Polizisten stehen in Marbella neben einem Einsatzfahrzeug.
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Ermordung in Spanien Ein toter V-Mann und viele Fragen

Stand: 06.10.2023 08:17 Uhr

Ein Mord in Spanien beschäftigt die deutsche Polizei. Nach Recherchen von WDR und NDR war das Opfer ein V-Mann der hessischen Polizei, eingesetzt, um Drogenkartelle zu infiltrieren. Wurde er vor seinem Tod enttarnt?

Von Florian Flade, WDR, und Reiko Pinkert, NDR

Das Leben von Aleksandar K. endete auf einem Stuhl in einer Ferienwohnung in der südspanischen Stadt Marbella. Mit einer Plastiktüte über dem Kopf, an Händen und Füßen gefesselt. Seine Mörder hatten ihn offenbar tagelang gefoltert, bevor sie ihm zwei Mal in den Kopf schossen.

Am 30. Juni 2022, einen Tag nach der Bluttat, entdeckte der Vermieter die Leiche. Die spanische Polizei geht davon aus, dass der 33-jährige Serbe ein Opfer im Drogenkrieg um das Geschäft mit Cannabis und Kokain in Europa wurde.

Deutsche Aufenthaltsgenehmigung gefunden

Die Spur in diesem Mordfall führt nach Recherchen von WDR und NDR nach Deutschland. Die spanischen Ermittler, Fachleute im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, brauchten einige Zeit, um den Toten zweifelsfrei zu identifizieren. Er hatte keine Ausweispapiere bei sich. In der Wohnung in der Ferienanlage soll allerdings eine deutsche Aufenthaltsgenehmigung gefunden worden sein.

Nach Recherchen von WDR und NDR war der Serbe als V-Mann, also als angeworbener Informant, für die hessische Polizei tätig. In dessen Auftrag sollte er Informationen über die Machenschaften der Drogenbanden liefern. Seine Spitzeltätigkeit wurde K. womöglich am Ende zum Verhängnis.

Wie WDR und NDR recherchiert haben, soll Aleksandar K., der zuletzt im hessischen Offenbach gelebt hatte, in die Drogengeschäfte eines europaweit agierenden Netzwerkes verwickelt gewesen sein. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Hanau wegen Mordes.

Weshalb K. im vergangenen Jahr an der Costa del Sol getötet wurde, ist bislang noch unklar. Möglicherweise wurde der Serbe vor seiner Ermordung enttarnt: Den Ermittlern in Hessen sollen, unter anderem durch abgehörte Telefonate, inzwischen Hinweise vorliegen, wonach Aleksandar K. seinen Mördern unter Folter gestanden haben soll, als Spitzel für die deutsche Polizei tätig gewesen zu sein.

Hinweise für mehrere Ermittlungsverfahren

Die hessischen Rauschgiftermittler sollen den Serben gezielt dafür eingesetzt haben, ein grenzüberschreitendes Drogennetzwerk aufzuklären, das in großem Stil mit Cannabis, Kokain und anderen Rauschgiften gehandelt haben soll. In mehrere Ermittlungsverfahren sollen die Hinweise des getöteten Polizei-Spitzels bereits eingeflossen sein.

So spielte der V-Mann auch eine Rolle im Verfahren um den Frankfurter Strafverteidiger Benjamin D., der im Juli vom Landgericht Frankfurt am Main wegen Drogenhandels und Geldwäsche zu sieben Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden war.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 46-jährige Jurist Drogentransporte von Spanien in die Rhein-Main-Region mitorganisiert hatte. D. soll gemeinsam mit weiteren Beschuldigten eine Art Speditionsunternehmen aufgebaut haben, über das Rauschgift, vor allem Cannabis, aus der Region um Barcelona nach Deutschland gebracht worden sein soll.

Rauschgiftgeschäfte über ein Krypto-Handy

Die Rauschgiftgeschäfte soll Benjamin D. vor allem über ein Krypto-Handy und das Programm "EncroChat“" abgewickelt haben. Dort nannte er sich "Ignacio Varga", nach einem kriminellen Charakter aus der US-Krimiserie "Better Call Saul".

Vor Gericht legte D. ein umfangreiches Geständnis ab, berichtete von seiner Kokain-Sucht und starkem Alkoholkonsum, und wie er ab 2018 zunehmend in das kriminelle Milieu abrutschte.

Er habe regelmäßig Rechtsberatung für Drogendealer betrieben und sei schließlich als Vermittler zwischen den Schmugglern tätig gewesen. Einer seiner Kontakt zu den kriminellen Netzwerken war offenbar der V-Mann Aleksandar K.

Auf Nachfrage wollten sich weder das hessische Innenministerium noch das Landeskriminalamt zu dem Sachverhalt äußern.

Ob und wie die hessischen Strafverfolger den Serben kurz vor seinem Tod einsetzten, bleibt bislang unklar. Ebenso, ob seine verhängnisvolle Reise nach Südspanien im vergangenen Jahr womöglich im Auftrag der Polizei erfolgte.

Spanischen Medienberichten zufolge gingen die dortigen Ermittler nach dem Mord zunächst davon aus, dass das Opfer zwischen die Fronten eines seit Jahren tobenden Drogenkrieges zweier verfeindeter Familien aus Kotor (Montenegro) geraten sein könnte. Mehrere Mordanschläge in Spanien, auf dem Balkan, in der Türkei, den Niederlanden und in anderen Ländern sollen durch diese Drogenkartelle verübt worden sein, die mit äußerster Brutalität um ihre Stellung im europaweiten Kokain-Handel kämpfen.

Offenbar mehrere Tatverdächtige identifiziert

Mittlerweile konnten nach Informationen von WDR und NDR durch die Spurensicherung am Tatort, Fingerabdrücke und durch Aufnahmen der Überwachungskameras in der Ferienanlage mehrere Tatverdächtige identifiziert werden, die Aleksandar K. zunächst gefoltert und dann erschossen haben sollen.

Die spanischen und deutschen Behörden gehen davon aus, dass es sich um mindestens eine Person aus dem Rockermilieu handelt. Tatverdächtige sollen sich derzeit auf der Flucht befinden.

Der grundsätzliche Einsatz von V-Personen durch die Polizei beschäftigt derweil auch die Bundesregierung. Nach dem Willen des FDP geführten Bundesjustizministeriums sollen die Einsätze der angeworbenen und meist bezahlten Informanten durch klare Vorgaben gesetzlich besser geregelt werden.

Ein entsprechender Entwurf über ein neues "Gesetz zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation" wurde im Juli an das Bundesinnenministerium übermittelt.

In einer früheren Version der Meldung hieß es, es habe sich um einen V-Mann des hessischen Landeskriminalamts (LKA) gehandelt. Die Person soll jedoch von der hessischen Kriminalpolizei angeworben worden sein. Wir haben dies korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen
Palina Milling, WDR, tagesschau, 06.10.2023 08:39 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 06. Oktober 2023 um 09:07 Uhr.