Eine Frau passiert ein geschlossenes Modegeschäft

Unverkaufte Textilien Spenden teurer als entsorgen

Stand: 31.01.2021 02:01 Uhr

Die Lager im Modehandel laufen voll. Kleidung verkauft sich schlecht im Lockdown. Die Ladenhüter werden oft einfach entsorgt - was auch am deutschen Steuerrecht liegt.

Von Barbara Berner, HR

Der Einzelhandel ist wieder geschlossen, und weil auch keiner ausgeht und viel weniger Leute ins Büro müssen, haben die meisten Menschen auch keine Lust auf neue Kleidung. Gerade im Business-Segment - dort, wo die Händler am meisten verdienen -, bleibt die Ware auf den Kleiderständern hängen.

"Wir schätzen, dass im Moment noch ungefähr die Hälfte der Winterware da ist und nach unserer Hochrechnung ist das ungefähr eine halbe Milliarde", stellt Axel Augustin vom Handelsverband Textil fest.

Eine noch nie dagewesenen Textilflut

Die Wilhelmstraße in Wiesbaden: Das Geschäft von Christiane und Michael Bailly liegt mitten in der nobelsten Einkaufsstraße. Erst 60 Prozent der Wintermode sind verkauft, und schon ist die neue Sommerkollektion da. Viel zu viel Ware. Was also tun? Mit einer Rabattschlacht, wenn sie wieder öffnen dürfen, ist es nicht getan.

Und Einlagern? Bedingt möglich. Denn zum einen ist Lagern teuer, zum anderen lohnt es sich oft nicht. Denn Mode ist inzwischen "verderblich". Das Geschäft funktioniert nur, wenn sie ihren Kundinnen und Kunden "immer ein aktuelles Sortiment" präsentiere, sagt Inhaberin Bailly-Rauch. "Das ist deren Erwartungshaltung." Und so türmt sich inzwischen die Winterware neben der gerade eingetroffenen Sommerkollektion.

Warum nicht spenden?

Juliane Kronen hat die Spendenplattform Innatura gegründet. Hier landen Spenden von namhaften Unternehmen wie Adidas oder Nike, aber auch von kleinen Einzelhändlern. "Allen gemein ist, dass sie fabrikneu sind", erzählt sie und packt zusammen mit ihren Mitarbeitern weiter Kartons aus, in dem modischen Fußballschuhe sind.

Die Spenden kommen sozialen Einrichtungen zugute. Obwohl die Pandemie ihr ein klares Plus an Spenden gebracht hat, könnten es noch mehr sein - gäbe es da nicht das deutsche Steuerrecht. Das erhebt nämlich auf Sachspenden 19 Prozent Umsatzsteuer. Ein Hindernis.

"Wenn sich bei uns Unternehmen melden und dann erfahren, wie das steuerlich behandelt wird, sagen zwei von drei am Ende: Ganz ehrlich, das ist uns zu kompliziert und oder zu teuer." Spendensammlerin Kronen bringt es auf den Punkt: "In der Regel ist es leider so, dass Spenden in Deutschland teurer ist als die Entsorgung."

Steuerregelung vernichtet Kleidung

Man kann es leicht ausrechnen: Eine Tonne T-Shirts zu verbrennen, kostet weniger als 100 Euro. Auf Spenden müssen 19 Prozent Umsatzsteuer gezahlt werden. Selbst wenn man den Wert eines T-Shirts bei nur einem Euro ansetzt, sind das für eine Tonne Shirts 900 Euro, die ans Finanzamt gehen.

Das Resultat dieser Politik: Schätzungsweise 230 Millionen Textilien werden jährlich vernichtet. Und das ist nur die Zahl vor der Pandemie. Die wirkliche Zahl allerdings kennen allenfalls die Entsorger. Logistikdienstleister wie Rhenus bieten ihre Dienste in Kleidervernichtung an. Doch Kleidervernichtung war schon vor Corona ein Tabuthema. 

Die Modebranche hüllt sich in Schweigen, und auch Textilverbandssprecher Augustin wehrt ab: dass Kleidung in großem Stil vernichtet werde, könne er sich nicht vorstellen. Selbst wenn, dann würde dies seinem Verband auch nicht mitgeteilt. "Deswegen können wir dazu tatsächlich gar nichts sagen, das ist irgendwo auch ein Betriebsgeheimnis." Spendensammlerin Kronen wird deutlicher: "Wir wissen, dass das sowohl in den Großhandelsketten passiert, aber auch im Einzelhandel."

Outlets als Notlösung - und Hilfe von der Politik

Im günstigsten Fall geht die Ware an Restpostenhändler. Aufkäufer fahren durch Deutschland, suchen Modeläden auf und packen ein. Die Ware landet in Outlet-Shops oder im Ausland. Doch auch über diese Art von Geschäft sprechen Einzelhändler nicht gern. Aufkäufer müssen zum Hintereingang rein und raus; keiner soll sehen, dass gerade die teure Mode aus dem Laden verramscht wird.

Einzelhändler Bailly aus Wiesbaden hingegen geht offen damit um - und benennt die geschrumpften Gewinnaussichten: "Da müssen wir davon ausgehen, dass wir maximal vom Einkaufspreis zwischen zehn und 20 Prozent bekommen." Wenn überhaupt - die Flut der Textilien drückt die Preise.

Wenn schon die Umsatzsteuer auf Spenden bestehen bleibt, so will die Politik den Einzelhändlern zumindest anderweitig unter die Arme greifen. Nach Plänen von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sollen Textilunternehmen ihre saisonalen Waren steuerlich abschreiben können. Mode soll - ebenso wie Lebensmittel - als verderbliche Ware gelten.