Hintergrund

Haushaltspolitischer Streit in den USA Zittern vor der "Fiskalklippe"

Stand: 16.11.2012 13:59 Uhr

Als eine der dringendsten Aufgaben seit seiner Wiederwahl muss US-Präsident Obama den haushaltspolitischen Streit mit den Republikanern lösen. Gelingt ihm dies nicht, tritt die sogenannte Fiskalklippe in Kraft. Die Folgen: Die USA könnten in eine neue Rezession geraten - und Europa mitreißen.

Von Anna-Mareike Krause, tagesschau.de

Es war Ben Bernanke, der den Begriff "Fiskalklippe" erfand. Bernanke, der pragmatische US-amerikanische Notenbankchef, warnt seit Februar vor jenem Szenario, das, so befürchten Experten weltweit, nicht nur die USA in eine erneute Rezession stürzen könnte.

Die Zeit läuft: Sollten Demokraten und Republikaner sich nicht auf einen fiskalpolitischen Kompromiss einigen können, dann treten zum 1. Januar 2013 eine Reihe von Maßnahmen in Kraft, die teils noch unter Präsident George W. Bush beschlossen wurden, teils der Kongress im vergangenen August unter dem Druck der drohenden Zahlungsunfähigkeit verabschiedet hatte.

Rüdiger Paulert, R. Paulert, WDR Washington, 16.11.2012 21:17 Uhr

Haushaltskürzungen, höhere Steuern, steigende Rentenbeiträge

Für die Fiskalklippe spielen besonders drei Themen eine Rolle: Das Auslaufen der Bush-Steuerreformen, steigende Rentenbeiträge sowie das automatische Inkrafttreten von Haushaltskürzungen in Höhe von 109 Milliarden Dollar, alles zum 1. Januar 2013. 

Die Bush-Reformen aus den Jahren 2001 und 2003 beinhalteten Steuersenkungen, diese sollten die Wirtschaft ankurbeln. Obwohl der Effekt von Steuerentlastungen insbesondere hoher Einkommen auf die US-Wirtschaft umstritten ist, wurden die "Bush-Tax-Cuts" im Jahr 2010 um weitere zwei Jahre verlängert. Diese Verlängerung läuft zum 1.1.2013 aus. Dazu steigen die Rentenbeiträge von 4,2 auf 6,2 Prozent.

Das dritte Thema, die automatische Haushaltskürzung in Höhe von 109 Milliarden Dollar, ist Teil des von Republikanern und Demokraten ausgehandelten Kompromisses vom August 2011. Er stand am Ende der bisher größten fiskalpolitischen Krise der Vereinigten Staaten.  Mehrere Tage stand die größte Wirtschaftsmacht der Welt vor der Zahlungsunfähigkeit, wochenlang rangen die beiden großen Parteien um eine Lösung.

Hintergrund: Das US-Finanzministerium darf bis zu einer vom Kongress festgelegten Grenze Kredite aufnehmen. Diese Grenze, die sogenannte "Debt-Ceiling", die Schuldendecke, lag seit 2010 bei 14,3 Billionen US-Dollar. Bereits im Mai 2011 warnte das US-Finanzministerium, am 2. August 2011 würde die Schuldendecke erreicht. Ohne eine Erhöhung des Limits drohe den USA die Zahlungsunfähigkeit.

Nach einer wochenlangen Debatte, in der die Republikaner stets eine – auch nur zeitweise – Erhöhung der Schuldendecke ausgeschlossen hatten, willigten sie letztendlich doch in eine zweistufige Anhebung der Schuldengrenze um mindestens 2,1 Bilionen Dollar ein. Derzeit liegen die Gesamtschulden bei 16,2 Billionen Dollar. Im Gegenzug beinhaltet der Kompromiss eine automatische Kürzung des Haushaltes, sollte das Defizit nicht reduziert werden. Die Höhe dieser Haushaltskürzung: 109 Milliarden Dollar pro Jahr – ab 2013.

All dies dient zwar der Reduzierung des Staatsdefizits, könnte aber die Wirtschaft nachhaltig noch stärker belasten. Denn insgesamt würde durch das Inkrafttreten aller Maßnahmen zwar das Staatsdefizit um rund 500 Milliarden Dollar reduziert, dieser Betrag würde aber gleichzeitig dem US-amerikanischen Wirtschaftskreislauf fehlen – das entspricht fast vier Prozent des Brutto-Inland-Produkts (BIP).

Eine US-Rezession würde Europa mitreißen

Derart abrupt belastet würde die immer noch fragile US-Wirtschaft nach Schätzung etlicher Experten erneut in eine Rezession stürzen – und Europa schlimmstenfalls mitreißen. In der Rezession würde die Arbeitslosenquote  der USA voraussichtlich auf mehr als neun Prozent steigen.

Das Congressional Budget Office, der unabhängiger Expertendienst des Kongresses – etwa vergleichbar mit dem wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages – hat eine alternative Berechnung vorgelegt. Wenn die Steuerentlastungen der Bush-Regierung noch einmal verlängert und gleichzeitig weniger Ausgaben gekürzt würden, dann sinkt zwar das US-Defizit wesentlich langsamer als geplant, die Fiskalklippe wäre aber umschifft.

Um dennoch neues Geld in den Haushalt zu spülen, will US-Präsident Barack Obama Einkommen von mehr als 250.000 Dollar jährlich stärker besteuern. Es ist eine alte Forderung von ihm, die bisher von den Republikanern blockiert wurde.

Denn die Linie der Republikaner ist eindeutig:  Haushaltssanierung soll über radikales Sparen passieren – unter keinen Umständen durch Steuererhöhungen. Es wird also ein Kräftemessen zwischen dem demokratischen Präsidenten und den Republikanern, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit stellen. Von 241 republikanischen Kongressleuten und 47 Senatorinnen und Senatoren haben 279 den "No new Tax Pledge" unterzeichnet -  einen Eid gegen jegliche neuen Steuern.