Silicon Valley in der Abenddämmerung.
Analyse

Kündigungswelle bei Alphabet und Co. Was steckt hinter der Entlassungswelle?

Stand: 20.01.2023 17:22 Uhr

Mit Alphabet hat der nächste große Tech-Konzern angekündigt, Tausende Mitarbeiter zu entlassen. Wie geht es mit der Branche weiter, die in den letzten Jahren über ihre Verhältnisse gelebt hat?

Von Antonia Mannweiler, tagesschau.de

"Danke, dass ihr so hart gearbeitet habt, um Menschen und Unternehmen überall zu helfen. Eure Beiträge waren von unschätzbarem Wert und wir sind dankbar dafür", schrieb Alphabet-Chef Sundar Pichai heute in einer Mail an seine Mitarbeiter auf seine Ankündigung hin, Tausende Stellen in dem Unternehmen zu streichen. Es dürfte ein schwacher Trost sein für die insgesamt 12.000 "Googler" - wie Pichai sie nennt -, die ihre Arbeit verlieren.

Alphabet ist dabei bei nicht der erste große Tech-Konzern, der jüngst angekündigt hat, in einem Kahlschlag Tausende zu entlassen. Erst gestern gab Microsoft den Jobabbau von 10.000 Stellen bekannt - knapp fünf Prozent der Belegschaft; Amazon verkündete Anfang des Monats die Streichung von insgesamt 18.000 Stellen. Beim Facebook-Mutterkonzern Meta steht dagegen der erste Stellenabbau überhaupt an: Insgesamt verlieren 13 Prozent der Belegschaft, also rund 11.000 Menschen, ihren Job. Von den großen US-Tech-Konzernen fehlt aber noch einer in der Liste: Apple, das derzeit wertvollste börsennotierte Unternehmen, hat bisher als einziger Tech-Riese noch keinen Stellenabbau angekündigt.

Regelrechte Entlassungswelle

Neben den etablierten Tech-Riesen haben aber auch zahlreiche andere Tech-Firmen in einer regelrechten Entlassungswelle Kündigungen bekanntgegeben. Der Lebensmittel-Lieferdienst DoorDash will sich von 1250 Mitarbeitern trennen, der US-Fahrdienst Lyft von 700, die Krypto-Börse Coinbase von 1200, der Computerhersteller HP von 6000 und SAP-Konkurrent Salesforce von gar 8000 Mitarbeitern.

Tausende Stellen geschaffen

Die Gründe für den deutlichen Personalabbau liegen dabei in der deutlich eingetrübten Konjunkturlage, ausgelöst durch hohe Inflation und Zinsen - und Rezessionssorgen. Die große Kündigungswelle lässt sich aber auch mit dem Übereifer der Technologie-Branche erklären, die viele Jahre vor schier unbegrenztem Wachstum stand. In den zehn Jahren zwischen 2012 bis 2022 hat Microsoft an der Börse Jahr für Jahr nur Gewinne erzielt, im Jahr 2019 stand die Aktie etwa 59 Prozent höher, 2021 gar 65 Prozent im Plus. Die Papiere des Google-Mutterkonzerns Alphabet verbuchten im Jahr 2021 einen Zuwachs von mehr als 80 Prozent. Bei den anderen Technologiefirmen zeigte sich ein ähnliches Bild, bevor 2022 der jähe Einbruch folgte.

Die Tech-Firmen haben in den vergangenen Jahren daher Tausende Stellen geschaffen, um mit dem rasanten Wachstum und den optimistischen Projektionen umzugehen. Thomas Lehr, Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch, macht dafür auch die pandemiebedingte Sonderkonjunktur verantwortlich. Die Digitalisierung schreite auch jetzt weiter voran, aber nicht mehr in dem gleichen Tempo wie zur Hochzeit der Pandemie.

Die Tech-Branche ging jedoch davon aus, dass sich das Wachstum so fortsetzen würde. Seit 2019 hat der Windows-Anbieter Microsoft seine Belegschaft etwa um mehr als 75.000 Mitarbeiter auf 221.000 vergrößert. Von 2019 bis Ende 2021 hat der Facebook-Mutterkonzern Meta mehr als 27.000 Mitarbeiter hinzugewonnen, die Mitarbeiterzahl Amazons hat sich in dem gleichen Zeitraum sogar mehr als verdoppelt auf 1,6 Millionen weltweit Beschäftigte Ende 2021. Langsamer ging es lediglich beim iPhone-Hersteller Apple zu, dort stieg die Zahl der Mitarbeiter in dem Zeitraum von 137.000 auf 154.000.

"Gewisse Maßlosigkeit"

Die Tech-Unternehmen haben mehr als zehn Jahre Abschwünge vermeiden können, sagt Fabian Dömer vom Beratungshaus Arthur D. Little tagesschau.de. Das Wachstum schien grenzenlos: "Sie haben sich in eine gewisse Maßlosigkeit hinein gesteigert." Ökonomisch handle es sich aktuell um eine überfällige und gesunde Korrektur - wenn auch durchaus in einem dramatischen Umfang, so Dömer.

In Ankündigung auf die Entlassungen haben sich die Firmenchefs diese Fehlannahme - dass das Wachstum so weitergehe - dabei auch selbst eingestanden. So schrieb Alphabet-Chef Pichai heute in seiner Mail an die Mitarbeiter, dass man in den vergangenen zwei Jahren eine Phase "dramatischen Wachstums" erlebt habe. Man habe sich auf eine andere wirtschaftliche Realität eingestellt als jene, die man heute vorfinde. Auch Meta-Chef Mark Zuckerberg schrieb im November an seine Mitarbeiter, dass es sich leider nicht so entwickelt habe, wie er es erwartet hatte.

Eine Chance für die Zukunft

In der Tech-Branche geht es nun darum, die aus dem Ruder gelaufenen Kosten wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dazu zählt auch das Einsparen von Personalkosten. Mit den Entlassungen übe man Druck auf die restlichen Mitarbeiter aus, sagt Kapitalmarktstratege Lehr. In den vergangenen Jahren des rasanten Wachstums in der Branche kam es zu einem regelrechten Kampf um Talente - mit immer höheren Gehältern und mehr Leistungen für Angestellte. Gerade bei den Tech-Firmen im Silicon Valley sei es da zu absurden Gehaltsforderungen gekommen, da drehe sich der Wind nun ein bisschen.

Die Tech-Unternehmen in den USA würden zudem ihre Investitionen in "Other Bets" - also Projekte außerhalb ihres Kerngeschäfts - wegen höherer Zinsen und der Kostenexplosionen weiter zurückführen oder auf den Prüfstand nehmen. Nach vorne blickend ist das aus Sicht von Lehr eine Chance: Alphabet, Microsoft, Meta oder Amazon hätten gemein, dass sie über ein hochprofitables Kerngeschäft verfügten. Natürlich lebten Unternehmen langfristig davon, dass sie auch mal verrückte Dinge ausprobierten. Kurzfristig werde das aber erst einmal zurückgefahren. Auch Branchenkenner Dömer von Arthur D. Little sieht in der jetzigen Krise die Möglichkeit zur Korrektur und Selbstreflektion. "Die Erfahrung zeigt, dass dies der eigentlich Nährboden für Innovation ist." Doch für die nächsten Monate rechnet er mit weiteren Entlassungen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 20. Januar 2023 um 17:45 Uhr.