
Scholz zur Lage der Bundeswehr "Brauchen verändertes Denken auf allen Ebenen"
Die Bundeswehr soll laut Olaf Scholz zu ihrer Kernaufgabe zurückkehren: Schutz und Verteidigung. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Dass es dafür mehr an Ausstattung und Geld braucht, ist dem Kanzler bewusst.
Die Bundeswehr muss sich wandeln, muss stärker werden - das wollte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede auf der Bundeswehrtagung in Berlin "im Klartext" verdeutlichen. Der Anfang dafür ist aus seiner Sicht gemacht, der eingeschlagene Weg richtig, doch es gebe noch viele "Fähigkeitslücken" bei der Truppe zu stopfen.
In der jüngeren Vergangenheit habe die Bundeswehr in verschiedener Hinsicht Aufgaben im Inland übernommen, sei es die Unterstützung während der Corona-Pandemie oder nach der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr. Doch nun müsse sie sich wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren - die Landes- und Bündnisverteidigung, mahnte Scholz und zitierte eine eigene Aussage von der Münchner Sicherheitskonferenz im diesjährigen Februar:
Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen können und Soldatinnen und Soldaten, die optimal ausgerüstet sind für ihre gefährlichen Aufgaben - das muss ein Land unserer Größe, das besondere Verantwortung trägt in Europa, leisten können.
Schutz als Selbstverständlichkeit
Wenige Tage nach der Sicherheitskonferenz begann die russische Invasion in der Ukraine. Ein Krieg, der die Lage nochmals verschärft hat. "Eine hochgerüstete Nuklearmacht versucht, Grenzen in Europa neu zu ziehen", warnte Scholz und "wir müssen uns darauf einstellen, dass Russland auf absehbare Zeit" Europa und auch der NATO als Gegner gegenüberstehe.
Umso wichtiger für den Kanzler, dass die Bundeswehr Schutz gewährleisten kann, das müsse eine Selbstverständlichkeit sein. Doch Scholz ist sich auch bewusst: "Die Fähigkeitslücken der Bundeswehr sind groß." Und allein mit besserer Ausrüstung sei es nicht getan, um diese Mängel auszuräumen, ein echter Paradigmenwechsel müsse her.
Doch um die drängendsten Lücken zu schließen, steht zunächst Ausrüstung mit an erster Stelle. Munition, Ersatzteile, Instandsetzung - all das braucht es laut Scholz und militärische Ausrüstung wie Kampfflugzeuge oder einen Nachfolger für den Marder-Panzer.
"Status quo plus Sondervermögen reicht nicht"
Finanzieren will die Bundesregierung das mithilfe des Anfang Juni vom Bundestag beschlossenen Sondervermögens: 100 Milliarden Euro gegen die "Fähigkeitslücken" der Truppe. In seiner Rede in Berlin macht Scholz mit einem Blick in die Zukunft aber klar: "Der Status quo plus Sondervermögen reicht nicht."
"Denken Sie nicht, dass das Sondervermögen eine Ausnahme ist - und danach alles wie zuvor", betonte Scholz und verwies auch auf das Ziel seiner Regierung, den jährlichen Verteidigungsetat auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. "Damit können sie planen", versicherte Scholz.
Bundeswehr als "Grundpfeiler" für Verteidigung in Europa
Denn nicht nur für den Schutz Deutschlands muss die Bundeswehr aus Sicht des SPD-Kanzlers gut gewappnet sein. Sondern auch, um eine stärkere Rolle in der NATO wahrzunehmen. "Deutschland ist bereit, an führender Stelle Verantwortung zu übernehmen", so Scholz. Die Bundeswehr solle zu einem "Grundpfeiler" für die Verteidigung Europas werden und zur "am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa".
Von Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine an, hätten deutsche Truppen eine entscheidende Rolle gespielt, um die Grenze im Osten Europas zu sichern. Und diese Verantwortung werde ab dem kommenden Jahr noch zunehmen, mit der Führung der Very High Readiness Joint Task Force, der "Speerspitze" der NATO. Eine "Herkulesaufgabe", wie Scholz es nennt. Und dafür müsse die Bundeswehr auch entsprechend ausgestattet sein.
Scholz für gemeinsame europäische Rüstung
Europäisch denken und zusammenarbeiten - diesen Grundsatz führt Scholz nicht nur mit Blick auf die Bundeswehr an, sondern auch in Bezug auf die Rüstungsindustrie in den EU-Staaten. Er kritisierte die "völlig unübersichtliche Zahl an Rüstungsgütern" und die Konkurrenz, die zwischen Rüstungskonzernen innerhalb Europas herrsche. Stattdessen müsse eine "gemeinsame europäische Rüstung" ermöglicht werden. Waffensysteme sollten gemeinsam entwickelt, genutzt und exportiert werden. Dafür müsse Deutschland seine strengen "nationalen Vorbehalte und Regularien" auf den Prüfstand stellen und reformieren.
Europäisch denken - damit müssten auch die Probleme angegangen werden, die infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine deutlich geworden seien. Die zu große Abhängigkeit von russischen Energieressourcen etwa. Oder mangelnde technische Fähigkeiten, um sich gegen Cyberangriffe zu schützen.
"Wir müssen Sicherheit im 21. Jahrhundert viel umfassender denken", mahnte Scholz. Und auch bei der Bundeswehr brauche es ein "verändertes Denken auf allen Ebenen", gepaart mit "Zutrauen und Risikobereitschaft" für Veränderung, um der neuen Rolle gerecht zu werden - in Deutschland, in Europa und der NATO.