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Urteil zu Thermofenstern BGH stärkt Rechte von Dieselkunden

Stand: 26.06.2023 17:32 Uhr

Besitzer von Dieselautos mit Abschalteinrichtung können nun den Minderwert des Fahrzeugs einklagen und sich Hoffnung auf Schadensersatz machen. Den hatte der Bundesgerichtshof bisher immer abgelehnt.

Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute seine Rechtsprechung zu illegalen Abschalteinrichtungen geändert. Bei den sogenannten Thermofenstern wird die Diesel-Abgasreinigung heruntergefahren oder sogar ganz abgeschaltet. Diesel-Käufer beklagen, dass die Abgasreinigung deshalb die meiste Zeit des Jahres nicht richtig funktioniert. Zehntausende haben deswegen geklagt. Bislang ohne Erfolg, der Bundesgerichtshof urteilte bisher zulasten der Dieselkunden.

Im März dieses Jahres dann schaltete sich aber der Europäischen Gerichtshofs ein. Das Votum aus Luxemburg: Schadensersatz bei illegalen Abschalteinrichtungen müsse möglich sein.

BGH spricht Autokäufer Schadensersatz zu wegen unzulassiger Abschaltvorrichtung

Frank Bräutigam, SWR, tagesschau, 26.06.2023 17:00 Uhr

Der BGH schwenkt um

Der BGH folgt dieser Linie nun. Wenn eine illegale Abschalteinrichtung im Sinn des EU-Rechts vorliegt, dann sei das für die Käufer ein Schaden und für den kann es Schadensersatz geben.

Das Vertrauen der Käufer würde geschützt, so Eva Menges, die Vorsitzende des Dieselsenats des Bundesgerichtshofs bei der Urteilsverkündung. Zugunsten der Käuferinnen und Käufer greife der "Erfahrungsschatz", dass sie ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung "nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätten."

Schadensersatz auch bei Fahrlässigkeit

Schadensersatz gab es bisher nur bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung von Dieselkunden. Das jetzige Urteil ist anders als das beim VW-Skandalmotor EA 189. Bei dem ging es um eine Betrugssoftware, die Testergebnisse auf dem Prüfstand manipuliert hatte.

Nun sei auch Schadensersatz möglich, wenn man den Herstellern nur Fahrlässigkeit beim Einbau einer Abschalteinrichtung nachweisen könne, betont Rechtsanwalt Matthias Siegmann, der einen der drei Kläger vor dem BGH vertreten hatte.

Minderwert von fünf bis 15 Prozent des Kaufpreises

Der Bundesgerichtshof hat nun klargestellt: Anders als beim VW-Skandalmotor können die Kunden beim Thermofenster den Wagen nicht zurückgeben und nicht den kompletten Kaufpreis zurückverlangen. Aber sie können jetzt den Minderwert des Fahrzeuges einklagen. Und zwar in einem Rahmen von mindestens fünf und höchstens 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises. BGH-Anwalt Matthias Siegmann nennt ein Beispiel: Wer einen Pkw zum Preis von 60.000 Euro gekauft habe, der könne versuchen, etwa 7500 Euro Minderwert einzuklagen.

Wie hoch genau der Minderwert ist, müssen nun die unteren Instanzen klären. Die Zivilgerichte müssten dafür aber nicht unbedingt ein Sachverständigengutachten einholen, sondern hätten ein "Schätzungsermessen", so der BGH. Für klagende Kunden ist nach dem heutigen Urteil vor allem wichtig, dass sie nachweisen, dass in ihrem Wagen ein Thermofenster oder eine andere Abschalteinrichtung verbaut ist.

Autohersteller verteidigen das Thermofenster

Hier bestreiten die Hersteller grundsätzlich, dass die Thermofenster eine solche illegale Abschalteinrichtung sind. VW-Anwältin Martina De Lind van Wijngaarden wies nach der Verhandlung darauf hin, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Thermofenster-Technologie ja genehmigt habe. Darauf berufen sich die Hersteller. Und sie sagen: Wegen der Genehmigung treffe die Hersteller auch kein Verschulden. Sie hätten ihre Kunden nicht vorsätzlich oder fahrlässig geschädigt.

Das müssen sie nach dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs aber in den unteren Instanzen auch beweisen. Sie trifft die Beweislast dafür, dass sie das KBA ausführlich über die Thermofenstertechnologie informiert haben. 2022 hatte der EuGH allerdings entschieden, dass Thermofenster gegen europäisches Recht verstoßen und nur in Ausnahmefällen zulässig sind.

Viel Arbeit für die unteren Instanzen

Nach dem Urteil von heute steht zumindest eines fest: Schadensersatz wegen fahrlässig verbauter Thermofenster ist möglich. Wie hoch der im Einzelfall ist, müssen die unteren Instanzen klären. Denn von den fünf bis 15 Prozent Schadensersatz kann es theoretisch nochmal Abzüge geben.

Außerdem wird in jedem Einzelfall zu klären sein, ob wirklich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Wenn ja, können die Autohersteller noch vortragen, dass sie zum Beispiel nicht fahrlässig gehandelt haben. Das müssten die Autohersteller aber selbst beweisen, sagt der BGH.

Auf die unteren Instanzen, wo geschätzt bis zu 100.000 Klagen wegen illegaler Abschalteinrichtungen liegen, wird jetzt viel Arbeit zukommen. Sicher ist, die Diesel-Abschalteinrichtungen werden die deutschen Gerichte noch Jahre beschäftigen.

VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22

Klaus Hempel, SWR, tagesschau, 28.06.2023 10:49 Uhr