Freihandelsabkommen zwischen EU und USA Gabriels Ärger mit den Schiedsgerichten

Stand: 02.05.2015 11:43 Uhr

Der Streit um TTIP stürzt SPD-Chef Gabriel in ein Dilemma. Schuld daran sind die geplanten Schiedsgerichte. Denn obwohl auch Rot-Grün seinerzeit viele Investitionsschutzabkommen traf, läuft die SPD-Basis nun dagegen Sturm.

Von Oliver Mayer-Rüth, ARD Berlin

"Schattengericht" klingt unheilvoll. Der Bürger kann damit nur Dunkelheit und Unrecht verbinden. Österreichs sozialdemokratischer Regierungschef Werner Faymann spricht von "Schattengerichten", wenn er die im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zunehmend umstrittenen Schiedsgerichte kritisieren will. Und auch in Deutschland lehnen Grüne, die Linkspartei und viele Nichtregierungsorganisationen Schiedsgerichte als Teil eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA ab. Das Image dieser Gerichtsbarkeit könnte also kaum schlechter sein. Das Schiedsgericht hat in der TTIP-Debatte längst dem Chlorhuhn den Rang abgelaufen.

Doch worum geht es eigentlich? In der Vergangenheit schlossen Bundesregierungen aller Couleur sogenannte Investitionsschutzabkommen ab. Nach Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios unterzeichnete allein die rot-grüne Bundesregierung - von 1998 bis 2005 - 23 Investitionsschutzverträge, unter anderem mit Ländern wie Ägypten, Angola, Bosnien, China, Gabun, Indonesien, Iran, Libyen, Marokko, Moldau, Mosambik, Nigeria, Polen, Thailand und Sri Lanka. Auf Basis dieser Abkommen können deutsche Unternehmen gegen Staaten klagen, wenn diese durch eine Gesetzesänderung das Geschäftsmodell des Unternehmens ad absurdum führen, nachdem Geld in dem betroffenen Staat investiert wurde. Genauso kann aber auch gegen Deutschland geklagt werden.

Vattenfall klagt wegen Atomausstiegs

Ein immer wieder genanntes Beispiel ist die Schadensersatzklage des schwedischen Unternehmens Vattenfall gegen die Bundesregierung aufgrund des politischen Beschlusses, deutsche Atomkraftwerke vorzeitig stillzulegen. Besonders prekär: Die Vattenfall Europe AG gehört zu 100 Prozent dem schwedischen Staat. Folglich klagt hier der schwedische Steuerzahler gegen den deutschen Steuerzahler.

Kritiker: Keine Legitimation

Kritiker von Investitionsschutzabkommen im Rahmen von TTIP wollen nun unbedingt vermeiden, dass US-Unternehmen gegen Deutschland vor Schiedsgerichten klagen können. Denn die Urteile von Schiedsgerichten seien eine Gefahr für die Demokratie, so das Argument, die von beiden Streitparteien eingesetzten Richter obskure Anwälte, die in Hinterzimmern Urteile fällten. Kurzum: Diese Gerichte hätten im Vergleich zu staatlichen Gerichten keine Legitimation, keine Transparenz und seien frei von jeglicher Haftung.

Investitionsschutz als Mittel gegen Enteignungen

Befürworter halten dagegen, Schiedsgerichte seien ein bewährtes Instrument, um im Rahmen von zwischenstaatlichen Handelsabkommen Investitionsrisiken für Unternehmen so zu minimieren, dass diese überhaupt zu Investitionen bereit seien. "Deutschland hat die Investitionsschutzabkommen vor rund 50 Jahren selbst erfunden. Seit Jahrzehnten sind sie ein wichtiges Mittel, um unsere Unternehmen vor Enteignungen und staatlichen Willkürakten in anderen Ländern zu schützen", betont etwa Joachim Pfeiffer, der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Besonders kleine und mittelständische Unternehmen brauchen einen wirksamen Investitionsschutz." Ausländische Unternehmen sehen sich vor amerikanischen Gerichten im Ernstfall mit Prozesskosten in bis zu sieben- oder achtstelliger Höhe konfrontiert.

SPD-Widerstand stürzt Gabriel ins Dilemma

Doch die Kritiker haben aktuell Oberwasser, was beispielsweise in der SPD zu Verwerfungen führt. Angespornt von der Basis lässt der Widerstand des linken Flügels gegen Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichten nicht nach. Ein Dilemma für SPD-Chef Sigmar Gabriel, der unbedingt Wirtschafts- und Industrieminister werden wollte und deshalb qua Amt schon für Freihandelsabkommen wie TTIP oder das bereits zu Ende verhandelte EU-Kanada Abkommen namens CETA sein muss. Denn diese Abkommen schafften Arbeitsplätze, sagen Ökonomen.

Auf einem Parteikonvent im September letzten Jahres beschloss Gabriel mit der SPD jedoch, dass sich internationale Konzerne nicht durch Schiedsgerichte über Beschlüsse demokratisch legitimierter Parlamente hinwegsetzen dürfen. Sprich: Wenn man schon in den sauren TTIP- oder CETA-Apfel beißen muss, dann nur ohne Schiedsgerichte im herkömmlichen Sinne. Gabriel sollte folglich die EU dazu bewegen, die von Kanada gewollten Schiedsgerichte wieder aus CETA zu streichen.

Nur zwei Monate später will der SPD-Chef von diesem Beschluss nichts mehr wissen. Nachdem die Grünen im Bundestag wiederholt nachfragen, ob er es geschafft habe, Schiedsgerichte aus dem CETA-Abkommen, das als Blaupause für TTIP gilt, heraus zu verhandeln oder nicht, erklärt Gabriel: "Ihre Frage war, ob wir das komplett herausbekommen. Meine Antwort ist Nein (…) und das werde ich auch meiner Partei sagen, die in Teilen eine andere Auffassung hat."

Unruhe in der SPD

Seitdem gibt es Unruhe in der SPD. Der linke Flügel, besorgt um Wähler und Basis, sieht Gabriels neue Rolle als TTIP- und CETA-Vorkämpfer extrem kritisch. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Sieling, Sprecher der "Magdeburger Plattform", einer neuen Organisation des linken SPD-Flügels, hält Schiedsgerichte und auch Gabriels Einlassungen im Bundestag für einen Fehler. "Gabriel hat sich das Leben selbst schwer gemacht, weil das viele Menschen innerhalb und außerhalb der SPD alarmiert hat", sagt Sieling im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig Holstein und aktuell die profilierteste Figur des linken Flügels, sieht das ähnlich. Er lehnt zwar Schiedsgerichte nicht grundsätzlich ab, jedoch dürfe es am Ende nicht so sein, dass sich Konzerne gegen Parlamente durchsetzen können. Entscheidend sei, "dass niemals zugelassen werden darf, dass sich ein internationaler Konzern über Beschlüsse demokratisch legitimierter Parlamente oder Urteile ordentlicher Gerichte hinwegsetzen kann. Das wäre die Abschaffung der Demokratie und niemals für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten akzeptabel", so Stegner. "Politik muss den Primat behalten. Wenn dies nicht gewährleistet wird, werden wir keinem Vertrag zustimmen."

Gabriel wird also in der SPD noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die vielen von Rot-Grün ratifizierten Investitionsschutzabkommen könnten ihm dabei helfen. Für SPD-Mann Sieling ist das aber noch lange kein Grund, ein Abkommen mit den USA jetzt schnell zu unterzeichnen. "Vielleicht hat man in der Vergangenheit Fehler gemacht. Deshalb müssen wir jetzt noch genauer hinschauen", sagt Sieling.

Läuft China der EU den Rang ab?

Unterdessen läuft Gabriel die Zeit davon: Denn während sich Grüne, Linkspartei und der linke Flügel der SPD gegen TTIP sträuben, plant China ein asiatisch-pazifisches Freihandelsabkommen, dem die Europäer nur noch hinterherlaufen würden. Ein Horrorszenario aus Sicht vieler europäischer Ökonomen und wohl auch für den Bundeswirtschaftsminister. Denn sollten China und die USA tatsächlich noch vor der EU und den USA den Freihandel beschließen, würden Industrie und Mittelstand vor allem den SPD-Chef dafür verantwortlich machen.

"Vielleicht die letzte Chance, Standards zu setzen"

Obendrein setzen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Wirtschaftsflügel der Union den SPD Chef unter Druck. "TTIP ist die vielleicht letzte Chance für Europa und die USA, die globalen Standards des 21. Jahrhunderts zu setzen. Setzen die westlichen Demokratien jetzt nicht gemeinsam diese Standards, zum Beispiel beim Umwelt- oder Verbraucherschutz, so werden Andere es tun. Vor allem China, aber auch Indien und andere stehen in den Startlöchern", warnt CDU-Mann Pfeiffer.

Vielleicht kann Gabriel seine Partei noch überzeugen, wenn es die EU-Kommission schaffen sollte, die Schiedsgerichte transparenter und für die Bürger nachvollziehbarer zu gestalten. Die Unterhändler in Brüssel sollen bereits erste Vorschläge ausarbeiten, die den USA bald vorgelegt werden. Doch die Diskussion um Schiedsgerichte dürfte erst einmal mindestens so emotional weitergehen, wie sie Anfang 2014 um das Chlorhuhn geführt wurde.