Euromünzen auf einem Haufen

Schuldneratlas Deutschland 2022 Weniger Überschuldung - trotz Rekordinflation

Stand: 15.11.2022 13:02 Uhr

In Deutschland sind so wenig Menschen übermäßig verschuldet wie schon lange nicht mehr. Das zeigt der neue Schuldneratlas der Auskunftei Creditreform. Wegen der Inflation und der explodierenden Energiepreise dürfte sich das aber bald ändern.

Es wirkt auf den ersten Blick paradox: Seit Monaten schießen die Kosten für Energie und Lebensmittel in die Höhe. Immer mehr Menschen kämpfen damit, mit ihrem Geld überhaupt noch über die Runden zu kommen. Und doch ist die Zahl der überschuldeten Haushalte in Deutschland in diesem Jahr auf ein Rekordtief gesunken.

Insgesamt zählte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem heute veröffentlichten "Schuldneratlas Deutschland 2022" knapp 5,9 Millionen überschuldete Personen - das sind rund 274.000 oder 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Dies sei der niedrigste Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004, berichteten die Experten.

Wirtschaftsauskunftei Creditreform stellt Schuldneratlas Deutschland 2022 vor

Jens Eberl, WDR, tagesschau 12:00 Uhr

Die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen in Deutschland, sank binnen Jahresfrist von 8,86 auf 8,48 Prozent. Überschuldung liegt den Experteninnen und Experten zufolge vor, wenn der Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen längeren Zeitraum nicht begleichen kann - oder kurz: die Gesamtausgaben die Einnahmen übertreffen.

Kaufzurückhaltung in der Pandemie

Dass die Überschuldungsquote zurzeit so niedrig ist, ist nach Einschätzung der Experten auch eine Folge der Corona-Pandemie. Staatliche Hilfsprogramme, pandemiebedingte Einschränkungen der Konsummöglichkeiten, aber auch Vorsicht der Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts der neuartigen Krise hätten zu einem sprunghaften Anstieg der Sparquote und aber auch zu ungewöhnlich starker Schuldentilgung geführt.

Der Haken bei der Sache: Nach einer Studie des ifo-Instituts unter dem Titel "Inflation frisst Überschussersparnis" waren die Corona-Ersparnisse bereits Mitte 2022 wieder ausgegeben. Dank der Sparpolster hätten die Verbraucher in der ersten Jahreshälfte trotz Rekordinflation ihren Konsum ausweiten können, berichtete das Institut. Doch diese Phase sei nun vorbei.

Nur die Ruhe vor dem Sturm?

Auch Creditreform rechnet angesichts der aktuellen Preisexplosionen bei Energie und Lebensmitteln schon bald mit einer spürbaren Verschlechterung der Situation. "Die guten Zahlen sind leider trügerisch", sagte der Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch. "Wir fürchten in den kommenden Monaten eine Trendwende." Denn die hohen Belastungen durch die Inflation und vor allem die ansteigenden Energiekosten seien noch längst nicht vollständig bei den Verbrauchern angekommen.

Nach Berechnungen der Creditreform-Tochter Microm laufen bis zu 19 Prozent der deutschen Haushalte Gefahr, ihre Rechnungen für Versorgungsleistungen wie Strom, Wasser, Gas und Wärme nicht sofort bezahlen zu können. Betroffen seien damit rund 7,8 Millionen Haushalte oder 15,6 Millionen Personen, sagte Microm-Geschäftsführer Michael Goy-Yun. Zum Vergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes konnten 2021 - also vor der Preisexplosion bei Haushaltsenergien - schon 2,6 Millionen Menschen oder 3,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ihre Wohnung aus Geldmangel nicht angemessen heizen.

"Finanzielle Überforderung" befürchtet

Die derzeit drohenden Nachzahlungen für die Heizkosten seien geeignet, viele Verbraucher in nachhaltige Zahlungsschwierigkeiten, zum Teil auch direkt in die Überschuldung zu führen, heißt es im Schuldneratlas. Die Experten rechnen deshalb für das kommende Jahr mit einer deutlichen Verschlechterung der Verschuldungssituation in vielen Haushalten. "Ein Anstieg der Überschuldungszahlen um rund 600.000 Fälle ist nicht unrealistisch", heißt es in dem Bericht. Und es sei nicht auszuschließen, dass die Wucht des Nachzahlungsschocks und die schwer kalkulierbare Dauer der inflationären Tendenzen noch mehr Haushalte in die Überschuldung treiben.

"Der kommende Energiepreisschock zu Beginn des neuen Jahres wird für viele zu einer finanziellen Überforderung", prognostizierte Goy-Yun. Die Überschuldungsgefährdung vieler Verbraucher nehme derzeit drastisch zu und übersteige das Risikopotenzial der letzten Jahre bei weitem, heißt es warnend im Schuldneratlas.

Dies deckt sich mit Daten aus einer Umfrage, die die Auskunftei Schufa jüngst veröffentlichte. Danach ging gut ein Drittel der rund 1000 Befragten (35 Prozent) davon aus, dass ihr Einkommen nicht ausreichen werde, um weiterhin den Lebensstandard zu halten. Die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher (50 Prozent) gab an, in den vergangenen sechs Monaten auf Ersparnisse zurückgegriffen zu haben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. November 2022 um 12:00 Uhr und 14:00 Uhr.