gelingen?

Michael Bräuninger: Nein. Dieses Gesetz wird der Wirtschaft keinen nennenswerten Impuls versetzen. Insgesamt werden die Effekte ausgesprochen klein sein. Das Gesetz ist vom Volumen her nicht sehr groß - und viele Maßnahmen bleiben wirkungslos.

Zur Person

Michael Bräuninger leitet am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) den Bereich "Wirtschaftliche Trends" mit den Schwerpunkten Konjunktur und Wachstumspolitik. Er unterrichtet als Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, wo er mit einer Arbeit zur Rentenversicherung auch habilitierte.

tagesschau.de: Welche?

Bräuninger: Zum Beispiel die Entlastung von Erben oder die Mehrwertsteuer-Senkungen für Hotel-Übernachtungen auf sieben Prozent. Sie werden kurzfristig keine Auswirkungen auf die Konjunktur haben. Auch die Unternehmens-Steuerreform wird nicht dazu führen, dass die Unternehmen schon im nächsten Jahr deutlich mehr investieren und damit das Wachstum erhöhen könnten.

"Noch mehr Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer machen wenig Sinn"

tagesschau.de: Warum hat sich die Koalition dann auf diese Maßnahmen verständigt?

Bräuninger: Das frage ich mich auch. Was die Erleichterungen für die Hotelbranche betrifft, ist es für mich unverständlich. Es gibt einen relativen Konsens, dass es wenig Sinn ergibt, bei der Mehrwertsteuer noch mehr Ausnahmen zu schaffen. Insofern leuchtet mir nicht ein, warum das jetzt noch ausgeweitet werden soll.

tagesschau.de: Gibt es auch Teile der Reform, die der Wirtschaft auf die Sprünge helfen?

Bräuninger: Positiv zu bewerten sind die Entlastungen für Familien, die durch die Erhöhung des Kinderfreibetrags und des Kindergelds eintreten. Diese werden sicherlich den Konsum unterstützen und somit die Binnennachfrage ankurbeln.

"Im nächsten Jahr kommen erhebliche Probleme auf uns zu"

tagesschau.de: Die Steuerfreibeträge sollen für jedes Kind von 6024 Euro auf 7008 Euro steigen. Davon profitieren doch vor allem wohlhabende Eltern?

Bräuninger: Nicht alle werden gleichmäßig entlastet, das stimmt. Aber trotzdem wird sich dieser Schritt positiv auf das Wachstum auswirken. Allerdings: Gleichzeitig erhöht sich das Staatsdefizit. Das hat zur Folge, dass im kommenden Jahr erhebliche Probleme auf uns zukommen. Mittelfristig werden wir Schwierigkeiten haben, die Defizitgrenze des Euro-Stabilitätspaktes von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wieder einzuhalten. Insofern halte ich momentan nichts von weiteren Entlastungen. Wir haben bereits das Konjunkturpaket II, das im kommenden Jahr wirkt. Ein drittes Programm ist aus meiner Sicht nicht notwendig.

tagesschau.de: Einen Teil der Steuersenkungen müssen auch Bundesländer und Kommunen stemmen. Werden sie die Entlastungen, die für 2010 vorgesehen sind, an anderer Stelle - etwa durch höhere Gebühren - wieder kompensieren?

Bräuninger: In Teilen müssen wir damit rechnen. Kommunen und Bundesländer haben jetzt schon große finanzielle Schwierigkeiten, deswegen wollen einige Länder im Augenblick ja auch im Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen.

"Weitere Steuerentlastungen sind äußerst problematisch"

tagesschau.de: Was ist letztlich wichtiger: die Konjunktur anzukurbeln oder zu schauen, dass Bund und Länder die Schuldenbremse einhalten?

Bräuninger: Das ist ein schwieriger Spagat. Angesichts der tiefen Krise, die die Weltwirtschaft durchschritten hat, waren fiskalpolitische Maßnahmen notwendig. Es war und ist vernünftig, in dieser Phase ein hohes Defizit hinzunehmen. Hier war es wichtiger, die Konjunktur zu stimulieren, um eine noch größere Depression verhindern. Aber: Es muss aber auch gewährleistet werden, dass man bei besserem Wachstum das Budget wieder konsolidieren kann. Deshalb halte ich weitere Steuersenkungen, die das Budget belasten, für äußerst problematisch.

tagesschau.de: Wird es nach den Steuersenkungen zu massiven Einsparungen kommen?

Bräuninger: 2010 wird es noch keine großen Einsparungen geben, wir brauchen das Konjunkturpaket II noch. Aber mittelfristig muss man die Ausgaben reduzieren und dafür sorgen, dass die Haushalte wieder ausgeglichen werden. Mit anderen Worten: Ab 2011 werden Sparmaßnahmen im Vordergrund stehen. Denn die Krise ist noch lange nicht überwunden und wird uns noch mindestens die kommenden drei, vielleicht auch fünf Jahre beschäftigen.

Das Interview führte Jörn Unsöld für tagesschau.de.