Interview

Interview mit der Bundeskanzlerin Merkel: "Wir müssen uns etwas zumuten" Teil II

Stand: 22.02.2006 12:33 Uhr

Haben Sie Verständnis für den Streik im öffentlichen Dienst? Es geht ja nicht nur um 18 Minuten Mehrarbeit sondern vielmehr auch um die Angst vor Arbeitsplatzverlusten, die die hohe Streikbereitschaft erklärt.

Merkel: Streik gehört zu den Mittel der tariflichen Auseinandersetzung, insofern hat das die Politik nicht zu kommentieren. Wir haben im Kabinett in der vergangenen Woche ein Gesetz beschlossen, wonach die Beamten des Bundes in Zukunft 41 Stunden pro Woche arbeiten müssen – also eine Verlängerung der Arbeit. Die These ist falsch, dass Arbeitsplätze vernichtet werden, wenn länger gearbeitet wird. Bei VW hatte man gedacht, man könnte die Probleme lösen, indem man die Arbeitszeit verringert. Jetzt zeigt sich, dass dieses Konzept auf Dauer nicht aufgegangen ist.

Fünf Millionen Arbeitslose seien unakzeptabel, sagten Sie jüngst auf dem kleinen CDU-Parteitag. Aber wo ist die Perspektive für die Menschen, wo bleibt das psychologische Signal?

Merkel: Ein Signal kann ja nur daraus erwachsen, dass wir wieder mehr sozialversicherungspflichtige Erwerbsplätze bekommen. Dass die Beschäftigung insgesamt zunimmt und dass die Zahl der Arbeitslosen abnimmt. Was müssen wir dafür tun? Welche Möglichkeiten haben wir? Wir haben in der Koalition einen klaren Schwerpunkt gesetzt: Wir wollen die Innovationskraft stärken und drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgeben. Jetzt muss auch die Wirtschaft ran und hier die Komplementärmittel aufbringen. Wenn wir besser sind als andere, dann können wir auch unseren Lebensstandard besser halten. Und wir müssen überlegen, wie wir Arbeitsplätze in Deutschland halten, die derzeit zum Teil abwandern. Hier wird etwa über das Thema Kombi-Lohn zu reden sein.

Frau Bundeskanzlerin, der Arbeitsmarkt und seine Restrukturierung wird ihre Schicksalsfrage sein. An welchen Parametern wollen Sie sich messen lassen – irgendeine Elle müssen Sie ja nehmen?

Merkel: Die Elle ist am Schluss das Votum des Wählers. Wirklich wichtig ist, dass es in der großen Koalition die beiden Volksparteien schaffen, wieder Vertrauen dafür zu schaffen, dass Politik auch etwas verändern kann.

"120 Euro Mindestlohn stehen für uns nicht zur Debatte"

Sie sagten gerade, die Wirtschaft müsse ran. Die Wirtschaft wird sicher interessieren, ob sie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes durchsetzen wollen?

Merkel: Wir haben in dieser Frage noch keine Entscheidung getroffen. Wir wissen, dass wir in vielen europäischen Ländern Mindestlöhne haben. Und dass wir im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie Anbieter aus Mittel- und Osteuropa haben werden, die einen Mindestlohn von 120 Euro pro Monat haben. Das ist ein Niveau, das für uns natürlich nicht zur Debatte steht. Deshalb muss man überlegen: Was bedeuten Mindestlöhne für die Arbeitsplatzsituation in Deutschland? Wir haben heute schon mit dem Entsendegesetz im Baubereich Mindestlöhne für Bauarbeiter. Die große Koalition plant etwas Ähnliches für Gebäudereiniger.

Baustelle Gesundheit: Sie haben Ideen und Impulse in Aussicht gestellt. Es stehen sich zwei unvereinbare Modelle gegenüber. Wo will Angela Merkel den dritten Weg finden?

Merkel: Ich kann ihnen nur die Ziele sagen, die wir zu erfüllen haben. Wir brauchen Beitragsstabilität, um die Lohnzusatzkosten auch wirklich unter 40 Prozent zu halten. Wir wollen die Lohnzusatzkosten um ein Prozent senken. Wir müssen die Dynamik und die steigenden Kosten durch mehr Wettbewerbsfähigkeit und durch andere Maßnahmen so gestalten, dass wir unser Ziel auch erreichen. Dadurch sind Rahmenbedingungen gesetzt.

Es bleibt also dabei, dass ein Konzept bis Ende des Jahres kommt, wo etwa eine Kinderversicherung enthalten ist, die alle schultern müssen…

Merkel: … das habe ich nicht gesagt. Ich habe ja immer wieder gesagt, dass die Union ihr Modell hat. In diesem Modell ist mittelfristig daran gedacht, die Kinder nicht mehr aus den Beiträgen zu finanzieren, sondern aus dem Steuertopf. Das kostet Steuern. Es senkt aber auch Beiträge. Wie der Kompromiss von SPD und Union aussehen wird, das kann ich noch nicht sagen. Zielvorgabe ist, die Lohnzusatzkosten zu senken. Alles andere wäre ein Bruch des Koalitionsvertrages.

Mutlos bei der Konsolidierung?

Am Mittwoch wird der Haushalt 2006 verabschiedet. Fast 40 Milliarden Nettokreditaufnahme schlagen zu Buche, 50 Milliarden Euro Strukturdefizit. Das ist doch ein mutloser Ansatz in Richtung Konsolidierung, oder nicht?

Merkel: Das ist ein realistischer Ansatz. In den letzten Jahren haben die Bürger jedes Jahr einen Haushalt geboten bekommen, der vermeintlich verfassungskonform war und bei dem man hätte sagen müssen: Wir haben eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Wir sind ehrlich und wir haben damit eine Chance, im nächsten Jahr sowohl die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, als auch wieder mehr investieren, wie wir Neuverschuldung haben. Dann geht es darum, die Neuverschuldung Schritt für Schritt zurückzufahren. Wir leben in einem Zustand, den wir leider schon als normal empfinden, dass wir mehr ausgeben, als wir einnehmen. Das ist nicht akzeptabel.

Aber richtig gespart wird ja leider nicht.

Merkel: Ich kann ihnen nur sagen, dass gespart wird. Wir werden allerdings nicht an Investitionen sparen. Wir haben unsere Investitionen in Forschung, in Haushalt als Arbeitgeber und in Infrastruktur benannt. Das ist richtig so, damit wir Wachstumsvoraussetzungen schaffen.

Schicksalsfrage Arbeitsmarkt, Schicksalsjahr 2007 – mit den wuchtigen internationalen Aufgaben Vorsitz in der Europäischen Union und G 8-Vorsitz – schaffen Sie das?

Merkel: Ich bin angetreten, um es zu schaffen. Wir können uns dann nächstes Jahr wieder treffen und sehen, ob ich es geschafft habe.

Frau Bundeskanzlerin, vielen Dank für das Gespräch.

(Interview gekürzt)