Stahlwerk an der Weser im Sonnenaufgang.
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Rezessionsrisiko steigt Dauerkrise der Industrie ein schlechtes Omen?

Stand: 09.01.2024 14:28 Uhr

Die schlechten Nachrichten aus der deutschen Industrie wollen einfach nicht abreißen. Das bedeutet für die Konjunktur nichts Gutes: Droht Deutschland auch 2024 eine Rezession?

Eine Analyse von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion

Die Industrie gilt nicht umsonst als Motor der deutschen Wirtschaft, trägt sie doch etwas mehr als ein Viertel zum hiesigen Bruttoinlandsprodukt bei. Doch dieser Motor stottert gewaltig - und das nicht erst seit gestern. So ist die Industrieproduktion im November gegenüber Oktober um 0,7 Prozent gefallen. Das war nicht nur eine deutlichere Schwäche als erwartet - Ökonomen hatten im Schnitt mit einem Plus von 0,2 Prozent gerechnet. Es war auch der sechste Rückgang in Folge. Eine vergleichbar lange Negativserie hatte es zuletzt 2008 während der Finanzkrise gegeben.

Dabei ist der abermalige Rückgang der Produktion im November nur das Tüpfelchen auf dem i im langfristigen Niedergang der deutschen Industrie. Denn der Aufwärtstrend der deutschen Industrieproduktion war bereits vor Jahren zum Erliegen gekommen; seit 2018 zeigt der Produktionsindex des produzierenden Gewerbes in Deutschland eine fallende Tendenz. Zwar konnte der Einbruch im ersten Pandemiejahr rasch aufgeholt werden, doch der übergeordnete Abwärtstrend ist weiter intakt.

Rutscht Deutschland erneut in die Rezession?

Die Rezession in der Industrie hat sich somit verfestigt - und das hat wiederum massive Folgen für die deutsche Konjunktur. Denn die Industrie hat hierzulande einen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern recht hohen Anteil an der Wirtschaftsleistung. Das wird Deutschland nun zum Verhängnis. Es deute immer mehr auf ein erneutes Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im vierten Quartal hin, schlussfolgert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Im dritten Quartal 2023 war das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent gesunken. Ökonomen sprechen bei zwei Quartalen mit schrumpfender Wirtschaftsleistung in Folge von einer "technischen Rezession". Diese scheint einer Vielzahl von Experten zufolge nun nahezu unausweichlich. So schrieb etwa die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht: "Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland dürfte im vierten Quartal 2023 erneut zurückgehen."

Schlechte Ausgangsbasis für das Wirtschaftsjahr 2024

Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft dauerte somit auch zum Jahresende an. Doch wie sieht es 2024 aus, wird im neuen Jahr endlich alles besser? Ökonomen sind skeptisch. Die Ausgangsbasis für das neue Jahr habe sich verschlechtert, erklärt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer, der für 2024 mit einem Minus von 0,3 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt rechnet.

Auch Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), erwartet, dass die deutsche Wirtschaftsleistung im neuen Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen wird.

Frühindikatoren zeigen Richtung Rezession

Denn die Industrie dürfte auch 2024 zunächst nicht aus dem Krisenmodus herauskommen - das signalisieren jedenfalls die sinkenden Auftragseingänge. In die gleiche Richtung deutet auch der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex, bei dem es sich dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge um einen "nützlichen Frühindikator für die Industrieproduktion" handelt. Kein Wunder, erfolgt hierzulande doch rund 80 Prozent der Warenbeförderung per Lkw.

Die Mauterhebung beim Lkw-Verkehr auf Bundesautobahnen liefert dadurch sehr früh Hinweise zur aktuellen Konjunkturentwicklung. Im Dezember brach der entsprechende Index um 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat ein, auch der übergeordnete Trend zeigt nach unten.

Weitere wichtige Frühindikatoren deuten in die gleiche Richtung, so befindet sich das ifo-Geschäftsklima im Rezessionsbereich. Zu allem Übel schwächelt nicht nur die Industrie - auch der private Konsum lahmt. Darauf deuten die sinkenden Umsätze im Einzelhandel hin.

Druck auf EZB steigt

Doch warum tut sich die deutsche Wirtschaft so schwer, wieder Tritt zu fassen? Der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel, spricht von einem "giftigen Cocktail": einer Kombination aus hoher Inflation und Zinsen bei einer gleichzeitig schwachen Weltwirtschaft. Die Europäische Zentralbank hatte den Leitzins im Dezember zum zweiten Mal in Folge unverändert bei 4,5 Prozent belassen. Vorangegangen waren zehn Zinserhöhungen. Höhere Zinsen bedeuten höhere Finanzierungskosten für die Unternehmen, das dämpft die Investitionen.

Fakt ist: Die sich eintrübenden Konjunkturperspektiven für die größte Volkswirtschaft der Eurozone sind ein wichtiger Fingerzeig in Richtung EZB. Der Druck auf die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde steigt, die Zinswende im neuen Jahr rasch einzuleiten - und so der Wirtschaft wieder etwas Luft zum Atmen zu geben.