Interview

Anja Hajduk, Grünen-Haushaltsexpertin "In guten Zeiten für schlechtere Tage vorsorgen"

Stand: 11.09.2007 11:59 Uhr

tagesschau.de: Einmal angenommen, Sie könnten eine Milliarde Euro im Haushalt 2008 mehr ausgeben. In welches Ressort stecken Sie diese und warum?

Anja Hajduk: Allein mit zusätzlichem Geld macht man keine Politik. Aber wir setzten uns dafür ein, eine Milliarde Euro in einen Stromsparfonds zu investieren, um die Anreize für Strom sparende Geräte zu fördern. Komplett gegenfinanziert werden die zusätzlichen Ausgaben durch Erlöse künftiger Auktionen beim Emissionshandel. Allein dies ist eine konsequente Klimapolitik mit doppeltem Anreiz: Auf der Einnahmen- und der Ausgabenseite. Zusätzliche Steuereinnahmen gehören hingegen in den Abbau der Neuverschuldung. In konjunkturell guten Zeiten müssen wir für schlechtere Tage vorsorgen.

tagesschau.de: Angenommen, Sie müssten eine Milliarde Euro kürzen: Welches Ressort trifft es und warum?

Hajduk: Im Bundeshaushalt tummeln sich unzählige überflüssige Ausgaben: Rüstungsinvestitionen, die bei zukünftigen Einsatzszenarien unbrauchbar sind, oder millionenschwere Ausgaben für die Doppelstrukturen der Ministerien in Berlin und Bonn. Allein hierdurch und durch konsequenten Subventionsabbau bei der Steinkohle bekommt man die Milliarde locker zusammen.

"Da hat die Regierung ein Ammenmärchen aufgetischt"

tagesschau.de: Was ist Ihrer Ansicht nach das überflüssigste Projekt der schwarz-roten Koalition?

Hajduk: Mit der Mehrwertsteuererhöhung zur Senkung der Lohnnebenkosten hat die Bundesregierung ein Ammenmärchen aufgetischt. Trotz Milliardenüberschüssen bei der Bundesagentur für Arbeit versucht sie trotzdem zwanghaft den Mythos aufrechtzuerhalten, dass diese Erhöhung für die Senkung der Beiträge notwendig war. Die tatsächliche Entwicklung zeigt jedoch: Beitragssatzsenkungen hätte es auch ohne die zusätzlichen Steuermilliarden geben können.

tagesschau.de: Und wo hat die Koalition etwas ausdrücklich richtig gemacht?

Hajduk: Die Bundesregierung hat endlich auch erkannt, dass der Ausbau der Kinderbetreuung kein Angriff auf das Wertefundament ist, sondern eine Investition in unsere Zukunft. Hier gilt: Steter Tropfen höhlt den Stein. Zur Gegenfinanzierung sollte jedoch das Ehegattensplitting abgeschmolzen werden, anstatt die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen dafür noch bis zum Jahresende zur Seite zu schaffen. Auch eine gute Idee kann man durch eine halbseidene Finanzierung beschädigen.

tagesschau.de: Über 900 Milliarden Euro Schulden hat der Bund. Was ist ihr Rezept, um das Schuldenmachen auf Kosten künftiger Generationen zu beenden?

Hajduk: Wir brauchen neue Regeln im Grundgesetz für eine nachhaltige Haushaltspolitik. Deswegen haben wir einen fertigen Gesetzentwurf für eine Schuldenbremse vorgelegt. Demnach müssen in guten Zeiten verpflichtend Überschüsse erzielt werden, um in konjunkturell schlechten Zeiten zusätzliche Ausgaben leisten zu können. Ausnahmen darf es nur für Wert steigernde Investitionen und im Katastrophenfall geben.

tagesschau.de: Peer Steinbrück sagt, nur die große Koalition aus Union und SPD könne den Staatshaushalt sanieren. Sieht so aus, als ob ihm der Erfolg Recht gibt, nicht wahr?

Hajduk: Es gibt zwar nicht mehr die typische Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat - aber dafür großkoalitionäre Ausgabenwünsche, die rekordverdächtig hoch sind. Denn allein die Ausgaben für das Jahr 2008 steigen um fast fünf Prozent. In diesem Sinne ruht sich Peer Steinbrück auf den sprudelnden Steuerquellen aus, anstatt in den vier fetten Jahren den Haushalt bis 2009 auszugleichen.