Interview

Interview zur geplanten Umschulung von Schlecker-Mitarbeiterinnen "Ich nehme die Arbeitsministerin beim Wort"

Stand: 09.06.2012 12:20 Uhr

Von der Schlecker-Kasse in die Kinderbetreuung! Der Plan von Ursula von der Leyen sorgt für Aufregung und heftige Kritik. Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft spricht gegenüber tagesschau.de von einer guten Idee. Allerdings müssten die Schlecker-Frauen die volle, dreijährige Ausbildung bekommen.

tagesschau.de: Ist der Vorschlag von Arbeitsministerin von der Leyen eine gute Idee?

Norbert Hocke: Sicher ist dies keine Lösung für alle Mitarbeiterinnen. Zumindest aber ist es eine Idee, die der einen oder anderen Schlecker-Kassiererin weiterhelfen kann, wenn Sie die Voraussetzungen für eine Ausbildung zur Erzieherin mitbringt.

tagesschau.de:  Welche sind das?

Hocke: Die Mitarbeiterin muss die Mittlere Reife haben, sie muss über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen und auch über eine entsprechende Berufspraxis. Dann kann sie sich für eine berufsbegleitende Fachschulausbildung bewerben. Diese Ausbildung dauert zwei bis drei Jahre. Dort bekommt sie fachtheoretisches Wissen und auch die Möglichkeit, ihre eigene Biografie aufzuarbeiten. Wir brauchen Erzieherinnen, die sich selbst reflektieren und so auch Eltern und Kindern gute Hilfestellungen geben können.

"Ich traue den Schlecker-Mitarbeiterinnen das zu"

tagesschau.de: Die meisten Mitarbeiterinnen haben nur  Hauptschulabschluss, sie haben im Niedriglohnsektor gearbeitet und sind  gering qualifiziert. Ist angesichts dieser Voraussetzungen der Vorschlag nicht Augenwischerei?

Hocke: Natürlich müssen die Mitarbeiterinnen die volle Ausbildungszeit – nämlich drei Jahre – als Umschulung finanziert bekommen. Derzeit finanziert die Arbeitsministerin von der Leyen Umschulungsmaßnahmen nur für zwei Jahre. Das muss sich ändern. Anders ist es mit der Ausbildung zur Kinderpflegerin, die nur zwei Jahre dauert. Die Kinderpflegerinnen können dann als Tagesmutter oder als zweite Mitarbeiterin in der Kindergruppe arbeiten.

tagesschau.de:  Das hieße dann aber eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Kitas. Wäre mit der Gefahr einer Lohnabwärtsspirale verbunden?

Hocke: Kinderpflegerinnen sind in Kombination mit Erzieherinnen durchaus eine Bereicherung.  Wenn sich aber insgesamt  die Ausbildung für Erzieherinnen verkürzen würde, wäre das in der Tat kontraproduktiv.

tagesschau.de: Erzieherin ist ein Beruf, der viel Engagement erfordert, für den man sich also bewusst entscheiden sollte - und nicht aus der Not heraus, wie es jetzt bei den Schlecker-Mitarbeiterinnen der Fall ist, oder?

Hocke: In der Tat hat eine Erzieherin mehr Verantwortung zu tragen als je zuvor. Sie muss  immer mehr Bildungsinhalte vermitteln, sie muss die Entwicklungsprozesse eines Kindes sehr genau kennen, um eben auch die Gruppendynamik zwischen Kindern  steuern zu können. Und natürlich müssen die Bewerberinnen Eignung und Empathie für den Umgang mit Kindern haben. Ich würde den Mitarbeiterinnen von Schlecker diese Fähigkeiten nicht absprechen wollen.

"Wir müssen den Beruf der Erzieherin aufwerten"

tagesschau.de:  Kinder sind unsere Zukunft, unser wertvollstes Gut, wie die Bundesregierung betont. Dennoch wirkt dieser Vorschlag wie eine Verlegungsheitslösung, oder?

Hocke: Genau deshalb wollen wir die Ausbildung zur Erzieherin immer mehr an die Hochschulen verlagern, um sie aufzuwerten - wie es übrigens in vielen anderen europäischen Ländern längst der Fall ist. Wir müssen Bildung, Erziehung und Betreuung von kleinen Kindern nicht als Hilfsarbeit sehen. Erzieherinnen sind Teil des wichtigen Bildungsapparats.

tagesschau.de: Ist das nicht ein Widerspruch: genau diese Voraussetzungen haben  die meisten Schlecker-Mitarbeiterinnen nicht?

Hocke: Wenn sie die gleiche Ausbildung wie jede andere Erzieherin oder Kinderpflegerin bekommen, ist es kein Widerspruch. Das Ganze wird aber Augenwischerei, wenn diese Ausbildung verkürzt wird. Noch hat sich die Arbeitsministerin dazu nicht geäußert. Sie hat aber versprochen, dass die Qualität der Erzieherberufs nicht leiden soll. Da nehme ich sie erst einmal beim Wort.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.