Ein Mitarbeiter des Bauvereins Halle steht zwischen den Rohren der Fernwärmeversorgung.
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Kostenschock bei Fernwärme-Kunden Wenn fast 2.000 Euro Nachzahlung fällig werden

Stand: 17.02.2024 10:17 Uhr

Fernwärme gilt als Heizung der Zukunft. Doch manche Mieter werden gerade von enormen Summen in der Jahresabrechnung überrumpelt. Machen die Versorger mehr Kosten geltend als sie tatsächlich haben?

Von Melanie Böff, ARD-Finanzredaktion

"Die haben uns ganz schön was aufgebrummt", sagt Bettina Böttcher am Telefon. Zusammen mit ihrer Nachbarin Sabine Plohmann sitzt sie in ihrer Wedeler Wohnung in Schleswig-Holstein. Die beiden Frauen sind sauer. Denn ihre letzte Nebenkosten-Nachzahlung hat es in sich: rund 1.600 Euro bei Bettina Böttcher, knapp 2.000 Euro sind es bei ihrer Nachbarin, die in einer größeren Wohnung lebt.

Geheizt wird mit Gas aus der Ferne. Damit belaufen sich die kompletten Heizkosten von Böttcher für das Jahr 2022 auf rund 2.800 Euro. Sie weigert sich, diese zu bezahlen, hat den Mieterverein eingeschaltet.

Wärme aus Kraftwerken oder Industrieanlagen

Bei Fernwärme-Kunden sind solche Fälle keine Seltenheit. Bevor die Fernwärme Häuser heizt oder Wasser warm macht, wird sie zentral erzeugt, oft in Kraftwerken oder als Abwärme in Industrieanlagen. Die Fernwärme gelangt dann über Rohrleitungen in die Wohnung, eine eigene Heizanlage braucht man also nicht.

Aktuell wird der große Teil dieser Energie noch aus Gas oder Öl produziert. Somit ist der Preis für Fernwärme zum Beispiel auch an den Börsenpreis für Gas gekoppelt. Zu Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ist der Gaspreis 2022 stark angestiegen. Inzwischen hat sich der Markt wieder sehr beruhigt, allerdings bleibt der Preis für Fernwärme hoch.

Versorger mit Monopolstellung

Den Anbieter einfach zu wechseln für ein besseres Angebot, funktioniert hier nicht. Fernwärmeversorger haben eine Monopolstellung. Kundinnen und Kunden sind also einem Anbieter quasi ausgeliefert, dazu werden Verträge meist über eine lange Zeit geschlossen. Das ist der eine Streitpunkt bei der Fernwärme.

Der andere hat damit zu tun, wie die Preise gestaltet werden. Das Bundeskartellamt hat inzwischen Verfahren gegen insgesamt sechs Stadtwerke und Fernwärmeversorger eröffnet. Der Verdacht: missbräuchlich überhöhte Preissteigerungen. Speziell geht es um sogenannte Preisanpassungs- oder auch Preisgleitklauseln. Die nutzen Versorger, um die allgemeine Marktentwicklung abzubilden, aber auch die Kosten für den jeweiligen Energieträger - also Gas oder Kohle, aber auch Holz, Müll, erneuerbare Energien oder Abwärme.

Es wirft zum Beispiel Fragen auf, wenn ein Unternehmen den Fernwärmepreis an die Entwicklung des Gaspreises angepasst hat, obwohl tatsächlich auch andere günstigere Alternativen für die Wärmeerzeugung verwendet wurden.
Andreas Mundt, Präsident Bundeskartellamt

Wenn also tatsächlich nicht nur Gas zur Wärmeerzeugung genutzt, sondern etwa auch Müll verbrannt wurde. Verbraucherschützer kritisieren zudem, dass die Preisgestaltung der Fernwärmeproduzenten von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich sein kann. Auch die Koppelung des Fernwärmepreises an etwa einen Börsenpreis halten Mietervereine und Verbraucherschützer für unzulässig. Die Heizungskosten der Verbraucher sollten sich vielmehr an den realen Einkaufskosten der Fernwärmeanbieter orientieren.

Verbraucherschützer klagen auf Rückerstattungen

Der Verbraucherzentrale Bundesverband führt zwei Sammelklagen gegen die Fernwärmeanbieter E.ON und Hansewerk Natur wegen enormer Preiserhöhungen in den vergangenen Jahren. Es gehe um Preisanstiege um mehrere Hundert Prozent. Die beiden Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück. Ausgang offen.

Mit den Klagen wollen die Verbraucherschützer einerseits Rückerstattungen für Kundinnen und Kunden erstreiten, andererseits grundlegende Fragen bei der Fernwärmeversorgung klären. Wie stark zum Beispiel muss die Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt in die Berechnungsformeln einfließen? Am Ende könnte das Urteil richtungsweisend für andere Fälle sein.

Verband sieht kein Transparenzproblem

Verbraucherschützer fordern mehr Transparenz, auch bei den sogenannten Preisgleitklauseln. Der Fernwärmeverband AGFW bezeichnet diese als wichtige Instrumente.

Hätten Fernwärmeversorger nicht die Möglichkeit, die bei Vertragsbeginn vereinbarten Preise an sich ändernde Umstände anzupassen, müssten sie die zu erwartenden Risiken von Anfang an in den Wärmepreis einpreisen.
AGFW

Ein Transparenzproblem sieht man beim Verband nicht, das Zustandekommen der Preise werde auf den Internetseiten der Versorger ausgewiesen.

Viele Kundinnen und Kunden wurden allerdings von hohen Heizkostenabrechnungen überrascht. Allein mit hohen Energiepreisen lässt sich das nicht erklären, denn zuletzt waren Brennstoffe wie Erdgas, Kohle oder Heizöl wieder günstiger. Gegenüber tagesschau.de verweist der Branchenverband auf die sogenannten Preisgleitklauseln, die zum Beispiel an bestimmte Erdgaspreis-Entwicklungen gebunden seien.

Dabei gebe es immer einen gewissen Verzögerungseffekt. "Was vor einem Jahr auf den Weltmärkten für die Energiepreise passiert ist, wird dann letzten Endes erst ein Jahr später bei der Fernwärme weitergegeben. Und umgekehrt: Die Erdgaspreise haben sich wieder beruhigt, das wird auch letzten Endes dazu führen, dass demnächst die Fernwärmepreise sinken werden", schreibt eine Sprecherin des AGFW auf Anfrage. Inzwischen hat der Verband eine Plattform angekündigt, die Fernwärmepreise in Deutschland offenlegen will.

Fernwärme-Verordnung soll reformiert werden

Dass die Wärmepreise bis zur Jahresmitte 2024 weiter sinken werden, davon geht auch das Bundeswirtschaftsministerium aus. Der Ruf nach Reformen für die Fernwärme ist schon längst bei Minister Robert Habeck angekommen. Die Fernwärme-Verordnung soll so überarbeitet werden, dass es "insgesamt für Kunden und Versorger attraktive Rahmenbedingungen für eine günstige Versorgung der Verbraucher mit Fernwärme" gibt, so das Ministerium gegenüber tagesschau.de. Konkrete Details könne man im Moment noch nicht nennen, so eine Sprecherin.

Neben der Wärmepumpe soll die Fernwärme künftig die entscheidende Rolle bei klimafreundlicher Wärme spielen. Aktuell heizen etwa 14 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit Fernwärme. Die Bundesregierung will das deutlich ausbauen: Mittelfristig sollen jedes Jahr 100.000 neue Haushalte ans Fernwärmenetz angeschlossen werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 12. Februar 2024 um 08:40 Uhr.