Interview

Ausschuss-TV mit dem Außenminister "Fischer hat eindeutig mit dem Publikum gespielt"

Stand: 26.08.2007 17:45 Uhr

Die Medienwissenschaftler Marcus Maurer und Carsten Reinemann haben Politikern bei öffentlichen Auftritten schon mehrfach auf die Finger geschaut. Mit tagesschau.de sprachen die beiden über die Aussage von Außenminister Joschka Fischer. Die beiden Wissenschaftler vom Institut für Publizistik an der Mainzer Universität hatten zuvor auch die Befragung des Ex-Staatsministers Ludger Volmer vor dem Visa-Untersuchungsausschuss von der medienwissenschaftlichen Seite beobachtet.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie den Auftritt Fischers im Vergleich zu dem von Volmer?

Marcus Maurer: Das ist etwas ganz anderes. Fischer hat sich mehrmals explizit an das Publikum gewandt. Ich glaube, es gab eine ganze Reihe von Aspekten, die er nur im Hinblick auf die Fernsehzuschauer in seine Rede aufgenommen hat. Ich denke da zum Beispiel an die Erwähnung der Tsunami-Katastrophe, als Fischer betonte, wie gut doch die Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt gelaufen und wie schnell die Hilfe gekommen sei. Das ist natürlich rhetorisch sehr geschickt, hat mit der Sache aber absolut nichts zu tun. Das war so ähnlich wie bei Schröder, der im zweiten TV-Duell noch einmal die Flutkatastrophe aufgegriffen hat, dieses emotionalisierende Gemeinschaftserlebnis - "wir alle halten zusammen“.

tagesschau.de: Was waren Fischers größte Stärken und Schwächen bei der Befragung?

Carsten Reinemann: Als die Befragung durch den Vorsitzenden Hans-Peter Uhl losging, hat man gesehen, dass Fischer - ganz im Gegensatz zu Volmer – seine Emotionen nicht so verbergen kann und das vielleicht auch gar nicht will. Man hat deutlich gemerkt, dass er von verschiedenen Fragen und dem bohrenden Nachfragen genervt war. Das muss jetzt nicht nur negativ ausgelegt werden. Man kann es auch als Beleg dafür nehmen, dass er sehr engagiert bei der Sache ist.

tagesschau.de: In welchen Situationen ist er aus seiner Rolle gefallen?

Reinemann: Sätze wie "Schreiben Sie, Fischer ist schuld“ hat er sicherlich nicht vorher geprobt. Die kamen spontan aus ihm heraus, weil er unter Druck stand. Wenn das jetzt als vermeintlicher Beleg für eine Arroganz benutzt wird, dann kann das natürlich gefährlich für ihn werden.

tagesschau.de: Die Union kam nach der Volmer-Befragung nicht besonders gut weg. Hat sich deshalb vielleicht auch das Verhalten der Fragenden geändert im Vergleich zu letztem Donnerstag?

Reinemann: Es war sehr auffällig, dass der Vorsitzende mit einem inhaltlichen Statement angefangen hat, was ja nicht üblich ist. Das war möglicherweise schon ein Mittel, um den Außenminister in eine gewisse emotionale Grundstimmung zu versetzen, in der er Dinge in einer Form sagt, in der er sie normalerweise nicht sagen wollte. Ich fand die Befragung von Eckart von Klaeden und Hans-Peter Uhl sehr zupackend. Sie haben schon versucht, ihn unter Druck zu setzen.

Zeichen der Nervosität: Versprecher und Fingertrippeln

tagesschau.de: Ist ihnen das gelungen?

Reinemann: Gleich am Anfang ist Fischer dieser Lapsus unterlaufen, als er statt von einer "Hausbesprechung" im Auswärtigen Amt von einer "Hausbesetzung“ sprach. Da hat man ihm die Nervosität deutlich angemerkt. Während der ersten einführenden Worte des Vorsitzenden hat man auch das Trippeln seiner Finger gehört.

Maurer: Das ist mir auch aufgefallen. Und dass er relativ viel Wasser getrunken hat am Anfang. Da kam er mir sehr nervös vor.

Schuldeingeständnis als neue Strategie?

tagesschau.de: Fischer hat im Laufe der Befragung Fehler eingeräumt. Ist das in ihren Augen eine Strategie, um beim Gegner eine Art Beißhemmung auszulösen?

Reinemann: Es gibt ja bereits die Diskussion darüber, wie Tony Blair das in Großbritannien versucht – sich als Saulus darzustellen und über dieses Eingestehen von Schuld tatsächlich Punkte zu sammeln. Inwiefern das tatsächlich funktioniert, bleibt abzuwarten. Aber es ist vielleicht tatsächlich eine neue Strategie, um der Kritik die Spitze zu nehmen.

Maurer: Es ist auf jeden Fall geschickter als seine bisherige Strategie, nämlich seinen Mitarbeitern die Schuld zu geben. Vielleicht ist es auch geschickter als das, was er heute noch versucht hat: Der früheren Regierung die Schuld zu geben.

"Erklärung für Otto Normalbürger"

tagesschau.de: Wie viel Show war in der Befragung und wie hoch war der Anteil der realen Zeugenaussage?

Maurer: Fischer hat sich in seiner Rede mehrfach explizit an die Fernsehzuschauer gewandt, zum Beispiel: "Die Zuschauer zu Hause werden das jetzt nicht verstehen.“ Er hat da eindeutig mit dem Publikum gespielt. Die Anwesenheit der Fernsehkameras hat hier extrem viel mehr verändert als bei der Volmer-Befragung.

Reinemann: Fischer hat sehr stark versucht, die ganze Geschichte für "Otto Normalbürger“ zu erklären. Man kann schon davon ausgehen, dass eine Befragung unter Ausschluss der Öffentlichkeit anders abgelaufen wäre.

tagesschau.de: Was wird nach der Befragung zählen? Was der Außenminister gesagt hat oder welche Krawatte er getragen hat?

Reinemann: Aus der Erfahrung der TV-Duelle wissen wir, dass sich der Fokus in der Berichterstattung tatsächlich verschoben hat - von den Inhalten weg auf die Darstellung. Und wenn jemand in diesen Darstellungselementen punkten kann, dann bedeutet das auch, dass er beim Publikum punkten kann.

Maurer: Schon bei Volmer war es sehr darum gegangen, ob er einen guten Eindruck gemacht hat oder nicht und ob er nervös war oder nicht. Daher fürchte ich, dass es bei Fischer erst recht darum gehen wird. Ich würde mir aber wünschen, dass die Inhalte eine größere Rolle spielen als die Frage, ob Fischer rhetorisch gut war oder nicht. Das war er natürlich, aber das sollte nicht davon ablenken, was er inhaltlich zur Lösung dieser schwierigen Frage beigetragen hat.

Die Fragen stellte Carolin Ströbele