Angela Merkel mit Petro Poroschenko, Archivbild

Kreml-Comedians Scherzanruf bei Angela Merkel

Stand: 20.02.2023 15:30 Uhr

Kremlnahe Comedians haben Angela Merkel hereingelegt. Sie gaben sich als ukrainischer Ex-Präsident Poroschenko aus und telefonierten mit der Alt-Kanzlerin. Die Tonaufnahme schlachten sie jetzt für russische Propaganda aus.

"Ist dort Petro Poroschenko?", fragt Angela Merkel zu Beginn des Gesprächs. "Ja", sagt eine Stimme am anderen Ende der Telefonleitung - auf Deutsch. "Das bin ich." Aber der Mann, mit dem die ehemalige Bundeskanzlerin am 12. Januar telefonierte, heißt Alexej Stoljarow. Er ist Teil des russischen Comedy-Duos Wowan und Lexus.

Bezahlt werden die beiden von einer Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom, wie Stoljarow alias Lexus im Gespräch mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste im vergangenen Sommer eingeräumt hatte. Seit Jahren überzieht das Duo hauptsächlich westliche Politiker mit "Scherzanrufen". Es gab sich etwa als Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko aus. Neben Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey fiel darauf auch die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson herein - ähnlich wie nun Angela Merkel mit dem falschen früheren Präsidenten der Ukraine.

Am Montagmorgen veröffentlichten Wowan und Lexus einen rund zehnminütigen Ausschnitt des Telefonats im Netz. Insgesamt habe das Gespräch etwa 30 Minuten gedauert, sagte Stoljarow Kontraste. Die Aufnahme ist stark geschnitten, angeblich wegen einer Person, die gedolmetscht habe. Der Großteil fand demnach auf Ukrainisch statt. Eine ungeschnittene Version des Gesprächs konnte oder wollte Stoljarow nicht herausgeben.

Gespräch machte "unprofessionellen" Eindruck auf Merkel

Merkels Büro bestätigt Kontraste auf Anfrage ein Telefonat mit einer Person, die sich als Poroschenko ausgab. "Da der Anrufer das Anliegen seines Anrufs nicht erläuterte und in seinen Wortbeiträgen die abgefragten Themen ständig wechselten, gewann die Bundeskanzlerin a. D. den Eindruck eines unprofessionellen Gesprächs", so eine Sprecherin.

Auch das Auswärtige Amt sei hierüber informiert worden. Dessen Sprachendienst habe das Telefonat übersetzt. Man sei schon am 12. Dezember vom angeblichen Büro von Poroschenko schriftlich kontaktiert worden. Stoljarow sagt Kontraste, er und sein Partner hätten den Kontakt zunächst über eine ehemalige Mitarbeiterin oder einen ehemaligen Mitarbeiter Merkels aufgebaut.

Bei ihren Anrufen versuchen Wowan und Lexus offenkundig, ihre Zielpersonen vorzuführen, sie zu brisanten Äußerungen zu verleiten. So fragte der falsche Poroschenko im Telefonat nach Merkels Meinung zum belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko und zu polnischen Reparationsforderungen für die Verbrechen Nazi-Deutschlands. Zum Ende hin schlug er sogar vor, auf Russisch weiterzusprechen - angeblich, um Putin zu ärgern.

Merkel entgegnet trocken: "Nein, das machen wir ganz sicherlich nicht." Sie antwortet zurückhaltend, bleibt diplomatisch. Sie sagt, sie wolle nicht, dass eine "zweite öffentliche Front" vorbei an den offiziellen Kanälen der jeweiligen Regierungen aufgebaut werde. "Mir wäre es recht, wenn das ein Gespräch zwischen uns beiden bleibt und wir da keine große Pressearbeit machen."

Der Inhalt des Gesprächs mit Merkel bietet wohl keinen Stoff für Skandale. Stoljarow selbst bezeichnet die ungeschnittene Version als "sehr langweilig". Er teilte mit, er habe gar nicht erst versucht, Merkel kontroverse Aussagen zu entlocken - angeblich, weil sie so selten Interviews gebe.

Deutsche Blogger als Experten

Wowan und Lexus versuchen offenbar nun dennoch, das Telefonat für Propagandazwecke auszuschlachten. Das Ergebnis besprachen sie in einer Art Talkshow, die sie auf der Videoplattform "Rutube" veröffentlichten, einer russischen YouTube-Kopie. Darin beteiligt ist unter anderem der stellvertretende Vorsitzende der russischen Staatsduma, Boris Tschernyschow, von der nationalistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands, die als Putin-treu gilt.

In der Gesprächsrunde, die Merkels Aussagen bewerten soll, saßen auch die deutschen Blogger Thomas Röper und Alina Lipp. "Hier in Moskau kennen wir die beiden als Experten für Deutschland-Themen", so Stoljarow zu Kontraste. In Deutschland hingegen sind Röper und Lipp vor allem dafür bekannt, dass sie russische Desinformation verbreiten - etwa zu angeblichen Biowaffenlaboren in der Ukraine, mit denen Putin zu Beginn seinen Angriffskrieg zu rechtfertigen versucht hatte. Röper und Lipp sollen beide in Russland leben.

Verdacht auf Rechtfertigung eines Angriffskrieges

Röper betreibt die deutschsprachige Website "Anti-Spiegel", auf der er behauptete, angebliche russische Kriegsverbrechen in Butscha seien eine "Lüge". Russische Soldaten hatten in der ukrainischen Stadt im März 2022 hunderte Menschen getötet. Im September 2022 unterstützte Röper russische Scheinreferenden in der Ostukraine. In der Sendung von Wowan und Lexus durfte er Angela Merkel nun "Inkompetenz" attestieren.

Gegen Lipp wurde in Deutschland bis vor Kurzem noch wegen des Verdachts der Rechtfertigung eines Angriffskrieges ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Göttingen stellte die Ermittlungen inzwischen ein - allerdings nur, weil sich die Beschuldigte derzeit nicht in Deutschland aufhalte, so die Staatsanwaltschaft. Ein Sprecher sagte Kontraste: Würde Lipp wieder einreisen, würden die Ermittlungen wieder aufgenommen.