Bundeswehr und NATO-"Speerspitze" Die ausgebremste Eingreiftruppe

Stand: 22.08.2015 00:03 Uhr

Zur Abschreckung gegen Russland hat die NATO eine superschnelle Eingreiftruppe aufgestellt - die sogenannte "Speerspitze". Doch deren Einsatz würde durch Bürokratie, wochenlange Bearbeitungszeiten und fehlende Transportmöglichkeiten dramatisch verzögert.

Sie sitzen quasi auf gepackten Rucksäcken, die Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 aus dem sächsischen Marienberg. Innerhalb von 48 Stunden sollen sie abmarschbereit sein. Ihre Einheit gehört zur so genannten "Very High Readiness Joint Task Force", kurz VJTF. Grob übersetzt ist das die "gemeinsame, sehr schnell verfügbare Eingreiftruppe" der NATO. Und weil der Name selbst den Brüsseler Planern dann wohl doch etwas zu sperrig vorkam, wurde sie kurzerhand und etwas martialisch "Speerspitze" getauft.

Doch die könnte sich im Ernstfall als ziemlich stumpf erweisen. Womöglich kann sie nämlich doch nicht so superschnell in mögliche Einsatzgebiete verlegt werden, wie das die Verteidigungsminister großspurig angekündigt hatten, als sie die Einrichtung der VJTF vor einem knappen Jahr verkündeten. Größte Bremsklötze sind offenbar Bürokratie, wochenlange Bearbeitungsfristen und fehlenden Transportmöglichkeiten. Das zumindest legt eine Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, Markus Grübel, an den Verteidigungsausschuss des Bundestages nahe.

Fast nicht zu gewinnen: Kampf gegen Bürokratie

Das 13-seitige Papier vom 7. Mai, das tagesschau.de vorliegt, ist als "VS - nur für den Dienstgebrauch" eingestuft - aus gutem Grund. Denn es belegt, dass eine der größten Herausforderungen für die deutschen Soldaten der schnellen Eingreiftruppe erst einmal der Kampf gegen die Bürokratie ist. Beim Transport von Fahrzeugen, Munition und weiterer Ausrüstung auf der Straße muss die Bundeswehr nicht nur die Lenk- und Ruhezeiten einhalten und natürlich das Sonn- und Feiertags-Fahrverbot, sondern man braucht auch Sondergenehmigungen für den Transport von Kriegswaffen und grundsätzliche Genehmigungen der zuständigen Straßenverkehrsbehörden für die Durchführung größerer Konvois. Und das dauert.

Im Schreiben aus dem Ministerium heißt es dazu: "Die sich daraus ergebenden Vorlaufzeiten für Genehmigungsverfahren aufgrund gesetzlicher Vorgaben in Deutschland stellen eine deutliche Herausforderung dar. Zudem müssen für die erforderlichen Transitgenehmigungen bei grenzüberschreitenden Verlegungen zurzeit bis zu 30 Tage veranschlagt werden." Sobald nämlich die inzwischen ja nicht mehr ganz so schnelle Eingreiftruppe eine Landesgrenze erreicht, kommen der Zoll und diverse andere Behörden des Transitlandes ins Spiel.

Die Zeiten haben sich geändert

Das macht auch dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels Sorgen: "Es müssen dringend neue Vereinbarungen für Transitabkommen geschlossen werden. Mit den osteuropäischen Staaten gibt es das alles nicht, weil die einfach so spät im Bündnis dazugekommen sind. Und lange Zeit war das ja auch nicht wirklich nötig", sagt der SPD-Politiker. Doch diese Zeiten hätten sich eben geändert: "Für die Teilnahme an der kollektiven Verteidigung - also der Bündnisverteidigung in Europa - mit den ja überall kleiner gewordenen Kräften - ist Beweglichkeit unabdingbar."

So sieht das auch die Bundeswehr selbst. Sie fordert eine Harmonisierung der Transit- und Zollregelungen, um Soldaten und Material schneller in mögliche Einsatzgebiete zu bekommen. Außerdem müsse die Möglichkeit geschaffen werden, die erforderlichen Genehmigungen an 24 Stunden und sieben Tagen in der Woche, also auch am Wochenende, ausgestellt zu bekommen. Überfällig findet das auch der Wehrbeauftragte, denn Krisen entwickelten sich heutzutage deutlich schneller als in Zeiten des Kalten Krieges: "Die Vorwarnzeiten sind eben nicht mehr zehn Jahre, wie man das früher angenommen hat. Wir erleben immer wieder, dass die Welt sich sicherheitspolitisch rasant und grundlegend verändert: Balkankrieg, 11. September, Arabischer Frühling, Islamischer Staat, Russland-Ukraine-Konflikt - all das hatte keine zehn Jahre Vorlauf, sondern nicht mal ein Jahr", gibt Bartels zu Bedenken.

Die Bundeswehr warnt auch, dass die Kapazitäten für den Transport auf der Straße womöglich nicht ausreichend seien. Eine "Überprüfung der zurzeit geltenden Mengengerüste und Zeitlinien" sei erforderlich. Und die könne dann womöglich auch deutlich mehr Geld erfordern, lässt das Schreiben aus dem Bendlerblock durchblicken. Auf die Schiene auszuweichen nützt der Bundeswehr derweil wenig. Zwar hat die Truppe selbst noch ausreichend Waggons, um Panzer und Material in kleinerem Umfang transportieren zu können, aber allein die Einpassung der Militärtransporte in den Fahrplan durch die DB Netz AG dauere laut Ministeriums-Schreiben 25 bis 30 Arbeitstage. Sobald größere Truppenkontingente transportiert werden müssen, sei es außerdem nötig, zusätzliche Waggons zu mieten. "Die Verfügbarkeit auf dem zivilen Markt ist jedoch nicht immer kurzfristig gegeben" - man werde behandelt, wie jeder andere Kunde auch.

Luftweg? Fehlanzeige

Nun könnte die Bundeswehr ja auf den Luftweg ausweichen - geht am schnellsten und man spart sich Transitgenehmigungen für Straße und Schiene. Doch die Streitkräfte bescheinigen sich selbst "eine sehr begrenzte Kapazität strategischer Lufttransportmittel für den Materialtransport". Anders formuliert: Es fehlt an geeigneten Flugzeugen. Die altersschwachen Transall-Maschinen können schlicht nicht genug tragen, das Nachfolgemodell Airbus A400M lässt auf sich warten. Zwar hat die NATO einen Pool von Transportfliegern, doch da konkurriere man mit den Wünschen vieler anderer Nationen, räumt das Ministerium ein.

Dann ist da noch ein Vertrag mit einem kommerziellen Anbieter, der Ruslan Salis GmbH. Die verfügt über sehr große Maschinen, mit denen schon der Rückzug aus Afghanistan bewältigt wurde und die eigentlich auch ideal für den schnellen Transport der schnellen Eingreiftruppe VJTF geeignet wären. Aber pikanterweise ist an Salis auch ein russisches Unternehmen beteiligt. Und so kommt das Verteidigungsministerium zu dem Schluss: "Aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Vertragskonformität eines russischen Unterauftragnehmers der Ruslan Salis GmbH im Falle eines VJTF-Einsatzes wurde durch die SALIS-Mitgliedsstaaten bereits die Identifikation einer Alternativlösung für den Transport übergroßer Fracht auf europäischer Ebene initiiert."

Dass es bei den Rahmenbedingungen für die Truppenverlegung insgesamt - gelinde gesagt - besser laufen könnte ist wohl auch den Planern im Verteidigungsministerium klar. Im Schreiben aus von der Leyens Haus wird auch erwähnt, dass man aktuell über neue Transport-Regelungen in Deutschland, Anpassung und Harmonisierung innerhalb der Nato und die deutliche Verkürzung der Genehmigungsverfahren diskutiere. Doch wie viel Vorlauf nötig sein wird, bis das dann endlich alles in Kraft tritt, das weiß wohl niemand.