Interview

Interview mit Heidemarie Wieczorek-Zeul Wieczorek-Zeul lehnt Militäreinsatz in Somalia ab

Stand: 22.10.2015 15:28 Uhr

Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul glaubt nicht, dass in Somalia bald wieder Recht und Gesetz gelten und so die Seewege am Horn von Afrika sicherer werden. Einen Militäreinsatz an Land lehnte sie im tagesschau.de-Interview trotzdem ab.

Die Bundesministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, glaubt nicht, dass in Somalia bald wieder Recht und Gesetz gelten und so die Wege am Horn von Afrika sicherer werden. Einen Militäreinsatz an Land lehnte sie im tagesschau.de-Interview trotzdem ab - verteidigte aber die Bundeswehr-Mission in Afghanistan.

tagesschau.de: Das Stichwort 'Sicherheit' spielt in der internationalen Politik derzeit eine große Rolle. Aber zumeist fällt im selben Satz dann auch das Wort 'Militär' – ärgert Sie das als Ministerin, die für zivile Entwicklungszusammenarbeit verantwortlich ist?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Nein. Es gibt Situationen, da ist ein militärischer Einsatz notwendig. Aber das allerwichtigste ist, alles zu tun, damit gewaltsame Konflikte und Kriege gar nicht erst ausbrechen. Das ist günstiger, als anschließend Schäden zu beseitigen.

tagesschau.de: Da Sie gerade das Geld ansprechen. Wenn man beispielsweise das Ausgabenverhältnis zwischen Militäreinsatz und ziviler Hilfe in Afghanistan betrachtet, dann stellt man fest, dass für die Bundeswehrmission rund vier Mal soviel ausgegeben wird wie für die zivile Entwicklungszusammenarbeit. Was sagen Sie zu diesem Ungleichgewicht?

Wieczorek-Zeul: Es ist einfach so, dass Militär insgesamt finanzaufwändiger als die Entwicklungszusammenarbeit ist. Bei höheren Haushaltsmitteln könnte man in Bezug auf Afghanistan noch mehr im zivilen Bereich machen. Es ist aber bereits das Land, in dem das Auswärtige Amt, Bundesinnenministerium und wir im zivilen Bereich am stärksten engagiert sind und am meisten investieren.

Polizei wichtiger als Militär

tagesschau.de: Kann Militär tatsächlich Sicherheit schaffen?

Wieczorek-Zeul: Militär und Polizei haben die Aufgabe, für die afghanische Bevölkerung Recht und Gesetz und Sicherheit in allen Regionen zu gewährleisten. Dabei ist der Polizeiaufbau das allerwichtigste. Es muss aber auch durch die Ausbildung dazu beigetragen werden, dass die afghanische Armee selbst das Land verteidigen kann. Für die Zwischenzeit führt kein Weg daran vorbei, dass die militärische Präsenz - auch durch deutsche Soldaten - fortgesetzt wird. Wir müssen in diesem Zusammenhang aber auch erwähnen, dass ein martialisches Verhalten des US-Militärs die Zivilbevölkerung besonders belastet und in der Folge die Menschen eher gegen die Amerikaner aufgebracht hat als gegen die Taliban.

"Ich mache mir keine Illusionen"

tagesschau.de: Militär kann also nach Ihrer Ansicht einen Zeitraum überbrücken, bis ein funktionierendes Staatswesen errichtet ist. Nun ist Afghanistan nicht der einzige Staat, über den derzeit viel gesprochen wird und wo es eine gewisse Rechtlosigkeit gibt: Was ist in Somalia? Was muss dort passieren, damit eine somalische Regierung gegen Piraten vorgeht und so für die Sicherheit der Schiffsrouten am Horn von Afrika sorgt?

Wieczorek-Zeul: Ich kenne niemanden, der eine Blaupause für die Entwicklung in Somalia hat. Aber das allerwichtigste ist, die dortige Übergangsregierung durch internationale Hilfen zu stabilisieren und den zivilen Aufbau mit gezielten Projekten zu fördern. Und trotz der bereits beschlossenen Hilfen beispielsweise seitens der EU mache ich mir keine Illusionen, dass in absehbarer Zeit aus diesem zerfallenen Staat ein Land wird, in dem Recht und Gesetz herrschen. Das bleibt eine große Aufgabe.

tagesschau.de: Es gibt bereits Stimmen, die einen reinen Militäreinsatz zur See für nicht ausreichend halten, um die Piraterie in der Region in den Griff zu bekommen. Ist eine Stabilisierung Somalias ohne die Entsendung von Soldaten an Land überhaupt denkbar?

Wieczorek-Zeul: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das ein sinnvoller Ansatz wäre. Es gab in jüngerer Vergangenheit den Versuch der äthiopischen Seite, militärisch die Lage in den Griff zu bekommen. Das hat die Probleme eher vergrößert.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de