Fenchelfeld

Landwirtschaft Wenn Pestizide im Bio-Fenchel landen

Stand: 05.02.2021 10:33 Uhr

In der Biolandwirtschaft verbotene Pestizide belasten die Ernten mancher Betriebe. Denn Pflanzenschutzmittel, die auf konventionell bewirtschafteten Flächen versprüht werden, halten sich nicht an Ackergrenzen.

Von Tobias Hildebrandt, BR

Bio-Bäuerin Franziska Blind lässt eine Handvoll Fenchelsamen durch ihre Finger rieseln. Es ist ein kleiner Rest der Ernte. Der Großteil liegt bei einem Unternehmen in Thüringen, das daraus Tee machen wollte. Doch daraus wird nichts. Die Ernte von Landwirtin Blind aus dem bayerischen Oettingen ist mit Pestizid-Rückständen belastet.

Es geht um drei Wirkstoffe, die im Ökolandbau verboten sind. Bei dem Unkrautvernichter Pendimethalin ist der gesetzliche Grenzwert sogar um mehr als das Doppelte überschritten. Die komplette Fenchel-Ernte von dem zwei Hektar großen Feld muss vernichtet werden. Der Schaden: 8000 Euro. Vor zwei Wochen erhielt die Bäuerin die Ergebnisse vom Labor. "Als die E-Mail kam, war ich einfach schockiert", sagt Blind. "Im ersten Moment will man es gar nicht glauben, dass ein Produkt, das man mit so viel Liebe erzeugt hat, plötzlich nicht mehr verkehrsfähig ist, also nicht mehr in den Verkauf gelangen darf, obwohl man ja eigentlich nichts falsch gemacht hat."

Hat Abdrift die Ernte verdorben?

Eine mögliche Erklärung für die Belastung mit Pendimethalin: Abdrift des Spritzmittels von konventionell bewirtschafteten Feldern in der Nähe. Der Fall ist ein Beispiel dafür, wie schwer sich offenbar die Ausbringung bestimmter Pflanzenschutzmittel kontrollieren lässt und wie wenig die Behörden über die Ausbreitung wissen.

Der Laborbericht, der dem BR vorliegt, weist für Pendimethalin einen Rückstandswert von 0,11 Milligramm pro Kilo aus. Der Grenzwert liegt bei 0,05. Auch bei den Wirkstoffen Prosulfocarb und DNOC sind die Rückstandswerte relativ hoch. Der Fenchel war Mitte November auf einem Feld in der Nähe von Oettingen gedroschen worden.

Auf einem Acker bringt ein Landwirt mit Hilfe einer Ackerspritze Pflanzenschutz gegen Schädlinge auf Winterweizen aus.

Auf einem Acker bringt ein Landwirt Pflanzenschutzmittel auf Winterweizen aus. In der Frühphase des Anbaus wird dieses Getreide häufig mit Pendimethalin behandelt.

Mehr als 200 Fälle dokumentiert

Der Fall von Öko-Bäuerin Blind ist ein Einzelfall. Die Frage danach, wie groß das Problem ist, lässt sich nur schwer beantworten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) teilt dem BR mit, dass "nur sehr wenige Erkenntnisse zu Befunden mit diesen Wirkstoffen" vorlägen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Landwirtschaftsausschusses, Harald Ebner, sagte hingegen dem BR, "die Summe der Einzelfälle legt nahe, dass es keine Einzelfälle sind".

So gibt es etwa eine Sammlung des Anbauverbandes Bioland, in der mehr als 200 Fälle belasteter Ernten und Proben aus den Jahren 2012 bis 2016 dokumentiert sind - auch wenn dabei nicht immer der EU-Grenzwert überschritten ist. Beim Anbauverband Naturland heißt es, dass ein bis zwei Mal pro Monat Pestizidrückstände in Bio-Ware des Verbandes auftauchten. Oft seien dabei aber "nur" die selbst auferlegten, strengeren Grenzwerte der Bio-Branche überschritten.

Pestizid-Abdrift schadet nicht nur den Ökobauern

Dass sich Spritzmittel der konventionellen Landwirtschaft in der Umwelt verbreiten und damit auch auf Bio-Feldern landen können, ist mittlerweile unumstritten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schreibt dazu: "Wird ein Pflanzenschutzmittel auf den Acker gesprüht, ist es kaum zu vermeiden, dass ein Teil des Mittels nicht dort ankommt, wo es wirken soll." Wind kann die feinen Tröpfchen direkt beim Spritzen verwehen, aber auch über Verdunstung oder indem die Wirkstoffe an Staubpartikeln haften, ist eine Verbreitung möglich. Laut BfR sei bei der Abdrift aber nicht von einem gesundheitlichen Risiko auszugehen, es schränkt jedoch ein: "bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung".

Doch nicht nur Bio-Bauern sind betroffen. Viele Stoffe schaden auch Pflanzen und Tieren in der Natur. Pendimethalin und Prosulfocarb sind zum Beispiel als gewässergefährdend eingestuft. Beide Wirkstoffe gehören seit Jahren zu den am meisten verkauften in Deutschland. Dazu kommt: Schon 2015 kam eine Studie im Auftrag des Landesamtes für Umwelt in Brandenburg zu dem Schluss, dass sich Pendimethalin "unerwünscht weiträumig und anhaltend" in der Umwelt verbreitet.

Keine flächendeckende Überwachung

Das Problem: Ein flächendeckendes Monitoring, wie stark Felder, Umwelt und Luft mit Pflanzenschutzmitteln belastet sind, gibt es nicht. Dabei hat sich die Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern bereits 2015 dafür ausgesprochen. Das BMEL teilt dazu mit: "Die Etablierung eines staatlichen Monitorings erfordert aufgrund der wissenschaftlichen Komplexität noch Zeit - daran wird gearbeitet."

Eine Studie des "Umweltinstituts München", einer privaten Umweltorganisation, hat vergangenes Jahr gezeigt, wie verbreitet Pflanzenschutzmittel in der Luft sind. An 49 Orten in Deutschland wurden sogenannte Passivsammler aufgestellt. Ergebnis: Überall fanden sich Rückstände, teilweise bis zu 30 verschiedene Wirkstoffe an einem Standort. Die Mengen der einzelnen Stoffe konnten dabei aber nicht gemessen werden.

Wie schädlich ist ein "Cocktail" aus Pflanzenschutzmitteln?

Regelmäßige staatliche Stichproben auf Pflanzenschutzmittel-Rückstände gibt es aber bei Lebensmitteln. Das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) nimmt jährlich bis zu 2500 Proben von pflanzlichen Lebensmitteln. Zuletzt habe es bei drei Prozent der Proben Überschreitungen der Höchstgehalte von Pflanzenschutzmitteln gegeben. Da die Grenzwerte jedoch vor allem eine juristische Bedeutung haben, sei das Überschreiten "nicht in jedem Fall unmittelbar mit gesundheitlichen Gefährdungen verbunden".

Grünen-Agrarpolitiker Ebner weist daraufhin, dass bei Obst und Gemüse sehr oft Rückstände von mehreren verschiedenen Pestiziden gefunden würden. Auch wenn die Grenzwerte jeweils nicht überschritten würden, seien die sogenannten "Cocktaileffekte" noch zu wenig erforscht - also welche Wirkung das Zusammenspiel der Spritzmittel auf den menschlichen Körper hat.

Hände halten Fenchelsamen.

Der Fenchel von Bio-Bäuerin Blind sollte zu Tee verarbeitet werden. Doch wegen Pestizidbelastung ist er wertlos.

Wohl kein Ersatz für den Schaden

Der belastete Bio-Fenchel von Bäuerin Blind wäre sowieso nicht in den Handel gelangt, eben weil der Abnehmer ihrer Bio-Ware jede Lieferung standardmäßig auf Pflanzenschutzmittelrückstände überprüfen lässt. Die Bäuerin hat kaum Hoffnung, dass sie den wirtschaftlichen Schaden ersetzt bekommt. Es lässt sich kaum nachweisen, von welchem Acker in der näheren oder weiteren Umgebung die Rückstände auf ihr Bio-Feld gelangt sind.

Blind, die auch als Beraterin für den Bio-Verband Naturland arbeitet, sieht vor allem Behörden und Politik in der Pflicht: "Wir müssen von diesen Mitteln wegkommen, die langfristig noch in der Umwelt zu finden sind." Sie beklagt, dass Pestizid-Rückstände sie in ihrer Arbeit als Bio-Bäuerin einschränkten. Ihren Fenchel will Blind künftig auf einem anderen Feld anbauen - in der Hoffnung auf eine dann unbelastete Ernte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung "Fakt" am 24. November 2020 um 21:45 Uhr.