Interview

Interview zur Kabinettsklausur "Meseberg ist ein falsches Signal"

Stand: 17.11.2009 11:53 Uhr

Für zwei Tage trifft sich von heute an das schwarz-gelbe Kabinett nahe Berlin. Politikberater Michael Spreng spricht von "Gruppentherapie": Die schlampige Ausarbeitung des Koalitionsvertrags habe zu so viel Streit geführt, dass nun Einigkeit demonstriert werden müsse. Viel mehr als Symbolpolitik sei das Treffen aber nicht.

tagesschau.de: Herr Spreng, die Kabinettsklausur im Barockschloss Meseberg, zwei Tage inmitten einer malerischen Kulisse nördlich von Berlin - das klingt nach Flitterwochen zweier Partner, die lange aufeinander gewartet haben.

Michael Spreng: Es ist aber mehr eine Gruppentherapie. Schon wenige Tage nach dem Abschluss des Koalitionsvertrags wird dieser von beiden beteiligten Seiten in zwei zentralen Fragen unterschiedlich interpretiert: Einmal, was Steuersenkungen betrifft, und zum zweiten in der Frage der Gesundheitsreform. Da besteht Klärungsbedarf.

Eine Verlängerung der Kurzarbeit könnte rauskommen

tagesschau.de: Diese Fragen sind im Koalitionsvertrag offen gelassen worden: Steuersenkungen sind unter Vorbehalt gestellt, und die Gesundheitsreform soll von einer Kommission beraten werden. Da wird es in Meseberg doch wohl kaum Ergebnisse geben.

Spreng: Ja. Dieser Streit bleibt der Koalition erhalten. Die Klausurteilnehmer werden zwar versichern, sie wären sich vollkommen einig, das wird aber nicht sehr  lange halten. Ich gehe aber davon aus, dass man in Meseberg zumindest eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes beschließen wird.

Michael Spreng
Zur Person

Michael Spreng war von 1989 bis 2000 Chefredakteur der "Bild am Sonntag" und im Wahlkampf 2002 Wahlkampfmanager des Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. Nach dessen Niederlage wurde Spreng 2003 Redaktionsleiter der ARD-Sendung "Menschen bei Maischberger". Heute arbeitet Spreng als freier Medien- und Kommunikationsberater. In seinem Blog "Sprengsatz" kommentiert der als unabhängiger Kopf geltende 61-Jährige das politische Geschehen.

tagesschau.de: Dann könnte man sich die zweitägige Klausur doch eigentlich sparen, oder?

Spreng: Ich halte sie ohnehin sowohl taktisch als auch kommunikativ für ein falsches Signal. Es wirkt wie ein Krisengipfel - vier Wochen nach Abschluss des Koalitionsvertrags. Insofern kommt diese Klausurtagung zu früh. Man sollte das lieber im Kabinett klären, im normalen Arbeitsalltag. Und hätte man den Koalitionsvertrag ordentlich ausgehandelt, bräuchte man nicht jetzt schon eine Klausur.

"Das ist sehr viel Show"

tagesschau.de: Warum dann diese Klausur?

Spreng: Das ist sehr viel Symbolpolitik und Show. Da sollen schöne Bilder produziert werden. Man wird gemeinsam vor die Presse gehen und viele gemeinsame Erklärungen abgeben: dass man unerschütterlich zueinander steht und an einem Strang zieht.

tagesschau.de: Der Start von Schwarz-Gelb gilt als holprig. Aber ist das nicht eher normal, wenn sich zwei Regierungspartner zusammentun?

Spreng: Viele Koalitionen sind schlecht gestartet. Ich denke da nur an die Regierung Schröder 1998: Das war ein ausgesprochen schlechter Start - und er ist 2002 wiedergewählt worden. Man soll das auch nicht überbewerten. Nur hängt es aktuell damit zusammen, dass der Koalitionsvertrag schlampig ausgearbeitet wurde und in den entscheidenden Fragen keine konkreten Festlegungen gibt.

Bundeskabinett

Das Bundeskabinett streitet schon vier Wochen nach dem Start. Auch, weil der Koalitionsvertrag so viele Fragen offen lässt, meint Spreng.

tagesschau.de: Typisch für Angela Merkel, oder?

Spreng: Ja, das ist ihre Handschrift: Man weiß ja nicht, was kommt, und wartet lieber erstmal ab, was sich noch alles ergeben kann. Diese Philosophie steckt dahinter.

"Die FDP wird demontiert"

tagesschau.de: Noch immer fragt man sich, wie eine erklärtermaßen gewünschte Koalition so schnell so viel Krach miteinander haben kann.

Spreng: Vielleicht war das doch keine reine Wunschkoalition. Frau Merkel hat lange mit einer Fortsetzung der Großen Koalition geliebäugelt. Im konkreten Fall hängt es aber auch damit zusammen, dass die CDU mit leeren Aktenordnern in die Koalitionsverhandlungen gegangen ist. Sie hatte kein eigenes Thema, kein eigenes Projekt. Die entscheidenden Themen kamen von der FDP und von der CSU. Insofern muss die CDU jetzt auch noch den Koalitionsvertrag nacharbeiten, weil sie sehr schlecht vorbereitet war.

tagesschau.de: Die FDP hingegen ist mit sehr konkreten Aussagen in den Wahlkampf gezogen und könnte damit scheitern. Droht der FDP das, was der SPD in der Großen Koalition passiert ist: zum immer kleineren und unpopuläreren Partner zu werden?

Schloss Meseberg

Schloss Meseberg liegt in der Mark Brandenburg und ist in den kommenden zwei Tagen die Kulisse der ersten Kabinettsklausur von Schwarz-Gelb.

Spreng: Die FDP wird schon ein Stück demontiert - durch die Haushaltsrealität, durch den CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble und die Wirtschaftsweisen. Vor Mitte kommenden Jahres besteht allerdings ohnehin kein Entscheidungszwang. Vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai wird nicht über Steuersenkungen entschieden.

Aber die FDP musste die Senkungen in den Koalitionsvertrag schreiben, denn sonst hätte sie wieder als Umfallerpartei dagestanden. Nun ist sie gefangen in den eigenen Wahlversprechen und hat auch die CDU als Geisel für diese Versprechen genommen. Dadurch entsteht viel Streit. Frau Merkel war ja in der Frage von Steuersenkungen immer viel skeptischer.

tagesschau.de: Stichwort Streit: In Meseberg sitzt das Kabinett zusammen. Das bedeutet, dass zum Beispiel der als Störenfried berüchtigte CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nicht dabei ist. Könnte das dem Klima nicht zuträglich sein?

Spreng: Dem Klima ja - aber für die Entscheidungsprozesse ist das schlecht: Ein wesentlicher Teil der künftigen Streitereien wird sich gerade mit den Ministerpräsidenten abspielen. Die haben die enormen Einnahmeausfälle durch eine große Steuerreform. Die möglichen Blockadepolitiker, die das Ganze noch vereiteln könnten, sitzen also gar nicht mit am Tisch.

Das Gespräch führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.