
Außenminister Maas Krisendiplomatie auch in eigener Sache
Nach dem Afghanistan-Desaster versucht Außenminister Maas zu retten, was zu retten ist. Bei seiner viertägigen Reise in die Krisenregion ging es viel um Diplomatie - und auch um seine politische Zukunft.
Außenminister Heiko Maas ist zurück in Deutschland. Hinter ihm liegt eine viertägige Reise in die Türkei, nach Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Doha. Es ging um Afghanistan, menschliche Schicksale, um Deutschland - und auch um das politische Vermächtnis des Außenministers. Seine Mission war auch die Krisendiplomatie eines Kriegsverlierers. Das Desaster vom Hindukusch trifft auch ihn.
Vergiftetes Lob für seine Reise bekommt er vom grünen Außenpolitiker Omid Nouripour. Jede Reise des Außenministers sei gut. "Das hätte er mal längst tun sollen."
Nouripour wirft SPD-Mann Maas vor, sich in seinem Amt zu wenig engagiert zu haben. Tatsächlich hat Maas seit seinem Amtsantritt im März 2018 gerade zwei Mal Afghanistan besucht. Und nach dem schnellen Vormarsch der Taliban und der Machtübernahme blieb Maas nur, einzuräumen: "Wir alle - die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft - wir haben die Lage falsch eingeschätzt." Es gäbe da "nichts zu beschönigen."
Falsche Einschätzung der Lage
Woher kommt die falsche Einschätzung? Dass mit dem Abzug der NATO-Truppen die Taliban vorrücken würden, war von Wissenschaftlern oder Entwicklungshelfern vor Ort erwartet worden. Auch Bundeswehrsoldaten hatte die Machtübernahme der Taliban nicht überrascht. Die Taliban hätten einfach nur gewartet, bis die NATO abzieht, sagte etwa der ehemalige Fallschirmjäger Robert Müller, der zwischen 2002 und 2005 in Afghanistan kämpfte.
Außenminister Maas steht aber auch in der Kritik, weil sein Amt die Zahlen der Ortskräfte, die für Deutschland gearbeitet haben, offenbar viel zu niedrig ansetzte, deren Familienangehörige nicht immer berücksichtigte und die Visa-Anträge nicht zeitnah bearbeitete.
Unangenehme Fragen
Nach der Niederlage am Hindukusch werden dem Außenminister weitere unangenehme Fragen gestellt: Warum hat Deutschland mit der Regierung in Kabul zusammengearbeitet, die offenbar korrupt war und keinen Rückhalt in der Bevölkerung hatte? Wie viel Entwicklungshilfe ist in dunkle Kanäle der Kabuler Elite geflossen? Warum hat Maas offenbar nicht versucht, mit den Taliban Friedensgespräche zu führen? Letzteres hatte der ehemalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck schon 2007 vorgeschlagen. US-Präsident Donald Trump hat es 2020 getan.
Der Afghanistan-Einsatz endet im Desaster für den Westen, für die Bundesregierung - und auch für Maas. Er beschädigt kurz vor Ende der Legislaturperiode die Bilanz des Außenministers. Der grünen Außenpolitiker Jürgen Trittin wirft Maas sogar ein persönliches Versagen bei der Rettung afghanischer Ortskräfte vor. Maas habe "hier viel Schuld auf sich geladen". Und der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende und Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagt, Maas habe "auf ganzer Linie" versagt.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fordert personelle Konsequenzen: Die Fehler von Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer seinen "unentschuldbar". Die Folgen der Fehler hätten Menschenleben gefährdet. Kramp-Karrenbauer und Maas "sollten nie wieder Teil einer Bundesregierung sein."

Sie stehen besonders im Fokus: die Minister Kramp-Karrenbauer und Maas
Maas ist nicht an allem schuld. Schon gar nicht er allein. Dass so wenig Ortskräfte ausgeflogen wurden, lag auch daran, dass das Verteidigungs- und Innenministerium auf der Bremse standen. Die chaotische Evakuierung lag auch daran, dass die US-Regierung ihre NATO-Alliierten nicht über ihre Abzugsabsichten informierte. So wurde die Bundeswehr und das Auswärtige Amt vor vollendete Tatsachen gestellt.
Am folgenschwersten war allerdings die Entscheidung der Regierungschefs des westlichen Bündnisses, im Verlaufe des Krieges die Kriegsziele zu verändern. Ging es ursprünglich darum, den internationalen Terror durch Al Kaida zu bekämpfen, wurde aus dem Einsatz ein fragwürdiger "Nation-Building"-Krieg. Westliche Werte sollten in Afghanistan aufgebaut und verteidigt werden. Diese Kehrtwende haben auch die Außenminister Joschka Fischer (1998-2005) und Frank-Walter Steinmeier (2005-09) mit zu verantworten.
So bleibt von Maas nur Mittelmaß
Maas hat den Afghanistankrieg von seinen Vorgängern geerbt. Er war bereits verloren, als Maas sein Amt antrat. Dass er auch sonst im Amt wenig Akzente setzen konnte, lag auch an der Bundeskanzlerin, die einem deutschen Außenminister immer schon wenig Spielraum ließ. Während Angela Merkel die Weltpolitik bestimmte, bleibt von Maas vielleicht noch die Rückholaktion von deutschen Urlaubern zu Beginn der Corona-Pandemie im Gedächtnis. Andere Initiativen, wie etwa seine Allianz für den Multilateralismus mit Frankreich, sind öffentlich kaum wahrgenommen worden.
So bleibt von Maas nur Mittelmaß. Und ein Außenminister, der seine Amtszeit mit Krisendiplomatie beendet. Das reicht wohl kaum für ein Ministeramt in einer neuen Bundesregierung, zumal er nicht nur den Krieg in Afghanistan sondern auch den Rückhalt in der SPD verloren haben dürfte.