Gerichtssaal, in dem über den "Tiergartenmord" verhandelt wird

Ersuchen Russlands Warum der "Tiergartenmörder" nicht ausgetauscht wird

Stand: 01.08.2022 19:04 Uhr

Russland hat im Tausch für zwei US-Amerikaner die Auslieferung von Vadim Krasikov ins Spiel gebracht - einem verurteilten Auftragsmörder, der in Deutschland in Haft sitzt. Dies stößt auf Ablehnung und führt zu Warnungen.

Als Hinrichtung hatten Zeugen den Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin am 23. August 2019 beschrieben. Kaltblütig habe der Täter das bereits am Boden liegende Opfer erschossen. Der Vorsitzende Richter des zweiten Strafsenats am Kammergericht Berlin sprach von "Staatsterrorismus": Der Russe Vadim Krasikov habe den Mord im Auftrag des russischen Staates begangen - mit Heimtücke und aus niederen Beweggründen. Der Strafsenat verurteilte ihn zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.

Diesen Verurteilten, der in Deutschland in Haft sitzt, wollte die russische Seite zum Gegenstand von Verhandlungen um die Freilassung zweier US-Amerikaner machen, die in Russland in Haft sitzen. So berichtete es CNN am Samstag unter Berufung auf zahlreiche Quellen. Vertreter der US-Regierung bestätigten mit Statements diese Darstellung.

"Böswilliger Versuch"

Doch auch wenn Präsident Joe Biden um die Freilassung der Landsleute ringt und Außenminister Antony Blinken erstmals seit Kriegsbeginn ein Telefongespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow führte - ein Austausch, der Krasikov einbezieht, kommt für die US-Regierung offensichtlich nicht in Betracht: "Zwei zu Unrecht inhaftierte Amerikaner als Geiseln für die Freilassung eines russischen Mörders in Gewahrsam eines Drittlandes ist kein ernsthaftes Gegenangebot", sagte zum Beispiel Adrienne Watson, eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, dem Sender CNN. Es sei ein "böswilliger Versuch" Russlands, das Angebot der USA zu umgehen.

Russland ein "Terrorstaat"

Aus Deutschland kommt klare Ablehnung. CDU-Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter sagt zu den Verhandlungen: Es sei zwar sehr gut, dass sich die USA für einen Gefangenenaustausch von Brittney Griner und wohl auch Paul Whelan einsetzten. "Die Erfolgsaussichten sind jedoch beschränkt, da Verhandlungen mit einem Terrorstaat grundsätzlich schwierig sind", so der Außenpolitiker zu tagesschau.de.

Das werde deutlich, wenn Russland nun einen dritten Staat - in diesem Falle Deutschland - einbinde und den Austausch des in Deutschland verurteilten "Tiergartenmörders" fordere. "Das zeigt, dass Russland auch hier wenig Interesse an ernsthaften Verhandlungen hat und Wege sucht, Vorteile aus Angeboten zu schlagen", betonte Kiesewetter.

Für "abwegig" halten die Rechtsanwältinnen, die im Prozess gegen Krasikov die Angehörigen des Opfers vertraten, die Diskussion. "Krasikov wurde am 15. Dezember 2021 wegen der Ermordung von Zelimkhan Khangoshvili zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein Austausch Krasikovs wäre ein Signal an alle Despoten, ungesühnt und nahezu ohne Sanktionen politische Morde in Auftrag zu geben", teilten die Nebenklagevertreterinnen Inga Schuld und Johanna Künne tagesschau.de mit.

Überstellung grundsätzlich möglich

Sollte es aber im Interesse der Bundesregierung sein, Krasikov im Rahmen diplomatischer Initiativen wieder nach Russland zu lassen, so ist das grundsätzlich möglich und es gab in der Vergangenheit schon vergleichbare Fälle, sagt ARD-Sicherheitsexperte Holger Schmidt. Auch die lebenslange Freiheitsstrafe steht dem nicht unbedingt im Weg: "Zunächst müsste der Beschuldigte nach Ausländerrecht ausgewiesen werden. Dann könnte die Strafvollstreckungsbehörde von der weiteren Strafvollstreckung absehen - auch ohne dazu das Gericht anzuhören".

Die entsprechende Regelung des § 456a der Strafprozessordnung (StPO) gilt auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe. Strafvollstreckungsbehörde ist der Generalbundesanwalt, erläutert Schmidt. Der Generalbundesanwalt ist als Politischer Beamter zudem an Weisungen der Bundesregierung gebunden. "Bei Spionen ist es schon genau so gelaufen".

Eher theoretisch ist die Frage, ob sich der Betroffene gegen seine Ausweisung wehren könnte. Weil er zum Beispiel Angst vor der Reaktion in seinem Heimatland hat - was im Fall des Tiergarten-Mörders aber als eher unwahrscheinlich gilt. "Strafprozessual hätte er wohl keine Möglichkeit, seine Überstellung zu verhindern", so Schmidt. Es bliebe aber die Möglichkeit, über das Ausländerrecht eine mögliche Verfolgung geltend zu machen.

Eingeständnis des FSB

Im Fall Krasikov gehen Prozessbeteiligte davon aus, dass er tatsächlich zurückkehren will und in Russland nicht mit einer Strafe rechnen muss. Bei den Verhören bestand er nach Angaben von Polizeibeamten auf seiner Version, als Tourist mit dem Namen Vadim Sokolov nach Deutschland gekommen zu sein, ebenso bis zur Verkündung des Gerichtsurteils, auch wenn er keine Revision einlegte und das Urteil rechtsgültig wurde.

Dass er kurz nach der offensichtlich detailliert geplanten Tat festgenommen und seine Identität aufgeklärt werden konnte, ist weniger Fehlern als Umständen zu verdanken, die er kaum beeinflussen konnte. Das wurde während des Gerichtsprozesses deutlich.

"Schuldeingeständnis" für Auftragsmord

Die Art und Weise, wie nun offenbar von russischer Seite der Austausch Krasikovs ins Gespräch gebracht wurde, wirkt wie ein Eingeständnis dafür, dass Krasikov für den russischen Geheimdienst FSB und dessen Sondereinheit "Wympel" tätig gewesen sein könnte - dass er einer der ihren ist. Dem CNN-Bericht zufolge nutzten Vertreter aus Russland einen informellen Rückkanal des FSB für das Ersuchen, Krasikov freizulassen.

Während des Gerichtsprozesses waren keine Beweise, aber zahlreiche Indizien dafür zusammengetragen worden, die für eine Karriere des Angeklagten in den Sicherheitsstrukturen Russlands und eine Vorbereitung der Tat in Einrichtungen des FSB sprachen. So hatte der Schwager Krasikovs unter anderem ausgesagt, dieser sei Oberst und habe sich wie ein Geheimdienstagent verhalten.

Einem zweiten Eingeständnis käme es gleich, wenn über den informellen Kanal tatsächlich der Name Krasikov verwendet worden wäre. Dann wäre klar, dass Vadim Sokolov nur Tarnname für den Einsatz gewesen wäre. Russische Nachrichtenagenturen wie RIA Novosti und die regierungsnahe Zeitung "Iswestija" jedenfalls übernahmen den Namen Krasikov aus dem Artikel von CNN.

Der Grünen-Bundestagsabgeordneten Robin Wagener interpretiert dies so: "Deutlicher könnte ein Schuldeingeständnis für den russischen staatlichen Auftragsmord im Zentrum Berlins nicht sein." Krasikow werde seine rechtmäßige Strafe in Deutschland verbüßen. Er sei ein Mörder und keine Verhandlungsmasse für russische Geheimdienstler.

Warnung vor Reisen nach Russland

"Deutschland hat ein funktionierendes Rechtssystem, wir würden uns auf einen solchen Kuhhandel nicht einlassen. Der Kreml hat aber offenkundig ein besonderes Interesse an Krasikow und wird ihn weiter freipressen wollen. Damit steigt das Risiko deutscher Staatsbürger in Russland, Opfer staatlicher Willkür zu werden, wie es bei den beiden Amerikanern bereits der Fall scheint", teilte Wagener tagesschau.de mit.

Auch Kiesewetter warnt vor Reisen nach Russland: "Es besteht die Gefahr, hier festgehalten und, wie in Terrorstaaten üblich, ohne Grundlage inhaftiert oder unter fadenscheinigen Gründen und unter nicht rechtsstaatlichen Verfahren angeklagt zu werden. Es ist auf unabsehbare Zeit kein rechtsstaatliches Verhalten von Russland mehr zu erwarten." Auch das Auswärtige Amt rät auf seiner Website von Reisen in die Russische Föderation ab.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Juli 2022 um 18:00 Uhr in den Nachrichten.