Interview

Rassistische Gewalt "Alle Fremden sollen vertrieben werden"

Stand: 25.08.2007 13:33 Uhr

Jung, männlich, betrunken. Die Täter von rassistischen Übergriffen sind meist keine organisierten Rechtsextremisten, sagt der Soziologe Andreas Klärner. Doch verfolgen sie das selbe Ziel wie die organisierten Neonazis: Alles "Fremde" soll vertrieben werden.

tagesschau.de: Gibt es in Deutschland eine neue Welle der Gewalt oder sind die Medien nur aufmerksamer geworden?

Andreas Klärner: Es gibt keine objektiven und nachprüfbaren Zahlen. Wir haben die Zahlen des Verfassungsschutzes und der Landeskriminalämter, doch diese sind wissenschaftlich kaum zu beurteilen. Denn die Erfassungskriterien [für rechtsextreme oder fremdenfeindliche Taten] wurden geändert in den letzten Jahren, sie wurden präzisiert und vereinheitlicht. Zuvor gab es in den Ländern unterschiedliche Kriterien. Dadurch ist ein Vergleich zu den 90er Jahren methodisch schwierig. Außerdem handelt es sich dabei um politische Zahlen, denn es gibt einen gewissen Spielraum, ab wann eine Straftat als rechtsextrem oder fremdenfeindlich eingeschätzt wird.

Es gibt aber auf jeden Fall eine verschärfte Aufmerksamkeit der Medien. Dies hängt ganz klar mit der Fußball-Weltmeisterschaft zusammen. Deutschland steht im Licht der weltweiten Aufmerksamkeit. Fremdenfeindliche Taten gab es auch in den letzten Jahren, jetzt werden diese stärker beachtet.

tagesschau.de: Am Himmelfahrtstag 2006 wurden in Wismar, Weimar und Berlin erneut Ausländer zusammengeschlagen. Es handelt sich offenbar um spontane Gewalttaten. Was für Leute stecken dahinter?

Klärner: Aus der Täterforschung wissen wir, dass zumeist nicht organisierte Rechtsextremisten an diesen Taten beteiligt sind. Es sind überwiegend junge Männer, alkoholisiert, aus den unteren Bildungsschichten. Hinter den Taten stehen rassistische und fremdenfeindliche Orientierungen, aber nicht unbedingt rechtsextreme Weltbilder, denn es wird kein explizites, auf einen längeren Zeitraum angelegtes politisches Ziel verfolgt. Fremde werden abgelehnt und sollen vertrieben werden. Da gibt es natürlich Überschneidungen zu organisierten Rechtsextremisten, die einen völkischen Staat aufbauen wollen.

tagesschau.de: Warum setzen organisierte Neonazis immer mehr auf bürgerliche Aktionsformen und verzichten aus taktischen Gründen auf Gewalt?

Klärner: Die organisierten Rechtsextremisten, also NPD und „Freie Kameradschaften“, wollen vor allem Anerkennung in der Öffentlichkeit gewinnen. Sie wissen, dass Gewalttaten dabei hinderlich sind. Sie versuchen deswegen, auch ihre Anhängerschaft zu disziplinieren und von Gewalttaten abzuhalten. Das gelingt allerdings nicht immer. Dennoch haben die organisierten Rechtsextremisten und die Gewalttäter in der Konsequenz das selbe Ziel: Eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft, die von Menschen, die als fremd bezeichnet werden, „gereinigt“ und „gesäubert“ ist. Dieses Ziel lässt sich aber nur mit terroristischen Mitteln, mit Gewalt, durchsetzen. Die organisierten Rechtsextremisten wollen solange auf Gewalt verzichten, bis man genug öffentliche Anerkennung gewonnen hat, um diese Ziele dann offensiv durchsetzen zu können.

Sorge um Deutschlands Ansehen treibt die Politik

tagesschau.de: Politiker hatten sehr eindringlich vor Neonazi-Aufmärschen während der WM gewarnt. Inwieweit steht die Sorge um Deutschlands Ansehen in der Welt hinter solchen Warnungen?

Klärner: Image ist auf jeden Fall das Hauptmotiv. Deutschland soll in einem positiven Licht dastehen. Dann gibt es von den Innenministern immer auch ganz eigene Interessen, die damit durchgesetzt werden sollen. Beispielsweise die Verschärfung des Versammlungsrechts oder auch zuletzt der Einsatz der Bundeswehr im Innern.

tagesschau.de: Fremdenfeindlichkeit ohne Fremde – passt das auf Ostdeutschland?

Klärner: Man muss feststellen, dass im bundesdeutschen Vergleich im Osten weniger Ausländer wohnen, es aber überproportional viele fremdenfeindliche Gewalttaten gibt.

tagesschau.de: Sind Menschen, die nicht in das Weltbild von Rechtsextremisten und fremdenfeindlichen Personen passen, in Ostdeutschland gefährdeter?

Klärner: Das muss man wohl so sagen. Die Rede von Ostdeutschland im Allgemeinen ist zwar etwas zu pauschal, doch wenn man sich die Zahlen anschaut, bleibt keine andere Schlussfolgerung übrig.Ob sich dies in Landkarten veranschaulichen lässt, ist eine andere Frage.

Der Soziologe Andreas Klärner hat gemeinsam mit Michael Kohlstruck das Buch "Moderner Rechtsextremismus in Deutschland" veröffentlicht. Es ist in der Edition des Hamburger Instituts für Sozialforschung erschienen.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de