Bilanz der Arbeit von EU-Kommissar Oettinger Europäische Energiepolitik als Gesamtkunstwerk

Stand: 30.12.2010 11:34 Uhr

Bei Amtsantritt galt EU-Energiekommissar Oettinger als Fehlbesetzung und wurde wegen seiner englischsprachigen Auftritte verspottet. Seither erwarb er sich mit Sachkenntnis und Verhandlungsgeschickt einen guten Ruf. 2011 hat Oettinger in der Energiepolitik Großes vor.

Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel

So richtig gut hatte das Jahr für Günther Oettinger nicht angefangen. Nach seiner überraschenden Ernennung zum deutschen EU-Kommissar durch Bundeskanzlerin Angela Merkel hagelte es Kritik: Seine Eignung für den Brüsseler Job wurde von vielen Seiten angezweifelt. Dann wies Kommissionspräsident José Manuel Barroso dem Schwaben auch noch das bislang wenig bedeutende Energieressort zu. Und zu allem Überfluss auch noch das: Auf YouTube tauchte der Mitschnitt einer Rede Oettingers vor internationalen Wirtschaftsvertretern auf. Danach war Oettingers "Schwänglisch" zum Volksgespött geworden.

Spott ist verstummt

Jetzt hat Oettinger fast ein Jahr als EU-Energiekommissar hinter sich gebracht und die Spötter sind verstummt- selbs was sein Englisch betrifft. "Die Aussprache des Englischen ist nach wie vor sehr schwäbisch", sagte der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. "Aber jetzt hat er in englischsprachigen Runden kein Problem, sich zu artikulieren und seine Punkte zu machen, verstehen tut er sowieso alles."

Und nicht nur im Englischen bescheinigt der FDP-Energieexperte dem Schwaben große Fortschritte. "Günther Oettinger hat sich in sehr kurzer Zeit in das Thema Energie eingearbeitet und schon nach wenigen Wochen wirklich bestochen durch exzellente, frei gehaltene Vorträge", findet Chatzimarkakis.

Oettinger gilt als geschickter Verhandlungsführer

Oettinger hat in Brüssel den Ruf erworben, ein Aktenfresser zu sein. Aber gleichzeitig gilt er als jemand, der hinhören und geschickt mit allen Seiten verhandeln kann. "Man muss die Akten kennen und dann viele Gespräche führen", sagt Oettinger. "Europa ist eine Mannschaftsveranstaltung, da geht es um Teamwork. Das heißt, es ist einfach ein Gesamtkunstwerk."

Freileitungsmasten in Mecklenburg-Vorpommern

Oettinger sieht großen Handlungsbedarf bei den europäischen Energienetzen.

Als eine Art Gesamtkunstwerk sieht der EU-Kommissar auch seinen Bereich, die Energiepolitik. Diese stehe exakt in der Schnittstelle zwischen Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit einerseits und Nachhaltigkeit und Klimaschutz andererseits. "Da geht es dann um die Ziele bis 2020, wie wir konkret die Maßnahmen für erneuerbare Energien, für Energieinfrastruktur und Energieeffizienz voranbringen - und es geht aber auch schon um die Road Map 2050", sagt Oettinger. 

Er weiß, dass Europa von einer wirklich abgestimmten Energiepolitik noch weit entfernt ist, und so plant er den großen Wurf. Im Jahre 2010 setzte er zumindest schon einige Duftmarken. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, das Häuslebauer und Häuslesanierer zwingt, mehr aufs Energiesparen zu achten. Die EU-Kommission schlug eine neue, strengere Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Haushaltsgeräten vor. Den Handel mit Energie will Oettinger transparenter machen und damit für niedrigere Preise sorgen. Nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko setzte er sich sofort für strengere Sicherheitsstandards der Ölplattformen vor den europäischen Küsten ein.

Konflikt mit der Bundesregierung

Auch für die Sicherheit der Kernkraft macht sich der prinzipielle Kernkraftbefürworter stark: Er will alle EU-Staaten mit Atomkraftwerken dazu zwingen, verbindliche Zeitpläne für die Errichtung von Endlagern aufzustellen. Bei diesem Thema sieht Oettinger dringenden Handlungsbedarf, weil das Thema jahrzehntelang nicht genügend bearbeitet worden sei. "Die große Gefahr ist, dass wir Atomabfälle an Drittstaaten verkaufen und dort in keiner Form kontrollieren können, ob dort die Sicherheit, die uns wichtig ist, auch eingehalten wird", sagt er. Dem deutschen EU-Kommissar ist natürlich klar, dass er damit besonders der Politik in seinem Heimatland auf die Füße tritt. Oettinger zeigte mehrmals, dass er den Konflikt mit Berlin nicht scheut, um gesamteuropäische Interessen durchzusetzen.

Seine größte Baustelle sind aber die Netze. Neue Gaspipelines und neue Stromleitungen sollen für Energiesicherheit sorgen. Im November stellte er einen großen Infrastrukturplan vor. "In der Tat haben wir bei der Infrastruktur, also bei großen Überlandnetzen für Strom und bei Gasleitungen einen erheblichen Nachholbedarf", erklärte er. "Deshalb wollen wir, dass in den nächsten zehn und noch mal zehn Jahren ein echter Binnenmarkt entsteht und auch Transporte zwischen den Mitgliedsstaaten möglich werden."

Forderung nach Investition in Energienetze

Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass sich die erneuerbaren Energien tatsächlich durchsetzen können. Denn erst wenn die Leitungen vorhanden sind, kann die im Norden gewonnene Windenergie und die im Süden erzeugte Sonnenenergie dorthin fließen, wo sie gebraucht wird. Eine ganze Billion Euro soll Europa nach Oettingers Vorstellungen dafür investieren.

Der Lackmustest für Oettingers Pläne kommt Anfang 2011. Im Februar wird sich erstmals ein EU-Gipfel eigens mit der Energiepolitik beschäftigen - auch ein Zeichen dafür, dass die Energiefragen im Zentrum der europäischen Politik angekommen sind. Und somit auch Günther Oettinger.