Interview

Interview "Jede Branche muss ihre Lösung suchen"

Stand: 27.08.2007 11:55 Uhr

Eine Ausbildungsabgabe für alle Branchen wollte die SPD. In der Bauwirtschaft aber gibt es schon eine tariflich vereinbarte Abgabe, mit der ein Teil der Ausbildung finanziert wird. tagesschau.de sprach darüber mit Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie.

tageschau.de: Wie sieht Ihr Modell der "Ausbildungsabgabe" aus?

Michael Knipper: Die deutsche Bauindustrie hat schon vor Jahren auf Grund der zersplitterten Struktur der Branche – wir haben über 78.000 Unternehmen, darunter sehr viele Kleinbetriebe – entschieden, dass wir ein kollektives, tarifliches Ausbildungssystem brauchen, das über eine Umlage finanziert wird. Jedes Unternehmen muss für jeden Mitarbeiter derzeit 1,2 Prozent der Bruttolohnsumme an eine gemeinsame Kasse überweisen. Mit diesen Einnahmen wird dann den Betrieben, die ausbilden, ein Teil der Ausgaben erstattet. Im ersten Lehrjahr zehn Monate Gehalt, im zweiten sechs Monate und im dritten Lehrjahr einen Monat. Dazu erstatten wir noch einen Teil der Sozialkassenbeitrage. Das sind insgesamt 70 Prozent der gesamten Ausbildungskosten.

tageschau.de: Kann dieses Modell Vorbildcharakter für andere Branchen haben?

Knipper: Nein. Jede Branche muss ihre eigenen Lösungen suchen. Die Besonderheiten der Baubranche sind nicht auf andere zu übertragen. Wir haben eine kleinteilige Struktur, legen aber großen Wert darauf, eine qualitative hochwertige Ausbildung sicherzustellen. Deswegen haben wir uns für das kollektive tarifliche System entschieden. Die jungen Mitarbeiter sind also zum Teil im Betrieb und im Schnitt 18 Wochen in überbetrieblichen Ausbildungszentren. Aber: Jedes unserer bundesweit 53 Ausbildungszentrum kostet zehn bis 15 Millionen Euro.

tageschau.de: Der DGB kritisiert, dass in der gesamten Wirtschaft nur noch 23 Prozent aller Betriebe ausbilden, Tendenz sinkend. Kann man dieser Entwicklung tatenlos zusehen?

Knipper: Die Erfahrungen der Bauwirtschaft zeigen, dass Konjunktur- und Strukturkrisen nicht mit kollektiven Umlagesystem abgefedert werden können. Auf dem Höhepunkt der Baukonjunktur hatten wir Mitte der neunziger Jahre noch 100.000 Lehrlinge. Jetzt sind es nur noch rund 40.000 – obwohl die Ausbildung bezahlt wird. Wenn die Betriebe mit dem Rücken zur Wand stehen, bilden sie nicht mehr aus. Die Betriebe haben Angst, Lehrlinge einzustellen, die sie nach Ablauf der Ausbildung nicht übernehmen können.

tagesschau.de: Die Frage aber bleibt, wie die Lehrstellenkrise bewältigt werden kann.

Knipper: Man müsste jede Branche einzeln fragen, wie ihre Probleme gelöst werden. Man könnte zum Beispiel mit dem Tarifpartner übereinkommen, die Lehrlingsgehälter um zehn Prozent zu senken, dafür aber neue Lehrlinge einstellen. Ich werfe der Politik vor, dass sie sich überhaupt nicht mit den Erfahrungen unserer Branche auseinandergesetzt hat. Wenn sie jetzt eine Super-Behörde aufbauen, die von den Betrieben eine Abgabe oder Umlage kassiert, dann führt das zu massiven Fehlsteuerungen. Die Lehrlinge werden ja nicht nach dem Bedarf des Marktes ausgebildet. Außerdem wird es Akzeptanzprobleme geben. Warum sollte eine Branche Interesse haben, einer anderen die Ausbildung zu bezahlen? Im übrigen: In wenigen Jahren werden wir aufgrund der demgraphischen Entwicklung händerringend Lehrlinge suchen. Wieso bauen wir für wenige Jahre ein teures, aufwändiges System auf, dass dann ohnehin überflüssig wird, weil dann ein Wettbewerb um die Lehrlinge einsetzt, wie wir ihn uns bislang gar nicht vorstellen.

tageschau.de: Liegt das Versagen allein auf Seiten der Politik?

Knipper: Natürlich soll am deutschen Bauwesen nicht das deutsche Berufsbildungswesen genesen. Ich werfe den anderen Branchen aber vor, dass sie sich nicht ausreichend damit beschäftigt haben, wie sie das Problem lösen können. Dort könnte man sich auch mal Gedanken machen, ob man branchenspezifische Lösungen finden kann. Hier ist noch nicht genug getan worden. Unser System ist für unsere Branche das richtige und wird angenommen. Trotz achtjähriger Strukturkrise haben wir in diesem Jahr über drei Prozent mehr Neuverträge. Die Firmen begreifen: Wir brauchen gut ausgebildetes Fachpersonal, in wenigen Jahren werden wir uns um gute Leute reißen.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de