
Wahl in der Fraktion Nahles will's wissen
Stand: 29.05.2019 19:59 Uhr
Die SPD-Fraktion wählt am nächsten Dienstag ihre Spitze neu - und entscheidet damit über die Zukunft von Fraktionschefin Nahles. Die kämpft um ihren Job - und wartet auf Gegenkandidaten. Bisher vergeblich.
Von Wenke Börnsen, tagesschau.de
Die SPD macht das, was sie nach Wahldebakeln so oft macht: Sie stellt ihr Spitzenpersonal infrage. Aktuell unter Beschuss: Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles. Seit sie Montagabend die Machtfrage gestellt und damit nicht nur ihre innerparteilichen Kritiker kalt erwischt hat, diskutiert die Partei erbittert - eine einheitliche Stimmung in den Landesverbänden gibt es nicht. Nur sehr viel Zorn und Frust.
Angespannte Stimmung
Insofern geht Nahles mit ihrer Flucht nach vorn auf volles Risiko. Der Fraktionsvorstand billigte am Abend zwar ihren Vorschlag, die eigentlich für September geplante Wahl des Fraktionsvorsitzes auf nächsten Dienstag vorzuziehen, aber Ruhe ist damit nicht. Im Gegenteil. In der Sondersitzung wurde heftig gestritten.
Peter Dalheimer, ARD Berlin, zu den Entwicklungen in der SPD
tagesschau24 9:00 Uhr, 30.05.2019
Stundenlang diskutierte die Fraktion über Konsequenzen aus den Niederlagen bei der Europa- und Bremen-Wahl. Das Debakel hatte die Diskussion über die politische Zukunft von Nahles befeuert. Teilnehmer der Sondersitzung berichteten von angespannter Stimmung und einer scharfen Auseinandersetzung um die vorgezogene Neuwahl. Viele fühlten sich in der Kommunikation übergangen: Sie hatten am Montagabend aus dem Fernsehen von Nahles' Vorschlag erfahren.
Nahles will "Klarheit schaffen"
Nahles will mit der vorgezogenen Wahl "Klarheit schaffen", wie sie am Montagabend selbst sagte. Dabei hatte die Parteispitze zuvor in stundenlangen Beratungen verabredet, keine hektischen Personalentscheidungen treffen zu wollen. Doch dann wurde ein Brief bekannt, in dem ein Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen die Klärung der Zukunft von Nahles in der Fraktion forderte. "Entweder sie wird breit gestützt oder nicht", schrieb der Sprecher der SPD-Ruhrgebietsabgeordneten, Michael Groß. Dazu muss man wissen, dass aus dem NRW-Landesverband seit Wochen gegen Nahles gestichelt wurde, ebenso wie aus Niedersachsen.
Nahles hätte keine andere Wahl gehabt, als in die Offensive zu gehen, sagen Genossen aus ihrem Umfeld. Auch der Parlamentarische SPD-Geschäftsführer Carsten Schneider unterstützte Nahles' Vorgehen: Die SPD brauche vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Klarheit, argumentierte er in der ARD. "Und da ist das Gegrummel, das auch vor der Europawahl stattgefunden hat, schädlich."
Schulz will nicht
Offen gegen Nahles antreten will bislang jedoch niemand. Einer, der als möglicher Gegenkandidat gehandelt wurde, sagte ab: Martin Schulz. Dass er offenbar Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz hat, war schon vor der Europa- und Bremenwahl bekannt geworden. Auch Putschgerüchte machten die Runde. Heute schrieb er in einer Mail an die Bundestagsabgeordneten, die auch dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt:
Ich werde nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren. Dies habe ich Andrea Nahles schon vor zwei Wochen in besagtem Gespräch mitgeteilt. Ich habe Andrea Nahles in diesem Gespräch auch gesagt, dass es für mich selbstverständlich wäre sie zu informieren, sollte ich gegen sie antreten wollen. Dies war vor dem Gespräch nicht der Fall, und ist es auch jetzt nicht.
Mit seinem Schreiben wolle er Gerüchten entgegentreten, die seit einigen Tagen im Umlauf seien. In einem Interview mit der "Zeit" hatte der SPD-Abgeordnete und ehemalige Kanzlerkandidat seinen Unmut über die von Nahles vorgezogene Wahl des Fraktionschefs geäußert. "Diese Wahl ist für September angesetzt." Der Fraktion sollte die Zeit gegeben werden, die letzten Entwicklungen zu analysieren. Die Frage, ob er selbst gegen Nahles antrete, stelle sich "zurzeit" nicht.
Und noch eine Absage
Auch der SPD-Linke Matthias Miersch will nicht gegen Nahles antreten. Das hat er laut Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Dienstag bei einem Treffen linker Abgeordneter erklärt. Die Partei müsse nun inhaltlich vorankommen. Miersch ist Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. Der Bundestagsabgeordnete aus Hannover galt laut RND als möglicher Kompromisskandidat bei der Wahl zur Fraktionsspitze.
Auch der Name Achim Post fiel zuletzt immer wieder bei der Suche nach einem möglichen Gegenkandidaten für Nahles. Er gehört wie Schulz zum mächtigen NRW-Landesverband und ist derzeit Nahles' Stellvertreter an der Fraktionsspitze. Doch bislang hält sich Post bedeckt.
Machtkampf um SPD-Fraktionsvorsitz
tagesschau24 9:00 Uhr, 30.05.2019, Kirsten Girschick, ARD Berlin
"In den Ring steigen oder Klappe halten"
Nahles hatte ihre Kritiker aufgefordert, gegen sie anzutreten. Oder wie es Schneider formulierte: "Entweder Mut haben, selber in den Ring steigen, oder Klappe halten." Fraktionsvize Karl Lauterbach sprach von Feigheit: "Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es viele, die auch im Hintergrund mit der Presse sagen, Andrea Nahles sei nicht die richtige Fraktionsvorsitzende, gleichzeitig ist aber auch niemand bereit zu kandidieren. Das finde ich persönlich feige."
Offen ist, ob Nahles mit ihrem Schachzug wirklich viel gewinnen kann. Den Überraschungsmoment hatte sie zwar auf ihrer Seite - aber sonst? Der Unmut über sie ist seit Montagabend nur gewachsen. Auch weil die SPD mal wieder den Eindruck macht, nur über Personal und Posten zu streiten, statt über Inhalte und Strategien für Wege aus der Krise.
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