Claudia Goldin
analyse

Nobelpreis für Ökonomin Goldin Warum Frauen so oft weniger verdienen

Stand: 09.10.2023 17:02 Uhr

Das Forschungsfeld von Claudia Goldin war lange wenig beachtet: Die Geschlechter-Unterschiede bei der Bezahlung. Für ihren historischen Erklärungsansatz erhält die Harvard-Ökonomin den diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreis.

Als dritte Frau hat die Ökonomin Claudia Goldin den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigt damit die Leistungen der in Harvard lehrenden Amerikanerin auf einem in der Vergangenheit wenig repräsentierten Feld: der Rolle der Frau in der Arbeitswelt.

Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geht an US-Ökonomin Claudia Goldin

Sarah Schmidt, ARD Washington, tagesschau, 09.10.2023 20:00 Uhr

Ursprünge im Blick

In ihrer seit den 1960er-Jahren stark quantitativ-mathematisch orientierten Wissenschaft vertritt die 77-Jährige einen ungewöhnlich breiten Ansatz, der insbesondere die historische Dimension einbezieht. So erklärt sie in ihrer Forschung häufig aktuelle ökonomische Phänomene aus ihren geschichtlichen Ursprüngen heraus.

Bereits mit ihrer Dissertation an der Universität von Chicago (1972) setzte Goldin einen solchen Akzent. In der Arbeit untersuchte sie die ökonomischen Implikationen der Sklaverei in den amerikanischen Städten vor dem Bürgerkrieg.

Eine Geschichte der Arbeit

In den 1970er-Jahren wurde von manchen Geisteswissenschaftlern ein "ökonomischer Imperialismus" der Chicagoer Universität kritisiert. Ökonomen drangen aus ihrer Sicht in ihre Domäne ein, erforschten immer weitere Bereiche des menschlichen Zusammenlebens mit mikroökonomischen Modellen oder erklärten sie mit ökonomischen Handlungsmustern. Goldin nimmt eine stärker historisch-soziologische Perspektive ein.

Eine zentrale Arbeit in diesem Zusammenhang ist das Buch "Understanding the Gender Gap: An Economic History of American Women" (1990), in dem sie die Geschichte weiblicher Arbeit seit dem 18. Jahrhundert bis heute und deren Bedeutung für wirtschaftliches Wachstum untersucht. Dabei geht sie der Frage nach, warum Geschlechterunterschiede bei der Entlohnung und Beschäftigung entstanden und bis heute bestehen.

"Überraschende Einblicke"

Mit dieser und weiteren Arbeiten habe Goldin den ersten umfassenden Beitrag über das Einkommen und die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Laufe der Jahrhunderte geliefert, sagte der Vorsitzende des zuständigen Nobelkomitees, Jakob Svensson. Die Forschung habe die wichtigsten Treiber für die noch immer verbleibende Kluft zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt aufgedeckt, würdigte die Akademie.

"Ihre Forschungen haben uns neue und oft überraschende Einblicke in die historische und aktuelle Rolle der Frauen auf dem Arbeitsmarkt gegeben", so die Akademie. Ein Ergebnis sei die Feststellung, dass ein steigender Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt die Einkommensunterschiede zu den Männern lange Zeit kaum verringere. "Laut Goldin liegt ein Teil der Erklärung darin, dass Bildungsentscheidungen, die sich auf die Karrierechancen eines ganzen Lebens auswirken, in einem relativ jungen Alter getroffen werden", erklärten die Juroren.

Weiter große Unterschiede beim Lohn

Außerdem habe Goldins Arbeit gezeigt, dass der "Zugang zur Antibabypille" eine wichtige Rolle beim beschleunigten Anstiegs des Bildungsniveaus im 20. Jahrhundert gespielt habe, so die Juroren. Heute bestehe in den USA "der größte Teil der Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen im gleichen Beruf" - und entstehe mit der Geburt des ersten Kindes.

Goldin sei "überrascht und sehr, sehr froh" gewesen, als er ihr von ihrer Auszeichnung berichtet habe, sagte der Generalsekretär der Akademie, Hans Ellegren. Die Wissenschaftlerin selbst sieht ihre Auszeichnung als wichtige Würdigung für die Erforschung der Rolle von Frauen am Arbeitsmarkt. Der Nobelpreis sei bedeutend "für die vielen Menschen, die in diesem Bereich arbeiten". Tatsächlich gebe es "große Veränderungen" bei der Arbeitsmarkt-Integration von Frauen, "aber immer noch große Unterschiede bei der Bezahlung".

"Großer Tag für Genderökonomie"

In der Fachwelt gab es viel Zustimmung für die Auswahl von Goldin, die als erste Einzelpreisträgerin in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften ausgewählt wurde. Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, nannte die Harvard-Professorin eine "hervorragende Wahl" für die prestigeträchtige Auszeichnung. Goldin sei "unglaublich kreativ und gehört zur Spitze der weltweiten volkswirtschaftlichen Forschung".

"Ein großer Tag für Wirtschaftsgeschichte und Genderökonomie", schrieb der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. Goldins Forschung zeige, wie langfristige Perspektiven entscheidende neue Erkenntnisse zu wirtschaftlichen Fragen erster Ordnung liefern können.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bezeichnete die Auszeichnung Goldins als Weckruf für Deutschland in Sachen Chancengleichheit. "Claudia Goldin hat mit ihrer Forschung viele Leerstellen gefüllt, insbesondere in der Forschung zur Ungleichheit zwischen Männern und Frauen." Die Gleichstellung von Mann und Frau sei heute das größte nicht ausgeschöpfte wirtschaftliche Potenzial für Deutschland, so der Ökonom.

Preis wird von der Reichsbank verliehen

Die 1946 in New York geborene Goldin kam nach mehreren Lehraufträgen 1990 an die renommierte Harvard-Universität und wirkt als Mitglied und Vorsitzende in zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen.

Der Wirtschaftsnobelpreis geht im Gegensatz zu den anderen Preisen nicht direkt auf das Testament des Preisstifters Alfred Nobel zurück. Er wird seit 1969 von der Schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel verliehen. Alle Nobelpreise sind in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) pro Preiskategorie dotiert, das ist eine Million mehr als in den Vorjahren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 09. Oktober 2023 um 16:26 Uhr.