New Yorker Börse (NYSE) an der Wall Street in New York.
Marktbericht

Leichte Gewinne Die Wall Street wartet auf die Fed

Stand: 08.09.2022 22:29 Uhr

Die New Yorker Börse steht weiter ganz im Zeichen der Zinspolitik der Notenbank Federal Reserve. Die Unsicherheit über deren weiteres Vorgehen lähmt derzeit die Anleger.

An der Wall Street lassen sich die Anleger weiter nicht in die Karten schauen. Die großen Aktienindizes bewegten sich im Verlauf meist um ihre Schlusskurse und blieben damit auf Richtungssuche. Nach schwächerem Start erholten sich die Märkte zwar, zu mehr reichte es aber lange Zeit nicht. Erst in den letzten Handelsminuten kam doch noch etwas Kauflaune auf. Die Zinserhöhung in Europa durch die EZB bewegte den Markt nur kurz.

Am Ende des Tages schloss der Leitindex Dow Jones, der im frühen Geschäft noch rund 0,75 Prozent nachgegeben hatte, bei 31.774 Zählern um 0,61 Prozent höher. Die technologielastige Nasdaq gewann 0,6 Prozent nach Anfangsverlusten von knapp einem Prozent und der Auswahlindex Nasdaq 100 legte ein halbes Prozent zu. Der marktbreite S&P-500-Index, der sich ebenfalls die meiste Zeit um die Nulllinie bewegte, ging bei 4006 Punkten aus dem Handel, ein Tagesgewinn von noch 0,66 Prozent.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht derzeit der Kampf der Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks gegen die hohe Teuerung. Die EZB folgte heute - mit deutlicher Verzögerung - dem Trend der US-Notenbank Federal Reserve. Deren Chef Jerome Powell hatte angesichts der unverändert hohen Inflation zuletzt klargemacht, dass er weitere massive Zinsschritte für nötig hält, um das für die Teuerung ausgegebene Ziel von zwei Prozent wieder zu erreichen.

Powell sagte heute auf einer Veranstaltung, die US-Notenbank werde in ihren Anstrengungen zur Eindämmung der Inflation nicht nachlassen, "bis die Aufgabe erledigt ist". Es sei sehr wichtig, dass die Inflationserwartungen verankert blieben.

Rückenwind für die konsequente Bekämpfung der Inflation bekommt Powell vom Arbeitsmarkt, der sich allen bisherigen Zinserhöhungen zum Trotz weiter solide präsentiert. Denn die Zahl der Erstanträge auf US-Arbeitslosenhilfe ging die vierte Woche in Folge zurück und lag mit 222.000 unter den Markterwartungen.

"Nichts in diesen Daten deutet auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur, geschweige denn eine Rezession, hin", sagte Ian Stepherdson, Chef-Volkswirt des Research-Hauses Pantheon Macroeconomics.

Das nächste, vielleicht entscheidende Puzzle-Teil im Kampf der Fed gegen die Inflation werden die Verbraucherpreise aus dem August sein, die am kommenden Dienstag erwartet werden. Die Notenbank wollte vor dem anstehenden Zinsentscheid am Monatsende neben den August-Daten vom Arbeitsmarkt explizit auch die Verbraucherpreise noch abwarten.

Zu den größten Gewinnern im Dow Jones gehörten Aktien der Großbank JPMorgan, die 2,33 Prozent zulegten. Für die Anteilscheine von Goldman Sachs ging es um 1,46 Prozent nach oben. Höhere Zinsen würden die Ertragskraft der Großbanken stärken, heiß es. Auch in Europa waren Zinspapiere heute gefragt.

Unter den Einzelwerten griffen die Anleger beim E-Autobauer Rivian kräftig zu. Die Aktie gewann am Ende an der Nasdaq 10,92 Prozent. Mercedes-Benz will mit dem US-Elektroautobauer Rivian bei der Produktion elektrischer Transporter kooperieren. Beide Unternehmen hätten eine entsprechende Absichtserklärung für eine strategische Partnerschaft unterzeichnet, teilte Mercedes-Benz heute mit.

Man wolle ein Gemeinschaftsunternehmen für die Produktion gründen, in eine gemeinsame Fabrik in Europa investieren und diese gemeinsam betreiben. An Rivian ist der Online-Händler Amazon beteiligt, der allein 100.000 Fahrzeuge bestellt hat.

Der DAX schwankte im Verlauf stark um über 300 Punkte zwischen 12.688 und 13.008 Punkten. Am Ende schloss der deutsche Leitindex dann wenig verändert bei 12.904 Zählern, ein leichter Gewinn von 0,1 Prozent.

Nach vielversprechendem Handelsstart bei knapp über 13.000 Punkten war der Index zunächst wieder abgesackt, um besonders nach der Pressekonferenz von EZB-Chefin Christine Lagarde zum Zinsentscheid der EZB stärker unter Druck zu geraten. Lagardes pessimistisches Konjunkturszenario kam an der Börse zunächst gar nicht gut an. Der Markt folgte dann aber erstaunlich schnell einer sich erholenden Wall Street nach oben.

Tagessieger im DAX waren Deutsche Bank. Zinssensitive Aktien gelten allgemein als Profiteure einer geldpolitischen Straffung. Gleiches gilt für Versicherungen, die ebenfalls gefragt waren. Die Fresenius-Dialysetocher FMC war Indexschlusslicht.

In einem historischen Schritt hatte die EZB die Leitzinsen am Nachmittag wie bereits im Vorfeld erwartet um 75 Basispunkte auf 1,25 Prozent erhöht. Es war die stärkste Leitzinsanhebung seit der Einführung des Euro als Buchgeld im Jahr 1999. Der Entscheid fiel im EZB-Rat einstimmig.

"Nach ihrem Spätstart nimmt die EZB Fahrt auf. Die Zinsen steigen weiter. Zuletzt hatte sich die Datenlage zwar nicht mehr verschlimmert, aber die hohen Inflationsraten dauern bereits zu lange an. Das erhöht die Gefahr der Verfestigung. Die EZB hat mittlerweile Angst, dass ihr die Felle davonschwimmen und sie in ein jahrelanges Inflationsproblem hineinläuft. Die Frage lautet nur, warum dies erst so spät gesehen wurde" kommentiert Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank.

Der pessimistische Ausblick von EZB-Chefin Christine Lagarde sorgte zunächst für Kursverluste. Denn Frau Lagarde sprach Klartext. Konkret zeichnete sie angesichts der Gaskrise und der hohen Inflation ein düsteres Konjunkturszenario für die Euro-Zone.

Update Wirtschaft vom 08.09.2022

Stefan Wolff, HR, tagesschau24

Die Wirtschaft werde sich deutlich verlangsamen, sagte Lagarde nach der Zinssitzung in Frankfurt. Es sei mit einer Stagnation im späteren Jahresverlauf und dem ersten Quartal 2023 zu rechnen. Dieser Ausblick spiegelt sich auch in den jüngsten von Fachleuten der EZB erstellten Projektionen für das Wirtschaftswachstum wider. Diese wurden für den Rest des laufenden Jahres und für 2023 deutlich nach unten korrigiert.

Die Fachleute erwarten nun ein Wachstum von 3,1 Prozent für 2022, von 0,9 Prozent für 2023 und von 1,9 Prozent für 2024. Viele Volkswirte halten es inzwischen für möglich, dass die Wirtschaft im Euro-Raum aufgrund der anhaltenden Energiekrise wegen des Ukraine-Kriegs und der noch nicht ausgestandenen Lieferkettenprobleme im Herbst in eine Rezession rutschen könnte. Jüngste Wirtschaftsdaten untermauerten zuletzt diese Befürchtung.

Der Euro hat sich im Verlauf von seinen Tiefständen gelöst und steht im US-Handel nur noch leicht unter der Parität zum US-Dollar. Vergangenen Dienstag hatte er bei 0,9864 Dollar den tiefsten Stand seit fast zwanzig Jahren markiert. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0009 (Mittwoch: 0,9885) Dollar fest.

Auch am Devisenmarkt war der Zinsschritt der EZB das Thema des Tages und in dieser Größenordnung in Anbetracht der hohen Inflation in der Eurozone von rund 9,0 Prozent erwartet worden. Die Währungshüter verfolgten die Entwicklungen am Devisenmarkt sehr aufmerksam, zudem habe der Euro-Kurs einen Einfluss auf die hohe Inflation, hieß es am Nachmittag von der EZB. "Aber wir zielen nicht auf einen Wechselkurs ab", sagte Lagarde im Hinblick auf die Gemeinschaftswährung. Dies habe die EZB bislang nicht getan und werde es auch künftig nicht tun, betonte sie.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellte weitere Zinserhöhungen auf den "nächsten Sitzungen" in Aussicht. Sie wiederholte die Formulierung, dass die EZB von Sitzung zu Sitzung entscheiden werde und sich dabei von den Daten leiten lasse. "Solange die von vielen befürchtete Rezession nicht in harten Konjunkturdaten sichtbar wird, dürfte sich die EZB auf die viel zu hohe Inflation konzentrieren und ihre Zinsen weiter zügig anheben", erwartet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Der Euro hat seit Jahresbeginn zum Dollar gut zwölf Prozent an Wert eingebüßt. Damit werden zwar Waren aus der Euro-Zone auf dem Weltmarkt preislich attraktiver. Aber der schwache Euro-Kurs sorgt andererseits dafür, dass sich viele Importe wie etwa Öl verteuern, was die Inflation weiter anheizt. Die Gaskrise hatte die Gemeinschaftswährung zuletzt auf ein 20-Jahres-Tief zum Dollar fallen lassen.

Am Rentenmarkt ging es derweil mit den Kursen ebenfalls deutlicher bergab, im Gegenzug stieg die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe auf fast 1,71 Prozent.

Da sich die EZB in der Zukunft je nach Datenlage entscheiden will, stehen weitere Zinsschritte im Raum - zumal der neue Leitzins von 1,25 Prozent weiter historisch niedrig bleibt angesichts der höchsten Inflation seit Jahrzehnten. Lagarde erklärte, man habe noch nicht den neutralen Zins erreicht.

Die Ölpreise sind ebenfalls ins Plus gedreht, nach schwachen Kursen am Vormittag. Gestern waren die Erdölpreise auf mehrmonatige Tiefstände gefallen. Ein Fass der Nordsee-Sorte Brent kostete so wenig wie zuletzt im Februar, für ein Barrel des US-Öls WTI musste so wenig gezahlt werden wie seit Januar nicht.

Hintergrund sind zunehmende Konjunkturängste, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, das Vorgehen vieler Zentralbanken gegen die hohe Inflation und die scharfe Corona-Politik Chinas. Im längeren Vergleich bewegen sich die Rohölpreise jedoch auf hohem Niveau.

Porsche-Chef Oliver Blume, gleichzeitig auch VW-Chef, macht auf der Zielgerade zum Börsengang des Sportwagenbauers trotz Krisenangst am Aktienmarkt große Kaufbereitschaft aus. "Trotz der Marktsituation gibt es extrem hohes Interesse. Wir erhalten im Moment ganz positive Rückmeldungen", sagte Blume in einem heute veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Volkswagen will von der Tochter aus Stuttgart bis Anfang Oktober 12,5 Prozent des Grundkapitals an die Börse bringen und damit Milliarden einsammeln.

Wegen der Nervosität an der Börse inmitten von Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation stand der Plan monatelang in Frage. In dieser Woche fiel der Startschuss. Kritik ausgelöst hat allerdings die spezielle Führungsstruktur des von den Familien Porsche und Piech kontrollierten Autoimperiums mit etlichen personellen Überschneidungen zwischen dem VW-Konzern, seinem Großaktionär Porsche SE und seiner Tochter Porsche.

Bayer will sein Augenmedikament Eylea mit längeren Behandlungsintervallen für Patienten attraktiver machen, die zuletzt offenbar vermehrt zu einem neuen Mittel der Konkurrenz griffen. In zwei Phase-III-Studien für Aflibercept (Handelsname Eylea) in einer Dosierung von 8 Milligramm mit einem 12- und 16-wöchigen Intervall sei jeweils das Ziel erreicht worden, teilte Bayer heute mit.

Dabei sollte gezeigt werden, dass das Mittel gegen feuchte altersbedingte Makuladegeneration (AMD) und diabetisches Makulaödem (DME) in einer höheren Dosierung und bei längeren Pausen zwischen den Injektionen ins Auge nicht schlechter abschneidet als bei einer 2-Milligramm-Dosis in kürzeren Intervallen. Bei Investoren kamen die Studien gut an: Die Bayer-Aktien drehten am Nachmittag im DAX ins Plus und legten am Ende des Tages rund 1,5 Prozent zu.

Bayer kündigte an, die aktuellen Daten bei Gesundheitsbehörden außerhalb der USA einzureichen. In den USA vertreibt der Pharmakonzern Regeneron das Medikament.

Die Commerzbank glaubt trotz einer drohenden Rezession weiterhin an einen Milliardengewinn im laufenden Jahr. "Wir haben ja schon einen Großteil der Wegstrecke erzielt, deswegen bin ich immer noch vorsichtig optimistisch", sagte Commerzbank-Chef Manfred Knof bei der "Handelsblatt"-Bankentagung. "Wir gehen nach wie vor davon aus, dass, wenn das hier nicht zu einer Vollkatastrophe und Vollbremsung führt, dass wir natürlich unsere Ziele erreichen können." Commerzbank-Papiere gingen mit einem Plus von über fünf Prozent als Tagessieger im MDAX aus dem Handel.

Unterdessen strebt Bundesfinanzminister Christian Lindner keinen schnellen Verkauf des Staatsanteils an der Commerzbank an. "Die Bundesregierung ist sehr zufrieden mit der Entwicklung der Commerzbank", sagte der FDP-Politiker auf der Tagung. "Wir haben keinerlei gesetzliche oder sonstige Verpflichtung, schnelle Entscheidungen zur Commerzbank zu treffen."

Wegen des Rückrufs von Beatmungsgeräten hat die Staatsanwaltschaft in Paris den niederländischen Medizintechnik-Konzern Philips unter die Lupe genommen. Sie hätten eine Voruntersuchung eingeleitet, da sich die rechtlichen Probleme der Firma mit dem Gerät von den USA nach Europa ausbreiteten, erklärte ein Sprecher der Behörde. Die Behörde habe "mit Wirkung vom 20. Juni 2022 Anzeigen aufgenommen wegen schwerer Täuschung, fahrlässiger Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit, Gefährdung des Lebens anderer und Verabreichung schädlicher Substanzen".

Ein Philips-Sprecher sagte, der Konzern könne aktuell keine Stellungnahme abgeben. Philips hatte 5,5 Millionen Beatmungsgeräte zurückgerufen, nachdem sich der dort verarbeitete Schaumstoff in einigen Fällen aufgelöst und giftige Dämpfe freigesetzt hatte. Eine unabhängige Untersuchung von mehr als 60.000 Geräten zur Behandlung von Atemaussetzern im Schlaf in den USA deutete auf die Verwendung zu scharfer, nicht zugelassener Reinigungsmittel als Ursache hin, hieß es Ende Juni.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. September 2022 um 09:00 Uhr.