Rammstein Kein Ende der Show
Rund ein Jahr nach den Vorwürfen startet die Band Rammstein heute ihre Deutschlandtour. Die Aufregung wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe durch Frontmann Lindemann ist abgeebbt, die Vorwürfe aber bleiben.
Heute Abend in Dresden wird sie wohl wieder da sein: die übergroße Peniskanone. Till Lindemann, der Frontmann von Rammstein, wird auf sie aufspringen und Schaum über die Fans verteilen. Tausende werden ihm und der Band zujubeln und die Feuershow genießen - beinahe so, als wäre nichts gewesen. Aber auch die Proteste gegen Auftritte der Band hören dort nicht auf. Aktivisten haben eine Demonstration angemeldet.
Ermittlungsverfahren gegen Lindemann eingestellt
Vor rund einem Jahr, Anfang Juni 2023, hatten NDR und Süddeutsche Zeitung erstmals Vorwürfe von Frauen öffentlich gemacht, die dem Rammstein-Sänger Lindemann mutmaßliche sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch anlasten. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte wenig später ein Ermittlungsverfahren gegen Lindemann unter anderem wegen mutmaßlicher Sexualdelikte eingeleitet, dieses im August jedoch wieder eingestellt.
Für viele war die öffentliche Diskussion um Lindemann damit beendet. Für andere - darunter auch einige der Frauen - ging es jedoch nicht in erster Linie um eine strafrechtliche Aufarbeitung. Sie wollten vor allem auf den von ihnen beschriebenen Machtmissbrauch aufmerksam machen.
"Wenn er nicht verurteilt ist, dann ist gar nichts passiert. Das fand ich halt total komisch", sagt etwa Cynthia A.*. Sie beschreibt, wie sie mit Lindemann vor einem Konzert im Backstage-Bereich Sex hatte. Diesen Sex bezeichnet sie im Nachhinein als Übergriff. Cynthia A. spricht über Machtmissbrauch und darüber, wie Lindemann ihrer Ansicht nach seinen Status als Rockstar ausgenutzt habe - das sei viel komplizierter zu diskutieren als strafrechtlich relevante Vorwürfe.
Machtgefälle zwischen Musikern und jungen Fans
Auch Jasmin Stevens*, die von einer aus ihrer Sicht übergriffigen Begegnung aus ihrer Jugend berichtet, geht es um das Machtgefälle zwischen bekannten Musikern und jungen Fans. "Wenn ich mir heute eine 17-Jährige angucke, ist das für mich ein Kind. Mir ist es unbegreiflich, wie erwachsene Männer das komplett ausblenden können, dass sie ein Kind vor sich haben." Das finde sie erschütternd, sagt Stevens.
Es sei an der Zeit, den Mythos des Sex, Drugs und Rock'n'Roll zu dekonstruieren und zu fragen: "Was haben wir uns da eigentlich geschaffen für eine Realität? Was machen wir denn da eigentlich mit? Und: Wollen wir das?"
Einige Menschen, die die Musikindustrie gut kennen, blicken heute kritischer auf das, was sie in der Branche erlebt haben. Markus Kavka etwa, der als ehemaliger VIVA-Moderator Rammstein und das Musikbusiness schon seit Mitte der 1990er-Jahre kennt. "Ich kann doch nicht voraussetzen, dass ein junges Mädchen von 18, 19, 20 Jahren, die vielleicht nur ein Fan der Musik ist, zu so einer Veranstaltung geht, und selbst drauf achten muss, körperlich unversehrt aus der Nummer wieder rauszukommen", sagt Kavka. "Es sind doch dann die Leute, die im Machtgefüge weiter oben stehen, die dafür eine Verantwortung haben."
Kritik an der Musikindustrie
Kavka kritisiert die Musikindustrie insgesamt. Vieles sei in der Musikbranche immer noch "steinzeitlich". Er wolle nicht mehr, dass dort weiterhin ein Verhalten akzeptiert werde, das anderswo schon lange nicht mehr durchgehen würde. Doch in der Musikindustrie gebe es große Beharrungskräfte.
"Es sind ja nicht nur die Individuen, die dafür sorgen, dass das Ganze unter Verschluss bleibt, sondern es ist das ganze System, das einfach überhaupt nicht zulässt, dass man den Leuten, die sich was zuschulden haben kommen lassen, an den Karren fährt", sagt Kavka. "Da hängt zu viel Kohle dran, hängen zu viele Arbeitsplätze dran."
Die neue Rammstein-Tour rollt in den kommenden Wochen quer durch Europa. Die Band wird unter anderem drei Mal in Frankfurt spielen und fünf Mal in der Gelsenkirchener Veltins Arena. Viele Konzerte sind bereits ausverkauft. Die teils hitzig geführte Auseinandersetzung rund um die Vorwürfe scheint der Band und ihrem Frontmann nicht geschadet zu haben.
"Fragen der Moral werden nicht mehr diskutiert"
Häufig würde eine solche öffentliche Debatte nach MeToo-Vorwürfen, die keine klare strafrechtliche Grundlage haben, sehr schnell enden, sagt Simone Kämpfer, langjährige Staatsanwältin und heutige Partnerin bei der Wirtschaftskanzlei Freshfields. "Ich glaube, dass das dem MeToo-Geschehen insgesamt nicht immer gerecht wird", sagt Kämpfer.
"Wenn dann das Verfahren eingestellt wird, nehmen es viele so wahr, als sei das ein Beleg dafür, dass der Beschuldigte alles richtig gemacht hat. Und Fragen der Moral werden nicht mehr diskutiert."
Laut Lindemann sei der Sex mit Fans am Rande von Konzerten immer einvernehmlich gewesen. Strafrechtlich relevante Vorwürfe bestreitet er - und klagt auch gegen die Berichterstattung über ihn in verschiedenen Medien. Derzeit führt Lindemanns Kanzlei auch gegen den NDR und die Süddeutsche Zeitung verschiedene Presserechts-Verfahren. In einigen der Auseinandersetzungen war Lindemann teilweise erfolgreich. Die meisten Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
* (Name von der Redaktion geändert)