Interview

Politikwissenschaftler zu Internet-Demokratie "Bundestagswahl online wäre zu riskant"

Stand: 26.08.2007 07:38 Uhr

"Das Internet wird als klassisches Massenmedium missverstanden und betrieben", sagt Prof. Claus Leggewie. Mit tagesschau.de sprach er über die Möglichkeiten und Gefahren von E-Government-Projekten wie "BundOnline 2005". Der Politikwissenschaftler ist Direktor des Zentrums für Medien und Interaktivität an der Universität Gießen. Schon 1998 veröffentlichte er den Band Internet und Politik. Seither erschienen zahlreiche Aufsätze zur politischen Kommunikation via neuen Medien.

tagesschau.de: Was halten Sie von E-Government-Projekten wie beispielsweise BundOnline 2005?

Claus Leggewie: Das sind zum Teil hervorragende Chancen für Verwaltungsrationalisierung mit Hilfe digitaler Medien, die an zwei Dingen kranken: Erstens ist die Bundesverwaltung nur die Spitze des administrativen Eisbergs und zweitens muss ja wegen der digitalen Spaltung alles weiter offline vorgehalten werden. Alle staatlichen Dienstleistungen müssen weiter über den Tresen einer Dienststelle abgewickelt werden können, denn niemals werden alle "Kunden" online sein.

tagesschau.de: Worin liegen Chancen und Gefahren der digitalen Demokratie?

Leggewie: Mit Demokratie hat E-Government nur unter dem Aspekt der Output-Legitimation zu tun. Bürger freuen sich, wenn der Staat funktioniert und leistungsfähig ist. Für digitale Administration, auch Online-Wahlen, hat man Millionen investiert, für die Nutzung des Internet als Medium politischer Bürgerkommunikation und Partizipation, also für Input-Legitimation, aber relativ wenig.

tagesschau.de: Warum ist diese direkte Legitimation durch aktive Beteilung, also durch Input, so wichtig?

Leggewie: Für anspruchsvolle Bürger ist eine Politik nicht nur im Ergebnis gut. Sie wird auch dadurch gut und legitim, dass die Bürger an ihrer Formulierung und Ausführung maßgeblich selbst beteiligt waren und sind. Diese Innovationschance hat die Zivilgesellschaft noch gar nicht bekommen oder wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass das Internet als klassisches Massenmedium missverstanden und betrieben wird.

tagesschau.de: Warum? Was läuft denn Ihrer Meinung nach falsch?

Leggewie: Auch beim Internet geht es den meisten Veranstaltern um Quote, Massenpublikum etc.. Die Einseitigkeit der Kommunikation wird nicht überwunden. Dabei könnte das Internet eine politische Kommunikationsplattform für die intensive Erörterung durch die Informations-Elite sein.

tagesschau.de: Der Traum vieler Wähler ist es, am Wahltag nicht mehr in ein Wahllokal laufen zu müssen. Sie wollen ihr Kreuz ganz bequem im Internet machen. Wie stehen Sie zu diesem Wunsch?

Leggewie: Absolut ablehnend. Eine politische Online-Wahl wäre viel zu riskant im Blick auf Hacker-Angriffe und Sabotage. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass sie weder „Jedermanns-Kontrollen“, wie einfaches Nachzählen von Papier-Stimmzetteln oder ähnliches, zulassen, noch dass der technische Aufwand zur Verbesserung der Sicherheit in einem Verhältnis zum erhofften Ertrag, nämlich höherer Wahlbeteiligung, steht.

Das Interview führten Nico Schiller und Florian Müller, für tagesschau.de