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Atomfonds Saubere Ziele, fragwürdige Anlagen

Stand: 05.05.2022 13:27 Uhr

Mit einem Milliardenfonds hat sich die Atomwirtschaft von den Entsorgungskosten freigekauft. Das Geld sollte klimafreundlich und verantwortungsbewusst angelegt werden - was nicht immer der Fall ist.

Anja Mikus ist eine erfahrene Investmentbankerin. Doch die Aufgabe, die sie im Sommer 2017 antrat, bedeutete selbst für sie Neuland. Mikus übernahm als Vorstandsvorsitzende des ersten deutschen Staatsfonds die Verantwortung für 24 Milliarden Euro - Geld, das die Energieriesen e.on, RWE, EnBW und Vattenfall in einen "Atomfonds" eingezahlt hatten, um damit jegliche Risiken aus der künftigen Entsorgung des Atommülls loszuwerden. Die trägt seitdem der Staat.

Verpflichtung zu nachhaltigen Investitionen

Und so liegt es an Mikus und ihrem Team aus Vermögensverwaltern, mit geschickten Geldanlagen so viel Geld zu verdienen, dass damit der radioaktive Abfall aus den deutschen Kernkraftwerken irgendwann in Zwischen- und Endlagern sicher entsorgt werden kann.

Dabei ist der Fonds gesetzlich verpflichtet, zur Erreichung der Klimaziele beizutragen und seine Milliarden nach den Kriterien Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung zu investieren. "Bei allen Investments, die wir tätigen", beteuerte denn auch Mikus in einem Zeitungsinterview, "hat Nachhaltigkeit eine zentrale Bedeutung für uns."

Portfolio lange geheim

Doch wie nachhaltig investiert der deutsche Staatsfonds sein Geld wirklich? Alle, die sich ein eigenes Bild machen wollten, wurden lange Zeit enttäuscht. Der Atomfonds machte nicht öffentlich, in welche Unternehmen oder Staaten er konkret investierte. Im Februar forderte ein Nutzer des Onlineportals "Frag den Staat" schließlich den Staatsfonds auf, seine Investments öffentlich zu machen, in welche Aktien und zu welchem Wert die Gelder investiert worden seien.

Kurz nach einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz veröffentlichte der Fonds seine Anlagen selbst auf seiner Homepage. Auf 55 Seiten sind hier nun sämtliche Unternehmen und Staaten aufgelistet, in die der Staatsfonds zum Stichtag 31. Dezember 2020 investiert hat.

Fonds verteidigt Gasinvestitionen

Der WDR hat die Daten ausgewertet. Demnach hat der Fonds, der sich die Reduzierung der Kohlestoff-Emissionen auf die Fahnen geschrieben hat, trotzdem 757,9 Millionen Euro, 3,2 Prozent der Anlagen, in Öl- und Gasunternehmen investiert.

Ein Sprecher erklärt dazu auf Anfrage, der Atomfonds habe zwar den Einsatz von Fracking bei der Förderung von Öl und Gas sowie die Förderung von Öl aus Teersand ausgeschlossen. "Die konventionelle Gasförderung hat der Fonds jedoch nicht ausgeschlossen. Aus Sicht der Bundesregierung kommt dem Gas eine wichtige Rolle als Übergangstechnologie hin zu einer CO2-freien Wirtschaft zu."

Gelder auch in Cum-Ex-Banken investiert

Die Auswertung ergibt auch: Der Atomfonds hat mindestens bis Ende 2020 gleich in mehrere Großbanken investiert, die in den Cum-Ex-Skandal verwickelt waren und gegen deren damalige Verantwortliche die Staatsanwaltschaften in Köln und Frankfurt im größten deutschen Steuerskandal ermitteln.

So investierte der Fonds etwa in die Deutsche Bank (der Staatsfonds hielt zum Stichtag Anteile im Wert von 2,7 Millionen Euro), die spanische Banco Santander (6,7 Millionen Euro), die französische BNP Paribas (7,4 Millionen Euro) und die australische Macquarie Bank (knapp 3 Millionen Euro). Bei der niederländischen ABN Amro (545.000 Euro), der britischen Barclays Bank (3,5 Millionen Euro) und der US-amerikanischen Morgan Stanley (22,4 Millionen Euro) kam es unlängst sogar zu Cum-Ex-Razzien in Frankfurt.

Noch keine Entscheidung über Umschichtung

Ob die Cum-Ex-Vergangenheit dazu führt, dass der Staatsfonds künftig Banken aus dem Portfolio nimmt, ist indes unklar. Ein Sprecher des Fonds erklärte zwar, dass Governance-Kriterien ein wesentlicher Bestandteil des Atomfonds seien. "Die Transparenz von Unternehmen in Bezug auf Steuerzahlungen sowie kontroverses Verhalten wie Steuerhinterziehung oder -umgehung sind Governance-Aspekte, die bei der Anlage berücksichtigt werden."

Entsprechend kritisch wertet er die Cum-Ex-Geschäfte als "nicht akzeptabel." Folgerichtig seien Cum-Ex-Geschäfte von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Juli 2021 als Steuerhinterziehung qualifiziert und bereits seit Januar 2012 durch eine Gesetzesänderung unterbunden worden.

Warten auf Rating-Agenturen

Doch, ob einzelne Werte aus dem Fonds fliegen sollen, würde man erst überprüfen, wenn entsprechende Ratingagenturen, die Unternehmen auf Nachhaltigkeit bewerten und die Banken herabstufen würden. Hierfür würden jedoch belastbare Beweise für das Fehlverhalten benötigt. "Deswegen wird es letztlich immer auch Einzelfallentscheidungen hierzu geben", so der Sprecher.

Gut möglich also, dass der deutsche Staatsfonds auch künftig in Banken investiert, die den Staat mit Cum-Ex-Geschäften um Milliardensummen gebracht haben sollen.

Auch Anteil an russischen Unternehmen

Ausweichend reagierte der Fondsprecher auch auf die Frage, ob angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine der deutsche Staatsfonds derzeit noch Anteile an russischen Unternehmen hält. Zum Zeitpunkt des 31. Dezember 2020 war dies der Fall. So hielt der Atomfonds Anteile im Wert von 17 Millionen Euro an der russischen Sberbank sowie am Ölkonzern Lukoil im Wert von 26 Millionen Euro.

Die Frage, ob der Staatsfonds die Anteile noch heute hält, lässt er unbeantwortet. Mitte des Jahres werde der Fonds zeitgleich mit dem Jahresabschluss neue Daten veröffentlichen. Ebenso wenig geht er auf die Frage ein, ob er seit der letzten Veröffentlichung auch in die russischen Konzerne Gazprom oder Rosneft investiert hat.

Die Betreiber der Plattform "Frag den Staat" prüfen derzeit juristische Schritte und fordern, dass der Fonds weitere Einzelheiten zu den Investitionen öffentlich machen müsse. Fest steht: Zum 31. Dezember 2020 hielt der Fonds russische Staatsanleihen im Wert von 79,5 Millionen Euro und belarusische Staatsanleihen im Wert von 1,3 Millionen Euro. Dazu heißt es: Von den belarusischen Staatsanleihen habe man sich ganz getrennt, die russischen habe man bereits vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine weitestgehend abgestoßen - momentan halte der Fonds noch Restbestände russischer Staatsanleihen im Wert von 2,7 Millionen Euro.