Dominoeffekt
Marktbericht

Erleichterungsrally im DAX Die Angst vor den fallenden Dominosteinen

Stand: 16.03.2023 09:29 Uhr

Der DAX ist nach der Rettungsaktion der Schweizer Notenbank für die Credit Suisse auf Erholungskurs. Doch die Anleger fragen sich weiterhin: War die SVB nur der erste Dominostein, der gefallen ist?

Von Angela Göpfert, tagesschau.de

Der DAX geht zur Börseneröffnung in Frankfurt auf Erholungskurs. Zum Handelsstart zieht der deutsche Leitindex 1,6 Prozent auf 14.974 Punkte an. Die Erleichterung unter den Anlegern ob der Rettungsaktion der Schweizer Notenbank für die Credit Suisse ist ebenso spürbar wie die anhaltende Nervosität am Markt. Die Angst vor weiteren "Ansteckungen" im Bankensektor hält an.

Die große Frage für die Anleger lautet somit: Wie nachhaltig ist diese Erholungsrally? Erst ein Schlusskurs oberhalb von 15.200 Punkten könnte in der angespannten Situation für deutliche Entspannung sorgen.

Mit dem neuen Verlaufstief, das der DAX gestern bei 14.703 Punkten markiert hatte, bleibt der deutsche Leitindex zunächst technisch angeschlagen, zumal die jüngsten Kursverluste mit dem höchsten Handelsvolumen des Jahres einhergingen und damit eine Bestätigung des Abwärtstrends lieferten.

Update Wirtschaft vom 16.03.2023

Stefan Wolff, HR, tagesschau24

Weiterhin steht die Frage im Raum: "Fallen jetzt die Dominosteine?" Aufgeworfen hat diese Frage auch Larry Fink, Mitgründer und Chef von Blackrock, in seinem jährlichen Brief an die Investoren.

Der Chef des größten Vermögensverwalters der Welt zeigt sich beunruhigt ob der Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) und spricht von einem klassischen Fall eines "asset-liability mismatch"; die Verpflichtungen (Passiva) und die zu ihrer Deckung dienenden Vermögenswerte (Aktiva) stimmten also im Fall der SVB nicht überein. Fink zufolge könnte dieses Problem noch weitere Banken betreffen: "Werden die Inkongruenzen zwischen Aktiva und Passiva der zweite Dominostein sein, der fällt?"

Für große Erleichterung unter den Investoren sorgte derweil in der Nacht die Meldung, dass die stark angeschlagene Credit Suisse nach der Rettungsleine der Schweizerischen Nationalbank greift und bei der SNB Kredite über bis zu 50 Milliarden Franken aufnehmen will.

Zuvor war der Kurs der Credit-Suisse-Aktie zur Wochenmitte dramatisch unter die Räder geraten, das Papier brach gestern bis zu 30 Prozent auf ein Rekordtief von 1,55 Franken ein. Das Schweizer Institut war nach Silvergate, der Silicon Valley Bank, der Signature Bank und First Rebpulic Bank zum ersten europäischen Opfer der Bankenkrise geworden.

Auch wenn der Fall Credit Suisse sicherlich ein bemerkenswerter Einzelfall aus schlechter Strategie und selbstverschuldeten finanziellen Problem ist: Die Anleger kommen an der Tatsache nicht herum, dass die Schweizer Großbank eindeutig in die Kategorie "too big to fail" gehört: Sie ist zu groß und zu eng mit der globalen Finanzwelt verflochten, um sie pleitegehen zu lassen. Eine Insolvenz hätte verheerende Folgen.

An den Finanzmärkten ist Vertrauen nun wieder zur wichtigsten Währung geworden. Banken, die wie die Credit Suisse schon vor der SVB-Pleite in den USA in einer Vertrauenskrise steckten, können da rasch die nächsten Opfer werden.

Erinnerungen an die Finanzkrise werden wach, ist die Credit Suisse doch die erste Bank seit 2008 die maßgeschneiderte Hilfe von der Notenbank in Anspruch nehmen muss. Erstmals seit der Finanzkrise sehen sich Investoren weltweit jetzt wieder der Gefahr möglicher Ansteckungseffekte im Bankensektor gegenüber.

Wie damals könnte es nun nicht lange dauern, bis die Märkte den nächsten Wackelkandidaten ausgemacht haben und auf seinen Niedergang wetten. Die Nachrichten um die Credit Suisse dürften nicht die letzten dieser Art gewesen sein. Die Angst vor dem nächsten Bankenkollaps à la Lehman macht sich breit. Spätestens dann wird sich weisen, ob die seither ergriffenen Sicherungsmaßnahmen der Notenbanken verlässlich greifen.

Doch nicht nur Erinnerungen an die Finanzkrise werden durch die Verwerfungen bei der Credit Suisse geweckt. Auch die Savings-and-Loan-Bankenkrise in den USA in den 1980-er Jahren ist plötzlich wieder präsent in den Köpfen der Anleger. Damals brachen über 1000 kleine und große Sparkassen, so genannte Savings-and-Loan-Institute, in den Vereinigten Staaten zusammen.

Im Gegensatz zur Finanzkrise entwickelt sich die Savings-and-Loan-Bankenkrise eher langsam, aber sehr beharrlich. Die Parallelen zu heute liegen auf der Hand: Auch damals gerieten immer mehr Institute wegen der steigenden Zinsen in die Bredouille.

Für zusätzliche Dramatik an den Finanzmärkten sorgt heute die Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB). Zwar rechnen weiterhin viele Ökonomen damit, dass die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde an ihrem Plan festhalten werden, die Zinsen um 0,5 Prozentpunkte anzuheben.

Doch der Geldmarkt spricht eine ganz andere Sprache: Dort beläuft sich die Wahrscheinlichkeit eines großen Zinsschritts mittlerweile auf weniger als 20 Prozent. Tags zuvor hatte die Wahrscheinlichkeit noch bei über 90 Prozent gelegen. Offenbar rechnen viele Anleger damit, dass die EZB ihre Zinspolitik angesichts der Bankenkrise nochmals überdenkt.

Andererseits birgt auch ein Abrücken der EZB von der strikten Zinslinie durchaus Risiken: Anleger könnten dies als Zeichen werten, dass auch die EZB große Risiken im Bankensektor sieht. Das würde die Panik an den Märkten aufs Neue anfachen.

Die anhaltenden Probleme im Bankensektor lassen die Anleger in Asien in Deckung gehen. Der 225 Werte umfassende japanische Leitindex Nikkei hat sich soeben mit einem Minus von 0,8 Prozent auf 27.011 aus dem Handel verabschiedet. Bankentitel gehörten zu den größten Verlierern, zu groß ist die Angst der Anleger vor einem Domino-Effekt nach der SVB-Pleite und den Credit-Suisse-Problemen.

Die Vorgaben von der Wall Street sind uneinheitlich. Während der Dow-Jones-Index der Standardwerte 0,9 Prozent tiefer auf 31.874 Punkten schloss. Der technologielastige Nasdaq rückte dagegen um moderate 0,1 Prozent auf 11.434 Punkte vor. Die zinssensitiven Papiere im Tech-Sektor profitieren bereits seit Tagen von der Spekulation auf ein nachlassendes Zins-Tempo der Fed.

An den Rohstoff- und Devisenmärkten lässt sich derweil die nachlassende Risikoaversion der Anleger ebenfalls ablesen. Sichere Häfen wie US-Dollar oder Gold sind nicht mehr so stark gefragt. Der Euro zieht deutlich auf 1,0625 Dollar, die Feinunze Gold kostet mit 1917 Dollar etwas weniger.

Unter den Einzelwerten im DAX zeigt die Beruhigungspille der Schweizer Notenbank ebenfalls Wirkung. Aktien der Commerzbank ziehen im frühen Handel über vier Prozent an, während Papiere der Deutschen Bank mehr als fünf Prozent zulegen. Doch angesichts der jüngsten Kursverluste fällt die Erholung der Bankaktien verhalten aus. So hat etwa die Commerzbank allein an den vergangenen drei Tagen über 16 Prozent ihres Werts eingebüßt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. März 2023 um 09:00 Uhr in Update Wirtschaft.