
Hohe Lebensmittelpreise Streit über die Mehrwertsteuer
Wegen der stark steigenden Lebensmittelpreise sind Forderungen laut geworden, die Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln auszusetzen. Wie sind die Reaktionen aus der Politik? Und was sagen Wirtschaftsexperten dazu?
Was wird gefordert?
Angesichts deutlicher Preissteigerungen bei Lebensmitteln haben der Sozialverband VdK, die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln vorübergehend auszusetzen. Immer mehr Menschen kämen an ihre finanziellen Grenzen, sagte Vdk-Präsidentin, Verena Bentele. "Der VdK fordert deshalb, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel drastisch zu senken, und zwar auf null Prozent." Eine gesunde Ernährung dürfe "keine Frage des Geldbeutels sein", sagte Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Diabetes-Gesellschaft. Die Steuer solle für Obst, Gemüse, Milch und Hülsenfrüchte wegfallen.
Was sind die Argumente dafür?
Bundesagrarminister Cem Özdemir unterstützt die Forderung der Sozialverbände und Verbraucherzentralen. "Wenn wir Obst und Gemüse billiger machen, entlasten wir die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur vergleichsweise kostengünstig, sondern fördern dazu auch noch eine gesunde Ernährung durch die gewonnene Lenkungswirkung", so der Grünen-Politiker. Für die Prüfung und Umsetzung möglicher Mehrwertsteuer-Änderungen sei allerdings das Finanzministerium verantwortlich. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach sich ebenfalls dafür aus. "Die temporäre Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel ist eine Maßnahme, die schnell wirken würde, so etwas braucht es jetzt", sagte er dem "Tagesspiegel".
Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ist für eine temporäre Abschaffung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent. Dadurch würden "vor allem Lebensmittel und andere Dinge der Grundversorgung günstiger". Dies helfe den Menschen schnell und unbürokratisch.
Was sind die Argumente dagegen?
FDP-Fraktionschef Christian Dürr kritisierte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung", dass eine solche Steuersenkung keine Maßnahme sei, die gezielt Menschen mit geringen Einkommen entlaste. "Auch der reduzierte Mehrwertsteuersatz während der Pandemie hat sich in den Geldbeuteln kaum bemerkbar gemacht", sagte Dürr. Er setzt hingegen auf die von der Ampelkoalition beschlossenen Entlastungspakete, die gestiegenen Kosten für die Bürger abfedern sollen. Sie enthielten Maßnahmen "für Familien und für Haushalte, die es besonders schwer haben", so Dürr. "Das ist allemal sinnvoller als ein Flickenteppich bei der Mehrwertsteuer." Der finanzpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Michael Schrodi, verwies ebenfalls auf die Entlastungspakete der Regierung.
Auch Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), sieht in der Streichung der Mehrwertsteuer keine Lösung. "Das Problem einer befristeten Senkung der Mehrwertsteuer liegt dann in der Bestimmung des richtigen Zeitpunktes der Wiederanhebung, den man nicht ex ante kennt", sagt er der "Rheinischen Post". Eine Absenkung der Mehrwertsteuer müsse man daher "gegebenenfalls als dauerhaft begreifen".
Gibt es Gegenvorschläge?
Der DIW-Ökonom Alexander Kriwoluzky schlägt die Zahlung einer Pauschale vor, um gezielt Menschen mit geringen Einkommen zu entlasten. "Sinnvoll wäre eine einmalige Lebensmittelpauschale von 100 Euro für Transferempfänger", sagte der Leiter der Abteilung für Makroökonomie an dem Wirtschaftsforschungs-Institut dem "Tagesspiegel".
Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft hat sich für die Freigabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgesprochen, um die Produktion im Agrarsektor zu steigern. "Dies würde das Problem an der Wurzel packen und etwas für die Ärmsten der Welt tun, denen jede Tonne hilft, die zusätzlich auf den Markt kommt", sagte der Experte.
Wie groß ist das Problem?
Die Lebensmittelpreise sind seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stark gestiegen. Im März kosteten Nahrungsmittel laut Statistischem Bundesamt 6,2 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Für für Sonnenblumen- oder Rapsöl mussten deutsche Verbraucher 30 Prozent mehr zahlen und für Salat oder Kartoffeln rund 18 Prozent mehr. Auch frisches Gemüse war im Vergleich zum März 2021 knapp 15 Prozent teurer.
Für welche Produkte gelten 7 Prozent Mehrwertsteuer?
Das Umsatzsteuergesetz regelt, für welche Produkte der ermäßigte Satz von 7 statt 19 Prozent Umsatzsteuer erhoben wird. Dieser gilt für Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse, Mehl, Backwaren oder Öle. Aber auch Brennholz, Zeitungen, Bücher, Noten, Prothesen oder Kunstgegenstände haben den reduzierten Steuersatz.
Um wie viele Einnahmen des Staates geht es?
Dem Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums zufolge flossen allein im März 35,75 Milliarden Euro an Umsatzsteuern in die Staatskassen. Das waren knapp 41 Prozent mehr als im Vorjahr. Bereits im Januar und Februar des laufenden Jahres hatte der Staat 51,2 Milliarden und damit 14 Milliarden Euro mehr an Mehrwertsteuer eingenommen als in den ersten beiden Monaten 2021. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr beliefen sich die Steuereinnahmen aus dem Umsatz insgesamt auf 113,13 Milliarden Euro.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fordert, die Mehreinnahmen müssten an die Bürger zurückgezahlt werden. Der Bundesfinanzminister sei "der Hauptprofiteur der zu hohen Preise", sagte der Politiker bereits Ende März der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Schätzungen zufolge würde eine temporäre Aussetzung der reduzierten Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wie Brot, verarbeitetes Fleisch und Milchprodukte den Staat rund zwei Milliarden Euro an Einnahmen kosten.
Ist eine Aussetzung der Mehrwertsteuer mit EU-Recht vereinbar?
Anfang April ist eine Änderung der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Kraft getreten. Damit gelten gemeinsame Vorgaben für die Mehrwertsteuer in den EU-Staaten: Der reguläre Steuersatz muss demnach mindestens bei 15 Prozent liegen, der ermäßigte bei mindestens fünf Prozent. Gänzliche Steuerbefreiungen sind nur in bestimmten Bereichen möglich - seit der Änderung nun auch bei Grundnahrungsmitteln.