Interview

Welchen Wert haben Wirtschaftsprognosen? "Keiner wollte Warnungen vor der Krise hören"

Stand: 15.10.2009 00:21 Uhr

Die Wirtschaft steckt in der Krise - das belegt auch das Herbstgutachten: Für dieses Jahr wird mit einem Konjunkturrückgang von fünf Prozent gerechnet. Aber warum haben Wissenschaftler nicht lange vor Beginn der Krise vor dieser Entwicklung gewarnt? Das haben viele, sagt der Publizist Stefan Frank im tagesschau.de-Interview - nur wollte sie niemand hören. Und dieser Fehler wiederhole sich gerade.

tagesschau.de: Inwieweit haben die Wirtschaftswissenschaftler und Experten im Vorfeld der Wirtschaftskrise versagt?

Stefan Frank: Während eines Booms sind fast alle optimistisch, gerade die Ökonomen. Es gab zwar - vor allem in den USA - viele, die jahrelang immer wieder gesagt haben, dass die Blase platzen und die Party ein jähes Ende nehmen wird. Dennoch waren sie eine Minderheit ohne Einfluss.

Stefan Frank

Stefan Frank

tagesschau.de: Warum wurden diese Experten nicht erhört?

Frank: Weil man sie nicht hören wollte. Es schien alles gut zu gehen, man hat nicht geglaubt, dass die Immobilien-Blase irgendwann platzen würde. Und man wollte es auch nicht glauben. Die Banken machten hohe Gewinne, die Konsumenten hatten Zugang zu billigen Krediten, die Politiker waren zufrieden, weil das Wirtschaftswachstum hoch war. Diejenigen, die warnten - im deutschsprachigen Raum sind hier beispielsweise Roland Leuschel, Marc Faber oder der verstorbene Kurt Richebächer zu nennen - galten als Miesmacher und unverbesserliche Pessimisten.

Zur Person
Der Politikwissenschaftler und Publizist Stefan Frank analysiert regelmäßig die Entwicklungen an den Finanzmärkten für Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem für die linke Monatszeitschrift "konkret". Dennoch wird er für seine Publikationen auch von konservativer Seite gelobt. Die FAZ schrieb, Frank sei "einer der klügsten Mitarbeiter" der Zeitschrift. Sein Buch "Die Weltvernichtungsmaschine" lese sich wie die Artikelserie aus einer ordoliberalen Wirtschaftszeitung. Mit seinen Positionen eckt Frank vor allem bei Keynes-Anhängern an.

tagesschau.de: Jetzt wird viel Geld in die Hand genommen, um die Krise zu bewältigen. Wie bewerten Sie dieses Konzept?

Frank: Die Regierungen sollten aufhören, Geld nutzlos zu verpulvern. Die Krise der Wirtschaft besteht darin, dass sie sich an neue Bedingungen anpassen muss. Die Zeit der "Bubble-Economy" ist vorbei, von nun an wird die Nachfrage sich wieder an den tatsächlich vorhandenen Ersparnissen ausrichten müssen statt an einer immer weiter wachsenden Verschuldung der Konsumenten. Dieser Anpassungsprozess wird durch Maßnahmen wie die Abwrackprämie verlangsamt: Ihr Ziel ist es ja, Verbraucher durch den Kauf eines Autos in Schulden zu treiben. Und durch die Verschrottung fahrtüchtiger Autos wird Wohlstand vernichtet, nicht geschaffen.

tagesschau.de: Doch wenn der Staat Geld investiert und Banken wie die HRE verstaatlicht - dann hat er auch etwas in der Hand.

Frank: Der Staat übernimmt solche Banken, um die Schulden zu verwalten. Er gibt viel Geld aus für Verpflichtungen, aber nicht für echte Werte. Wenn der Staat beispielsweise die Stromkonzerne wieder verstaatlichen würde, hätte er sich Werte und zukünftige Einnahmen gesichert. Bei der HRE ist er aber Konkursverwalter. Für den Steuerzahler ergeben sich keine Gewinne in der Zukunft, sondern unkalkulierbare Risiken.

Hypo Real Estate

"Die Pleiten drohen nach wie vor", so Frank zu der Situation der HRE und anderen Banken.

tagesschau.de: Nur wenige Banken wollen ihre faulen Wertpapiere mit staatlicher Unterstützung in Bad Banks auslagern. Warum?

Frank: Einige der weniger toxischen Papiere konnten die Banken in den vergangenen Monaten an private Investoren verkaufen. Über den Rest wollen sie wahrscheinlich lieber den Mantel des Schweigens breiten. Der Staat hat die Banken ja dazu ermächtigt, die Papiere nicht mehr nach ihrem tatsächlichen Wert zu bilanzieren, sondern nach Phantasie-"Modellen". Wenn eine Bad Bank toxische Papiere aufkauft, bekommen diese Papiere plötzlich wieder einen Preis, und das könnte peinlich werden.

tagesschau.de: Bei vielen Banken hört man nur noch wenig von der Krise. Warum?

Frank: Sie machen derzeit ein gutes Geschäft, indem sie billiges Geld, das die Notenbanken zur Verfügung stellen, in Staatsanleihen investieren oder sogar bei den Notenbanken parken und dafür Zinsen kassieren. Das sind Geschäfte mit sehr niedrigem Risiko. Kein Wunder, dass manche Unternehmen über eine Kreditklemme klagen.

"Rating Agenturen gehören zu den Hauptverantwortlichen der Krise"

tagesschau.de: Zurzeit wird über die Gründung einer europäischen Rating-Agentur diskutiert. Wäre dies ein sinnvoller Schritt?

Frank: Die Rating-Agenturen gehören zusammen mit den Banken und den Notenbanken zu den Hauptverantwortlichen für die Krise. Sie haben sozusagen aus Stroh Gold gemacht, zumindest hat man es eine Zeit lang dafür gehalten. Es wurden viele dubiose Kredite in einen Pool gebracht, dann haben die Rating-Agenturen ihren Stempel drauf gesetzt und gesagt, das sei so gut wie eine erstklassige Staatsanleihe. Die Gründung einer weiteren Agentur wird an den entscheidenden Problemen nichts ändern, da der Staat seine Kontrollfunktion weiterhin an ein privates Unternehmen delegiert. Dieses Unternehmen verdient sein Geld mit der Vergabe von Ratings, es will daher seine Kunden, also die Emittenten der Wertpapiere, nicht verprellen.

tagesschau.de: Wie wird es in der Krise weitergehen?

Frank: Die Arbeitslosigkeit steigt weltweit, die deutschen Exporte sind deutlich gefallen, das US-Haushaltsdefizit hat sich verdreifacht. Zudem haben die Notenbanken so viel Geld in die Märkte gepumpt, dass sie sich eine Rückkehr des Wachstums eigentlich gar nicht wünschen können, weil es dann zu einer Inflation käme, die die der 1970iger noch weit übersteigen würde. Die gigantischen Gelddruckprogramme werden das Vertrauen in die Währungen erschüttern. Der Goldpreis, der auf über 1000 Dollar gestiegen ist, ist ein Omen. Die Rezession ist längst nicht zu Ende. Der Boom wurde von einer exzessiven Verschuldung gespeist, und diese Schulden müssen nun zurückgezahlt werden, während gleichzeitig die Einkommen zurückgehen.

tagesschau.de: Sie schreiben unter anderem für die linke Monatszeitschrift "konkret" - und kritisieren den Keynesianismus. Sicherlich erhalten Sie für ihre Analysen nicht nur Beifall.

Frank: Viele Vertreter der akademischen und gewerkschaftlichen Linken meinen, dass Rezessionen dadurch behoben werden könnten, dass die Notenbank viel billiges Geld zur Verfügung stellt und der Staat sich noch stärker verschuldet. Ideologisch treffen sie sich da mit Alan Greenspan und George W. Bush - denn das ist ja gerade die Politik, die in den USA seit 2001 praktiziert wurde, mit den bekannten Folgen.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de