Nahles will neue Regeln für EU-Bürger Nothilfe statt Sozialleistungen

Stand: 28.04.2016 16:51 Uhr

Andrea Nahles macht ernst. Die Arbeitsministerin will den Zugang von EU-Ausländern zum deutschen Sozialsystem drastisch erschweren. Große Koalition und Vertreter der Kommunen applaudieren ihr, bei der Opposition zeigt man sich hingegen entsetzt.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will die Sozialleistungen für Zuwanderer aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union deutlich beschränken. Künftig sollen EU-Bürger, die nicht in Deutschland arbeiten und nicht in die deutsche Sozialversicherung eingezahlt haben, erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe und Hartz IV erhalten. Gleichzeitig soll eine "Nothilfe" eingeführt werden, die EU-Bürger ohne Anspruch auf Sozialleistungen einmalig beantragen können. Sie soll für höchstens vier Wochen den unmittelbaren Bedarf für Essen, Unterkunft, Körperpflege und medizinische Versorgung abdecken. Danach sollen die Betroffenen ein Darlehen erhalten können, das ihnen die Reise zurück in ihr Heimatland finanziert. Dort können sie dann Sozialhilfe beantragen.

Ein entsprechender Gesetzesentwurf ging heute in die Ressortabstimmung, bestätigte Nahles. Sie sprach von einer "angemessenen Regelung". Zwar gebe es keinen "Massenansturm" bedürftiger EU-Ausländer, die Bundesregierung wolle aber dennoch ein "Schlupfloch" schließen. Laut Bundesagentur für Arbeit beziehen derzeit knapp 440.000 EU-Ausländer Hartz IV oder Sozialhilfe. Nicht alle dieser Menschen sind arbeitslos. Viele von ihnen sind sogenannte "Aufstocker", die wenig verdienen und deshalb Anspruch auf weitere Unterstützung haben.

Sozialleistungen für EU-Ausländer (bisherige Regelungen)

Hartz IV: Arbeitssuchende EU-Bürger bekommen in Deutschland genau wie deutsche Staatsbürger Hartz IV-Leistungen. Es gibt jedoch Ausnahmen: Arbeitslosen, die nicht wirklich nach einer Beschäftigung suchen, kann die Grundsicherung gestrichen werden. Auch EU-Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz besitzen, etwa weil sie nicht über genug Vermögen verfügen, haben keinen Anspruch auf Unterstützung.

Sozialhilfe: Wie das Bundessozialgericht im Dezember urteilte, haben EU-Bürger nach sechs Monaten in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe. Sie können sie jedoch auch schon vorher beziehen, wenn die zuständigen Ämter dies so entscheiden. Voraussetzung ist, dass sie bereits mindestens drei Monate in Deutschland sind. Wer jedoch nur ins Land gekommen ist, um Sozialhilfe zu beziehen, dem kann der Staat die Zahlung verweigern.

Kindergeld: So lange sich EU-Bürger in Deutschland aufhalten, haben sie auch einen Anspruch auf Kindergeld. Das gilt auch, wenn die Kinder nicht mit nach Deutschland gekommen sind, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Zuwanderer einer unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Beschäftigung nachgeht, zum Beispiel Saisonarbeit. Die Große Koalition erwägt, die Höhe des Kindergeldes für im Ausland lebende Kinder an die Lebenshaltungskosten in deren Heimat anzupassen.

Aufatmen bei den Kommunen

Das geplante Gesetz ist eine Reaktion auf ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem vergangenen Jahr. Die Richter hatten entschieden, dass EU-Bürger nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland einen Anspruch auf Sozialleistungen hätten. Zwar könnten EU-Bürger von Hartz IV-Leistungen ausgeschlossen werden, wenn sie nur zur Arbeitssuche nach Deutschland kämen, die Sozialhilfe könne man ihnen jedoch nicht streichen.

Das Urteil hatte die Kommunen aufgeschreckt - schließlich sind sie in der Regel für die Auszahlung der Sozialhilfe zuständig. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) befürchtete Mehrkosten in Höhe von "600 Mio. bis mehr als 1 Mrd. Euro" für die Sozialhilfeträger. Entsprechend zufrieden zeigten sich die Vertreter der Kommunen mit Nahles‘ Ankündigung: "Freizügigkeit innerhalb der EU bedeutet nicht, dass sich die EU-Bürger das Sozialsystem mit den umfassendsten Leistungen aussuchen können. Insofern ist es gut und richtig, dass nun klage gesetzgeberische Schranken gesetzt werden sollen", so DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg zu tagesschau.de. Auch der Deutsche Städtetag begrüßte die angekündigte Neuregelung.

Widerstand bei der Opposition

In der Großen Koalition steht man bei diesem Thema zusammen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich bereits in der Vergangenheit hinter Nahles‘ Kurs gestellt. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister und SPD-Vize Olaf Scholz zeigte sich zufrieden. Die Opposition lehnt die Pläne hingegen ab.

Der Vorschlag "verstößt sehr wahrscheinlich gegen das Grundrecht auf Existenzsicherung", so Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Auch die Linke kritisiert das Vorhaben. "Wenn man meint, die SPD sei schon ganz unten angekommen, kommt die Ex-Parteilinke Nahles und sortiert EU-Bürger in gute und schlechte", so der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Jan Korte. "Offenbar folgt auf die Entsozialdemokratisierung der SPD nun die Seehoferisierung." Korte forderte, europäische Lösungen zu entwickeln, anstatt sich "national abzuschotten".

Ähnlich äußerte sich auch Parteichefin Katja Kipping: "Das Thema Hartz IV für EU-Ausländer verweist auf die grundlegende Frage, wohin sich die EU weiter entwickelt", so die Linken-Vorsitzende zu tagesschau.de. Das Bundessozialministerium solle sich lieber dafür einsetzen, dass soziale Garantien EU-weit Verfassungsrang bekämen, so Kipping weiter. "Das heißt, es sollte in jedem EU-Mitgliedstaat eine sanktionsfreie Mindestsicherung geben."

Trotz der Verärgerung bei Linken und Grünen: Im Arbeitsministerium geht man davon aus, die jetzt angekündigten Regelungen schnell umsetzen zu können. Man rechne nicht mit allzu großen Widerständen, heißt es.