Eine Flagge mit dem Firmenlogo der Schufa flattert vor dem Geschäftssitz in der Landeshauptstadt.
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Energietarife Schufa-Score entscheidet über Strom- und Gasverträge 

Stand: 05.12.2023 07:35 Uhr

Viele Unternehmen nutzen die Bonitätsbewertung der Schufa, Deutschlands größter Wirtschaftsauskunftei, wie Recherchen von NDR und SZ ergaben. Der Europäische Gerichtshof könnte die Nutzung nun deutlich einschränken.

Von Peter Hornung, NDR

Es ist nur eine Zahl, aber sie bestimmt offenbar häufiger als bislang bekannt, ob man etwas bekommt oder nicht: der sogenannte Schufa-Score. Die Bonitätsbewertung von Deutschlands größter Wirtschaftsauskunftei wird nach Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) von zahlreichen großen Unternehmen verschiedener Branchen eingesetzt, um zu entscheiden, ob mit Kunden eine Vertragsbeziehung eingegangen wird und unter welchen Bedingungen.

Interessant ist das vor allem vor dem Hintergrund eines anstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das für Donnerstag angekündigt ist: Die Richter könnten die Verwendung des Schufa-Scores und vergleichbarer Bonitätsbewertungen deutlich einschränken.

Schufa-Score entscheidet über Strom- und Gasverträge

NDR und SZ haben im Vorfeld dieser Entscheidung fast hundert große Unternehmen in Deutschland gefragt, wie wichtig solche Verbraucherbewertungen für sie seien, wenn sie Vertragsbeziehungen eingehen.  

In der Umfrage bestätigten mehrere große Energieversorger, dass sie den Schufa-Score insbesondere zur Beurteilung von Neukunden heranziehen. Wem die Schufa eine gute Zahlungsfähigkeit bescheinigt, der bekommt von den Energieversorgern einen attraktiven Sondervertrag mit günstigeren Konditionen. Wer weniger gut beurteilt wird, bekommt nur die vergleichsweise teure Grundversorgung angeboten. Die Schufa bewirbt auf ihrer Internetseite den Einsatz ihrer Scores in der Energieversorgerbranche ausdrücklich. Sie seien wichtig für ein "optimales Risikomanagement im Onboarding", also bei der Beurteilung der Bonität bislang unbekannter Kunden.

Michaela Engelmeier vom Sozialverband Deutschland (SoVD) kritisiert das Vorgehen der Energieversorger scharf: "Günstige Konditionen nur denen anzubieten, die es sich ohnehin leisten können, empfinden wir im höchsten Maße als unsozial und unsolidarisch", so Engelmeier.

Wie gerecht ist die Anwendung bei Energieversorgern?

Der Scoring-Experte Matthias Spielkamp von der Nichtregierungsorganisation Algorithmwatch sieht den Einsatz von Scores bei Energieversorgern ebenfalls kritisch: "Man kann sich durchaus fragen, wie gerecht es ist, wenn gerade die Ärmsten der Gesellschaft einen Nachteil davon haben bei grundlegenden Dingen wie etwa der Energieversorgung. Da geht es ja schließlich nicht darum, ob man sich jetzt einen Zweitwagen kauft, sondern dass man die Wohnung warm bekommt." 

Johannes Müller vom Verbraucherzentrale Bundesverband bemängelt vor allem die fehlende Transparenz: "Anbieter müssen sagen, wie der Score in die Entscheidung eingeflossen ist, von wem der Score kommt. Und die Anbieter der Scores müssen sagen, welche Informationen da reingekommen sind mit welcher Gewichtung. Damit Verbraucherinnen ihre Scores verstehen können."

Viele Unternehmen setzen auf Schufa-Score

Auch bei größeren Verkehrsbetrieben ist den Recherchen zufolge der Schufa-Score ausschlaggebend bei der Frage, ob bestimmte Abonnements abgeschlossen werden oder nicht, ebenso bei Versandhandels-Unternehmen, gerade um die Bonität von Neukunden zu beurteilen.

Zwei große Zahlungsdienstleister erklärten ebenfalls, für sie sei der Schufa-Score ein wichtiges Kriterium. Die befragten Firmen baten zumeist, nicht namentlich genannt zu werden. Die Antworten von Banken und Sparkassen legen nahe, dass der Schufa-Score alleine für sie oft nicht ausschlaggebend ist und in eine Kreditentscheidung zahlreiche weitere Informationen einbezogen werden. Lediglich in einigen Fällen ist demnach die Schufa-Bewertung entscheidend.  

EuGH könnte Scoring einschränken

Der Generalanwalt am EuGH hatte in seinem Schlussplädoyer im März 2023 festgestellt, dass der Schufa-Score nicht maßgeblich sein dürfe, wenn Unternehmen über Vertragsbeziehungen entscheiden. Er darf also kein K.O.-Kriterium sein. Der Score ist ein Wahrscheinlichkeitswert, der mit mathematisch-statistischen Verfahren aus Kundendaten errechnet wird und der vorhersagen soll, ob jemand Rechnungen bezahlen oder Kredite zurückzahlen kann.

Nach Ansicht des Generalanwalts ist es jedoch nicht zulässig, dass anhand einer solchen Zahl quasi automatisch über Verbraucher entschieden wird. Das schließe die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ausdrücklich aus. Der Europäische Gerichtshof folgt in seinen Urteilen in der weit überwiegenden Zahl der Fälle den Schlussplädoyers der Generalanwälte. 

Schufa bereitet sich auf Einschränkungen vor

NDR und SZ hatten bereits im September 2023 berichtet, dass die Schufa im Vorfeld der EuGH-Entscheidung versucht hatte, Vertragsunternehmen zu einer schriftlichen Erklärung zu bewegen. Demnach sollten die Firmen bestätigen, dass der Schufa-Score kein K.O.-Kriterium für deren Vertragsentscheidungen sei. Dies war bei einigen Unternehmen demnach zunächst auf Irritation und Befremden gestoßen.

Die Kunden hätten jedoch "in großer Mehrzahl" bestätigt, dass der Score "wichtig, aber nicht maßgeblich" sei, so Schufa-Chefin Tanja Birkholz vergangene Woche im "Tagesspiegel". Dennoch bereitet sich die Wiesbadener Wirtschaftsauskunftei nach eigenen Angaben darauf vor, dass das Scoring durch das EuGH-Urteil eingeschränkt wird.

In diesem Fall arbeitet die Schufa zusammen mit anderen Wirtschaftsauskunfteien auf eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) hin, die den Einsatz solcher Bewertungen weiterhin ermöglichen soll. Bis dahin wolle man die Verbraucher bitten ausdrücklich zuzustimmen, wenn eine Entscheidung anhand eines Scores getroffen werden soll. 

Score ist schwer zu kommunizieren

Wie so ein Score im Detail berechnet wird, blieb lange Zeit im Dunkeln. Die Schufa benutzte dafür gerne den Begriff "Coca-Cola-Formel", also eine geheime Mischung unbekannter Zutaten. Doch Recherchen von NDR und SZ legen nun nahe, dass das Zustandekommen der Verbraucherbewertungen im Unternehmen eher als Kommunikationsproblem, denn als gut zu hütendes Geschäftsgeheimnis gesehen wurde.

Demnach wurden in einer internen Schufa-Liste die einzelnen Score-Merkmale danach geordnet, wie gut man sie der Öffentlichkeit vermitteln könnte. So wurden die Bestandteile, aus denen die Verbraucherbewertung errechnet wird, mit fünf Farben markiert: dunkelgrün ("gut für Verbraucherkommunikation"), hellgrün ("eventuell geeignet"), gelb ("schwer zu kommunizieren"), orange ("kaum kommunizierbar") und rot ("nicht geeignet für Kommunikation").

Von 70 Merkmalen in der Liste wurden nur 17 als uneingeschränkt "gut für die Verbraucherkommunikation" eingeschätzt. Unklar ist jedoch in den meisten Fällen, warum die Schufa die Merkmale nicht für kommunizierbar hielt. Lediglich bei den Merkmalen "Alter" ("gegebenenfalls problematisch wg. Antidiskriminierung") und "Postleitzahl der aktuellen Anschrift der Person" ("Regio-Debatte") finden sich Hinweise.

Mehrere Merkmale galten offenbar nur dann als vermittelbar, wenn sie sich positiv auf die Schufa-Berechnungen auswirken, so das "Vorhandensein eines Girokontos", die "Anzahl ordentlich erledigter Ratenkredite" als "Mitantragssteller" und das "Vorhandensein eines Versandhandelskontos".

Eine Schufa-Sprecherin erklärte, man könne nicht nachvollziehen, um welche interne Unterlagen es sich handle. Daher könne das Unternehmen die Angaben weder prüfen noch kommentieren. Die Schufa hatte erst jüngst im Rahmen einer sogenannten Transparenzoffensive Teile ihres Scores offengelegt. Die meisten der Merkmale blieben jedoch mit Hinweis auf das Geschäftsgeheimnis weiter im Dunkeln.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 30. November 2023 um 18:15 Uhr.