Händler an der NYSE
Marktbericht

Furcht vor steigenden Zinsen Wall Street setzt Talfahrt fort

Stand: 15.12.2022 22:16 Uhr

Die großen US-Indizes schließen den Handelstag mit großen Verlusten ab. Die Zinsen dürften auch im nächsten Jahr weiter steigen - und länger als erhofft auf einem hohen Niveau bleiben.

Die großen US-Indizes schließen den Handelstag mit großen Verlusten ab. Die Zinsen dürften auch im nächsten Jahr weiter steigen - und länger als erhofft auf einem hohen Niveau bleiben.

Heitere vorweihnachtliche Stimmung suchte man an den Börsen heute vergeblich. Stattdessen überwogen an der Wall Street in den USA erneut die Sorgen vor einem anhaltend restriktiven Kurs der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed). Nachdem sich die amerikanische Inflation im November abgeschwächt und für kurze Euphorie an den Börsen gesorgt hatte, ließ Fed-Chef Jerome Powell die Ängste vor weiteren deutlichen Zinsschritten schnell wieder aufflammen. "Wir werden Kurs halten, bis die Arbeit erledigt ist", sagte er und dämpfte damit Hoffnungen auf Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte 2023.

Die rasche Ernüchterung der Anleger zeigte sich in den heftigen Kursverlusten der großen US-Indizes bis Handelsschluss. Der US-Leitindex Dow Jones sackte um 2,3 Prozent ab. Für den breiter gefassten S&P 500 ging es 2,5 Prozent abwärts. Der technologielastige Nasdaq rasselte um 3,2 Prozent nach unten.

Obwohl die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) um 0,5 Prozentpunkte auf 2,50 Prozent heute weitgehend erwartet wurde, flüchteten Anleger europaweit dennoch aus Aktien. Grund dafür: Auch die Währungshüter der EZB kündigten heute weitere signifikante Zinsschritte an. Zum Handelsschluss fiel der DAX deutlich um 3,3 Prozent auf 13.986. Für den deutschen Leitindex war es der größte Tagesverlust in sechs Monaten.

"Die EZB stellt alle Signale auf restriktiv", kommentierte Volkswirtin Metal Mehta von Legal & General Investment Management. Sie schließe aus Sorge um die Inflation zu anderen Zentralbanken auf, die ebenfalls die Zügel angezogen hätten. Denn neben den Aussagen zu weiteren Zinsanhebungen sollen die Anleihebestände von März an schrittweise zurückgefahren werden.

Zudem hob die EZB ihre Inflationserwartungen für die kommenden zwei Jahre zum Teil deutlich an, während sie die Prognose für das Wachstum im Euroraum senkte. "Damit wird das so gefürchtete Stagflationsszenario ein gutes Stück wahrscheinlicher", so Thomas Altmann, Portfoliomanager von QC Partners. Ernst werde es zudem, sobald die Rückzahlungsbeträge aus fälligen Anleihen nicht mehr vollständig reinvestiert würden und so dem Markt Liquidität entzogen werde.

Aus den USA kamen heute gute und schlechte Nachrichten zur Lage der Konjunktur. So ist in den USA die Zahl der wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe unerwartet gesunken. Sie ging um 20.000 auf 211.000 zurück, wie das Arbeitsministerium heute mitteilte. Experten hatten mit einem leichten Anstieg gerechnet. Das Niveau der Hilfsanträge zeigt eine robuste Lage auf dem Arbeitsmarkt.

Schlechte Nachrichten kamen dagegen aus dem amerikanischen Einzelhandel. Dieser hat in den USA im November überraschend große Umsatzeinbußen erlitten. Die Einnahmen sanken um 0,6 Prozent zum Vormonat, wie das Handelsministerium heute bekannt gab. Im Oktober hatten die Händler noch ein Umsatzplus von 1,3 Prozent erzielt.

Auch die Britische Notenbank stemmt sich mit einer weiteren Zinsanhebung gegen die hohe Inflation. Der Leitzins steigt um 0,5 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent, wie die Bank of England (BoE) heute verkündete. Experten hatten mit dieser Entscheidung weitgehend gerechnet. Es ist die neunte Zinserhöhung seit Ende vergangenen Jahres, damals lag der Leitzins noch knapp über der Nulllinie. Wie auch andere Notenbanken befindet sich die Bank of England allerdings zunehmend in einem Dilemma: Auf der einen Seite will sie mit ihrer strafferen Geldpolitik gegen die hohe Teuerung von zuletzt 10,7 Prozent angehen. Auf der anderen Seite steckt die britische Wirtschaft wegen des Ukraine-Kriegs in schweren Zeiten.

Nach der im Rahmen der Erwartungen ausgefallenen Zinsentscheidung der Bank von England ziehen sich Anleger aus dem Pfund Sterling zurück. Die britische Währung fällt um 1,89 Prozent auf 1,2184 Dollar. Die Uneinigkeit unter den Notenbankern sorge für Verwirrung unter Anlegern, sagte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. Von den neun BoE-Führungsmitgliedern votierte eines für eine höhere Zinserhöhung, während zwei vor dem Hintergrund der schwächelnden Konjunktur eine Zinserhöhungspause favorisierten.

Am späten Abend kostete die europäische Gemeinschaftswährung 1,0625 Dollar. Das sind 0,49 Prozent weniger als am Vortag.

Gold hat seine Verluste ausgeweitet. Die Feinunze Gold notiert mit einem Abschlag von 1,73 Prozent bei 1783 Dollar, nachdem sie im Wochenverlauf zeitweise schon bei 1824 Dollar gehandelt worden war. Steigende Zinserwartungen machen das gelbe Edelmetall weniger attraktiv, wirft es selbst doch keine Zinsen oder Dividenden ab.

Die Ölpreise sind nach einem zwischenzeitlichen Plus heute deutlich ins Minus gedreht. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent kostete 81,81 US-Dollar. Das sind 1,12 Prozent weniger als am Vortag. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) fiel um 0,83 Prozent auf 76,69 Dollar.

Der Autozulieferer Hella aus Lippstadt will den Erlös aus dem Verkauf seines Joint-Venture-Anteils an HBPO als Sonderdividende an die Aktionäre weiterreichen. Neben der regulären Dividende im Rahmen der Dividendenpolitik von rund 30 Prozent des Bilanzgewinns solle für das Rumpfgeschäftsjahr 2022 der Hauptversammlung zusätzlich die Zahlung einer Sonderdividende in Höhe von 2,61 Euro je Aktie vorgeschlagen werden. Damit flössen die erzielten 290 Millionen Euro aus dem im Juli angekündigten Verkauf der Anteile an die Eigentümer weiter.

Rheinmetall baut im niedersächsischen Unterlüß im Landkreis Celle eine umfangreiche neue Munitionsfertigung mit dem Ziel einer unabhängigen Versorgung der Bundeswehr auf. Die Anlagen für sogenannte Mittelkalibermunition sollen im Januar fertig sein, im Juni nächsten Jahres soll mit der Fertigung begonnen werden.

Schwache Konjunkturdaten aus China setzen europäischen Luxusgüterkonzernen zu. Die Papiere der stark von der chinesischen Wirtschaft abhängigen Firma LVMH fallen in Paris um 2,8 Prozent. Auch Hermes und die Gucci-Mutter Kering verlieren 3,9 Prozent beziehungsweise 4,9 Prozent. Zuvor war bekannt geworden, dass die Industrieproduktion in China sich im November verlangsamte und dass Einzelhandelsumsätze zurückgingen. Beide Werte fielen schlechter als erwartet aus und erreichten den niedrigsten Stand seit Mai.

Europas größter Zuckerkonzern Südzucker stellt sich auf weiter steigende Umsätze und Gewinne ein. Für das Geschäftsjahr 2023/2024, das am 1. März beginne, sei mit einer Steigerung des Umsatzes zu rechnen. Der Betriebsgewinn (Ebitda) werde zwischen 1,0 und 1,2 Milliarden Euro liegen, nach 890 bis 990 Millionen Euro im laufenden Geschäftsjahr. Beim operativen Ergebnis sagt das Unternehmen einen Anstieg auf 650 und 850 Millionen Euro voraus, für das Jahr bis Ende Februar 2023 wird mit 530 bis 630 Millionen Euro gerechnet. Annahme sei, dass sich die Energieversorgung stabilisiere und Südzucker weiterhin von den vor Beginn des Ukraine-Kriegs abgesicherten Energiepreisen profitiere.

Die Energiekonzerne TotalEnergies und Aramco wollen in Saudi-Arabien eine petrochemische Anlage mit einem Investitionsvolumen von umgerechnet 10,4 Milliarden Euro errichten. Die Anlage soll von einem Gemeinschaftsunternehmen betrieben werden und 2027 an den Start gehen. Die Anlage soll die Umwandlung von Gas und Kondensat in Chemikalien mit höherer Wertschöpfung ermöglichen und in eine bestehende Raffinerie integriert werden. Um den Komplex herum sollen von anderen Investoren später weitere Anlagen zur Produktion von Kohlefasern, Schmierstoffen, Spezialflüssigkeiten, Autoteilen und Reifen geschaffen werden.

Der schwedische Modekonzern H&M ist im Herbst etwas stärker gewachsen als erwartet. Die Erlöse stiegen im Zeitraum September bis November um zehn Prozent auf 62,5 Milliarden Kronen (5,8 Milliarden Euro), wie die weltweite Nummer Zwei hinter der Zara-Mutter Inditex mitteilte.

Angesichts einer Kapitalerhöhung sind die Papiere des Pharmakonzerns Novavax heute heftig unter Druck geraten, um mehr als 30 Prozent ging es für die Titel nach unten. Mit weniger als 12 Euro kosteten die Aktien des Impfstoffspezialisten so wenig wie seit April 2020 nicht mehr. Damals hatte die Corona-Rally gerade ihren Anfang genommen. Im Zuge der Impfstofffantasie in der Blütezeit der Pandemie hatten sie sich von ihrem Rekordtief im November 2019 bis Februar 2021 mehr als verneunzigfacht. Nun erhielt auch das Thema Covid-Impfstoff einen Dämpfer. Die britische Regierung halbierte ihre bereits mehrfach angepasste Bestellung von Nuvaxovid. Novavax muss einen Teil der erhaltenen Vorauszahlungen zurückerstatten.

Ein Medienbericht über den schleppenden Start des neuen werbefinanzierten Abonnements schickt Netflix auf Talfahrt. Die Aktien des Streaming-Dienstes fielen an der Wall Street um mehr als acht Prozent. Dem Online-Magazin "Digiday" zufolge liegt die Zahl der Kunden nur bei 80 Prozent des Wertes, die Netflix den Werbetreibenden versprochen habe. Diese könnten daher Nachlässe einfordern.

Der amerikanische Autohersteller Ford erhöht den Preis für die günstigste Variante seines Elektro-Pickups F-150 Lightning um neun Prozent. Damit kostet das Fahrzeug künftig 55.974 Dollar. Ab wann der höhere Preis gilt, war zunächst offen. Ford erhöht die Preise für seine E-Pickups damit zum zweiten Mal binnen drei Monaten. Hintergrund sind auch höheren Material-Kosten und Probleme in den Lieferketten. Damit haben auch andere Autobauer wie Tesla zu kämpfen.

Twitter hat den Account eines College-Studenten gesperrt, der bislang den Privatjet von Konzernchef Elon Musk verfolgte. Musk erklärte in einem Tweet, dass der einige Stunden zuvor deaktivierte Bot-Account gegen die Nutzerrichtlinien der Internetplattform verstoßen habe.

Indes ist ein früherer Twitter-Beschäftigter wegen Spionage zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der 42-jährige Mann aus Kalifornien war bereits im August für schuldig befunden worden, Daten von Nutzern der Online-Plattform an die saudische Königsfamilie weitergegeben zu haben. Nun wurde das Strafmaß verkündet. Nach Angaben des US-Justizministeriums handelte es sich um Daten, mit denen Menschen, "die für die saudische Königsfamilie von Interesse waren" identifiziert und lokalisiert werden konnten. Die Informationen hätten Saudi-Arabien dabei geholfen, "politische Dissidenten ins Visier zu nehmen".

Die amerikanische Regierung hat 36 chinesische Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt, mit der der Zugang zu US-Technologie erschwert wird. Betroffen sind insbesondere Halbleiterproduzenten wie die Unternehmen Yangtze Memory Technologies (YMTC) und Hefei Core Storage Electronic, wie das US-Handelsministerium heute mitteilte. Damit solle Chinas Bemühungen entgegengetreten werden, an "fortgeschrittene Technologien für die militärische Modernisierung und für Menschenrechtsverletzungen" zu gelangen. Die Aufnahme der Unternehmen auf die schwarze Liste bedeutet, dass die Firmen eine Sondergenehmigung benötigen, um US-Technologie kaufen zu können.

Twitter Neu-Eigentümer und Tesla-Chef Elon Musk hat gestern Aktien des Elektroautoherstellers im Wert von 3,58 Milliarden Dollar verkauft, wie aus einer US-Börsenmitteilung von gestern hervorging. Mit dem jüngsten Verkauf hat Musk im vergangenen Jahr Papiere des von ihm gegründeten Elektroautobauers im Gesamtwert von fast 40 Milliarden Dollar verkauft.

Bianca von der Au, HR, 15.12.2022 08:08 Uhr