Eine Bewohnerin einer Seniorenwohnanlage bekommt den Blutdruck gemessen. (Archivbild)
FAQ

Spahns Reform Wie Pflegekosten gedeckelt werden sollen

Stand: 20.10.2020 04:46 Uhr

Bundesgesundheitsminister Spahn will den Eigenanteil für Pflegebedürftige künftig begrenzen. Was sich ändern soll, wie es finanziert würde - und warum es Kritik an den Plänen gibt.

Von Claudia Plaß, ARD Berlin

Wie wird Pflege im Pflegeheim finanziert?

Die Pflegeversicherung übernimmt anteilig Kosten für die reine Pflegeleistung. Die feste Pauschale richtet sich nach dem jeweiligen Pflegegrad. Die gesetzliche Pflegekasse funktioniert also nach einem Teilkasko-Prinzip. Wenn über die feste Pauschale die Kosten für die pflegebedingten Aufwendungen nicht abgedeckt werden können, fällt ein Eigenanteil an. Derzeit zahlen Pflegebedürftige in Deutschland im Schnitt 786 Euro monatlich. Das geht aus Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) hervor. Regional gibt es demnach große Unterschiede.

Zu dem Eigenanteil für die reine Pflegeleistung im Heim kommen weitere Posten hinzu: Betroffene müssen für Unterbringung und Verpflegung zahlen. Monatlich fallen im Schnitt dafür 774 Euro an. Zudem müssen Pflegebedürftige anteilig sogenannte Investitionskosten übernehmen. Dabei geht es um Ausgaben des Heimbetreibers etwa für Gebäudemiete oder Anschaffungen. Dieser Teil beträgt derzeit im Schnitt 455 Euro. Rechnet man die anteiligen Kosten für Pflege, Unterbringung und Verpflegung und Investitionen zusammen, müssen Pflegebedürftige im Schnitt 2015 Euro aus eigener Tasche zuzahlen.

Was soll sich mit der geplanten Pflegereform ändern?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will den Eigenanteil für die reinen Pflegekosten in der stationären Pflege deckeln - von derzeit durchschnittlich 786 Euro auf 700 Euro monatlich. Die Kosten sollen zudem zeitlich begrenzt werden, auf längsten 36 Monate. Danach fällt der Eigenanteil weg, so der Vorschlag. Der Minister will damit nach eigenen Angaben Planungssicherheit und Verlässlichkeit für Pflegebedürftige und deren Angehörige schaffen.

Drei Viertel der Pflegebedürftigen werden Zuhause gepflegt. Minister Spahn schlägt vor, die Voraussetzungen zu verbessern und einfacher zu organisieren. Dazu soll unter anderem ein jährliches Pflegebudget in Höhe von 3330 Euro zur Verfügung gestellt werden. Davon sollen Kurzzeit- und Verhinderungspflege gezahlt werden. Die Leistungen für pflegende Angehörige sollen stärker gebündelt und deren Arbeit besser unterstützt werden. Wird ein pflegender Angehöriger krank und braucht eine Aushilfe, springt dafür die Pflegeversicherung ein (Verhinderungshilfe). Geld gibt es auch von der Pflegekasse, wenn ein Betroffener ins Krankenhaus muss und danach auf stationäre Pflege angewiesen ist (Kurzzeitpflege).

Pflegekräfte sollen zudem besser bezahlt werden. Ein Heim oder ein Pflegedienst soll die Beschäftigten künftig nach Tarif bezahlen, Grundlage kann laut Spahn ein Haus- oder Branchentarif sein. 2018 wurden nur 40 Prozent der Beschäftigten in Pflegeheimen nach Tarif bezahlt. Konkret schlägt Spahn vor, dass ein Heim oder ein Pflegedienst nur dann Leistungen mit der Pflegeversicherung abrechnen kann, wenn die Mitarbeiter mindestens nach Tarif entlohnt werden.

Wieviel Geld werden die Reformen kosten?

Spahn rechnet mit Kosten in Höhe von sechs Milliarden Euro pro Jahr. Zum großen Teil solle dies aus dem Bundeshaushalt, also über Steuermittel finanziert werden.

Schützen die Reformvorschläge vor Altersarmut?

Die durchschnittliche Brutto-Rente nach 35 Jahren Versicherungsjahren liegt bundesweit zwischen 1570 (Männer) und 1173 (Frauen) Euro monatlich. Davon werden noch Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen. Rechnet man bei der Auszahlung der Renten auch Menschen ein, die weniger gearbeitet haben und Rente beziehen, dann betrug der "Zahlbetrag" im Jahr 2018 durchschnittlich 906 Euro pro Monat.

Die Zahlen zeigen: Die gesetzliche Rente allein reicht oftmals nicht aus, um die Eigenanteile für Pflege und Betreuung im Pflegeheim zu zahlen. Laut AOK kann jeder dritte Heimbewohner derzeit den Eigenanteil nicht alleine finanzieren und ist auf Sozialhilfe angewiesen. Verbände warnen vor einem wachsenden Armutsrisiko in der Pflege.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband findet:  Zwar gingen die Reformvorschläge des Ministers in die richtige Richtung, durch eine Deckelung des Eigenanteils auf 700 Euro werde sichergestellt, dass die Finanzierung künftiger Verbesserungen nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen ginge. Um aber Pflegebedürftige wirksam vor Altersarmut zu schützen, müsse der Eigenanteil viel deutlicher begrenzt werden.

Auch der Sozialverband VdK begrüßt es grundsätzlich, dass die Bundesregierung auf die, wie es heißt, Kostenexplosion in der Pflege reagieren wolle. Gut sei, dass der Minister auch Steuergelder für die Pflege ausgeben wolle. Allerdings gingen die Vorschläge nicht weit genug. Die Pflegeversicherung müsse endlich alle Pflegekosten übernehmen, nicht nur einen Zuschuss.

Streitfall Behandlungspflege im Pflegeheim - wer zahlt?

Blutdruckmessen, Verbandswechsel, Wundversorgung - unter anderem diese medizinischen Leistungen gehören zur sogenannten Behandlungspflege. Im ambulanten Bereich übernehmen dafür die Krankenkassen die Kosten. Anders im Pflegeheim: Dort werden die Kosten über die Pflegeversicherung abgerechnet. Diese Kosten fließen bei Heimbewohnern also in die pflegebedingten Aufwendungen mit ein.

Verbände wie die Caritas sprechen von einer Gerechtigkeitslücke. Auch der Deutsche Pflegerat fordert: Leistungen von Pflegeversicherung und Krankenversicherung müssten besser abgestimmt werden, die Krankenkasse sollte für Behandlungspflege im Pflegeheim bezahlen. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche, spricht gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio von einem Konstruktionsfehler. Viele Pflegebedürftige bräuchten zum Beispiel nach einer Operation eine medizinische Wundversorgung. Diese krankenpflegerischen Leistungen müssten derzeit die Pflegebedürftigen selbst über den Eigenanteil zahlen. Der würde deutlich sinken, wenn stattdessen die Krankenkassen die Kosten übernähmen.

Wann tritt eine Pflegereform in Kraft?

Das ist noch offen. Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet mit kontroversen Diskussionen, setzt aber darauf, dass eine Reform noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr umgesetzt wird. In der Großen Koalition werde man nun besprechen, ob und was in dieser Legislaturperiode noch gehe. Auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios teilte sein Ministerium mit, dass derzeit "mit Hochdruck" an gesetzlichen Regelungen gearbeitet werde.

Und die anderen Parteien?

SPD: Der Koalitionspartner kritisiert, dass unterschiedliche Einkommen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Generalsekretär Lars Klingbeil betonte, diejenigen, die hohe Einkommen und hohe Vermögen hätten, könnten auch mehr leisten.

FDP: Die FDP warnt vor Steuererhöhungen. Ohne massive Erhöhungen sei die Deckelung der Beitrage kaum machbar. Die pflegepolitischer Sprecherin Nicole Westig kritisiert: Die Pläne von Spahn seien Augenwischerei. Der Minister beziehe sich mit seinen Plänen nur auf den pflegebedingten Anteil - da sei keine wirkliche Entlastung gegeben, dem stehe aber einer enormen Belastung der jungen Generation entgegen. Westig fordert eine nachhaltige und generationengerechte Pflege - das werde aber nicht ohne private Zusatzvorsorge gehen.

Linkspartei: Die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann, kritisiert die Reformpläne als "maximal ein Reförmchen". Viele ältere Menschen könnten sich einen Eigenanteil von 700 Euro nicht leisten. Pflegebedarf bleibe damit ein Armutsrisiko. Die Pflegekosten müssten deutlich niedriger sein als die Renten. Sie fordert eine Pflegevollversicherung.

Grüne: Auch für die Grünen greifen die Reformvorschläge von Gesundheitsminister Spahn zu kurz. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Schulz-Asche, schlägt eine doppelte Pflegegarantie vor, ein umfassendes Konzept für die stationäre und ambulante Pflege. 

Der Eigenanteil für Pflege soll demnach dauerhaft gedeckelt werden - außerdem soll die Pflegeversicherung alle pflegerischen Kosten für eine "bedarfsgerechte Versorgung" übernehmen. Das bedeutet: Die Pflegeleistungen sollen künftig stärker am Bedarf der Pflegebedürftigen orientiert werden - dafür müssten Pflegebedürftige und Angehörige künftig besser beraten werden. Das gelte im Pflegeheim genauso wie in der ambulanten Pflege.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 4. Oktober 2020 um 13:05 Uhr.