Interview

Johannes Rau "Das Amt des Präsidenten ist überparteilich"

Stand: 27.08.2007 04:32 Uhr

Fallweise hat sich Bundespräsident Rau in die aktuelle Politik eingemischt. Im zweiten Teil des Interviews spricht Rau über das öffentliche und namentliche Abkanzeln von Politikern in der Zuwanderungsdebatte, seine Haltung im Kopftuchstreit und seine Gegenposition zum Reformkurs des Kanzlers.

Baumann: Stichwort Zuwanderung und Eklat im Bundesrat. Sie haben daraufhin die Politiker Stolpe und Schönbohm einbestellt und sie anschließend öffentlich und auch namentlich gerügt. Ist Ihnen das schwer gefallen?

Rau: Wenn wir Transparenz verlieren, verlieren wir Glaubwürdigkeit. Und wenn der Eindruck entsteht, der Kompromiss ist nichts als Kungelei, dann werden alles Kompromisse faul. Und darum glaubte ich, hier ist meine ganz klare Sprache nötig. Das ist mir schwer gefallen, weil ich vor Schönbohm großen Respekt habe und weil ich mit Stolpe seit Jahrzehnten befreundet bin. Aber da half es nun nichts, das musste sein.

Baumann: Worauf kann ein Bundespräsident sich berufen, wenn er zum ungewöhnlichen Mittel der Rüge greift?

Rau: Ich konnte nicht anders entscheiden, sonst wäre das Gesetz nicht nach Karlsruhe gegangen. Ich wollte aber, und ich habe das ja auch gesagt, dass Karlsruhe die Verfassungsmäßigkeit des Zustandekommens prüft.

Sonne: Thema Kopftuchstreit. Kann man die Symbole Kopftuch der muslimischen Frauen und Kruzifix bzw. Mönchskutte tatsächlich gleichsetzen?

Rau: Wir sind ein weltanschaulich neutraler Staat. Wir sind keine Theokratie, wir sind kein christlicher Staat. Wir sind ein Staat, der sehr stark von christlichen Traditionen geprägt ist. Passt auf, dass euch die nicht aus der Hand geschlagen werden durch falsche Entscheidungen an anderer Stelle. Ich will nicht den Kruzifixus und das Kopftuch gleichsetzen, ich bin weit davon entfernt.

Sonne: Der Umbau Deutschlands, vor allem der Sozialsysteme ist ein großes Thema. Uns fällt auf, dass Sie sich in dieser wichtigen Frage auffallend zurückgehalten haben. Warum?

Rau: Der Bundespräsident kann nicht in eine Instrumentendebatte eingreifen. Aber er kann darauf hinweisen, dass Solidarität nicht heißt, Ihr Schwachen seid mal solidarisch, sondern es muss Solidarität der Starken mit den Schwachen geben.

Baumann: Wir haben Ihre letzte Weihnachtsansprache so verstanden, dass Ihnen Reformen - die über die Agenda 2010 hinausgingen - zu radikal, zu schnell vorkämen. Ist unser Eindruck da richtig?

Rau: Mein Eindruck war, es wird eine Reform gemacht, und wenn die beschlossen ist, wird gesagt, das ist aber nicht alles, sondern jetzt kommt das Nächste. Und die damit verbundene Atemlosigkeit, die wollte ich kritisieren.

Baumann: Wie sind Sie im Amt des Bundespräsidenten mit Ihren sozialdemokratischen Wurzeln umgegangen?

Rau: Man muss lernen, dass man im Amt des Bundespräsidenten überparteilich ist. Aber die Bereitschaft, sich selber zurückzunehmen, die kostet nicht den Preis, dass man undeutlich redet, sondern ich glaube, dass ich gerade aus dieser überparteilichen Position heraus sehr deutlich habe reden können und sehr klare Akzente habe setzen können.

Sonne: Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Schröder?

Rau: Freundschaftlich, offen, vertrauensvoll, nicht kumpelhaft. Und ich glaube, dass es zu dem Amt gehört, oder zu den Ämtern gehört, dass man sich gegenseitig berät. Ich habe manchen Rat angenommen, er auch. Und ich glaube, davon haben alle Amtsträger profitiert, dass an diesem Tisch an diesem Haus geredet wird, ohne dass irgendetwas davon taktisch genutzt wird.

Baumann: Herr Bundespräsident, Das Etikett „versöhnen statt spalten“ haftet Ihnen an. Stört Sie das?

Rau: Was ich nicht mag, ist wenn dieser Satz fehl interpretiert wird, als wollte ich die Soße der Harmonie über die Konflikte der Welt gießen. Das will ich nicht. Ich will Konflikte aufdecken, aber ich will dies um des Konsenses willen. Das heißt, ich will vom Konflikt über den Streit zum Konsens kommen.

Sonne: Wenn Sie jetzt mal zurückschauen. Was soll denn beim Bürger von Ihrer Amtszeit hängen bleiben?

Rau: Ich glaube, dass deutlich bleibt, das war ein politischer Präsident. Der hat politisch etwas bewegt, obwohl er keine operationale Politik gemacht hat, und das kann man an einigen Beispielen, die wir zum Teil schon im Gespräch erörtert haben, deutlich machen. Wenn das bleibt, ist es gut.

"In manchem habe ich zu zögerlich reagiert" - Teil I des Interviews mit Bundespräsident Johannes Rau.