Christian Lindner
analyse

Finanzminister und FDP-Chef Wie Christian Lindner zum Sparer wurde

Stand: 03.09.2023 05:16 Uhr

Finanzminister Lindner verschickte Briefe mit Sparvorschlägen, blieb hart in den Verhandlungen um die Kindergrundsicherung und stößt so manchen in der Koalition vor den Kopf. Warum macht er das?

Von Nicole Kohnert, ARD Berlin

Es gibt Geschichten, die Christian Lindner immer wieder gerne erzählt: Wie er im Alter von 21 Jahren damals als der jüngste Abgeordnete in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog und wegen seines Alters an ihn herangetragen wurde, sich doch um das Thema Familie und Generationen zu kümmern. Das tat er dann auch und wurde Sprecher der FDP-Fraktion für "Generationen, Familie und Integration".

Jetzt, 23 Jahre später, ist er Bundesfinanzminister und wenn es um das Thema Familien und Kinder geht, muss er sich viel Kritik anhören: Er sei zu knausrig, wenn es um Kinderarmut gehe. Öffentlich wurde er auch mehrmals gefragt: Haben Sie ein Herz für Kinder?

Frühe Festlegung auf Finanzressort

Was also ist in den Jahren zwischen dem jungen Lindner, dem familienpolitischen Sprecher, und dem heutigen Finanzminister passiert? Schnell machte er als junger Abgeordneter aus NRW Karriere, zog in den Bundestag ein, wurde schließlich Parteivorsitzender der FDP und bekannt für seinen Satz "Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren", als die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition 2017 scheiterten.

Lieber also auf der Oppositionsbank sitzen - und von dort schaute er sich in den folgenden Jahren die Streitereien in der Großen Koalition an. Hätte er es besser gemacht, besser als der damalige Finanzminister Olaf Scholz? Er wollte es jedenfalls und legte sich schon früh fest, dass er gerne Finanzminister Deutschlands werden möchte.

Der Beginn der Schattenhaushalte

Als es dann aber soweit war und er von Scholz das Amt im Dezember 2021 übernahm, kam für ihn der Dämpfer. Denn schon nach wenigen Tagen als frisch ernannter Finanzminister musste Lindner für ihn Schmerzhaftes verkünden: Er musste große Schulden machen. Im Bundeshaushalt 2021 sollten kurz vor Jahresende 60 Milliarden Euro Kredite umgeschichtet werden in den Klima- und Transformationsfonds. Milliarden, die als Kredite für die Corona-Zeit bereits genehmigt worden waren, aber in dem Jahr nicht mehr gebraucht wurden. Finanzieller Spielraum sollte es sein für die Pläne der Ampelregierung und deren Vorhaben.

Noch ging es, die Schuldenbremse war ausgesetzt. Er übernahm damit eine Erblast des ehemaligen Finanzministers Scholz und verkündete es, obwohl dieses Schuldenmachen oder "Umschichten" gegen die FDP-Linie geht. Doch Lindner - rhetorisch geschickt - sprach von einem "Booster für die Volkswirtschaft", von Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. Doch damit fingen sie an, die Sondertöpfe, "Schattenhaushalte" - die Namen für die zahlreichen Umschichtungen und Kredite sind vielfältig.

Schuldenbremse oder "Schuldenminister"?

Auch wenn Lindner auf der einen Seite als Verfechter der Schuldenbremse gilt, der schwarzen Null, geben ihn Kritiker auf der anderen Seite auch Namen wie "Schuldenminister". 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, 200 Milliarden für den so genannten "Doppel-Wumms", also die Gas- und Strompreisbremse, das alles läuft neben dem regulären Haushalt und sind Kredite. Für das alles steht nun Finanzminister Lindner.

Mehrmals kritisierte der Bundesrechnungshof ihn schon scharf deswegen. Das Parlament, aber auch die Öffentlichkeit drohe, den Überblick und damit auch die Kontrolle über den Haushalt zu verlieren. Auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier kritisierte im Frühjahr Lindners Haushaltspolitik. "Man kriegt immer weniger einen Eindruck, was wirklich passiert im Haushalt, wenn man sich den anschaut, was tatsächlich die Ausgaben und die Verschuldung sind. Das ist nicht zu begrüßen", sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio. Das führe zu Unsicherheit.

Harte Haushaltsverhandlungen

Auch wenn es mit dem Krieg in der Ukraine, den hohen Energiepreisen und den zahlreichen Entlastungspaketen Gründe gab, warum viele Sondervermögen gebildet werden mussten - in der öffentlichen Debatte war es für den Finanzminister schwer vermittelbar und die Unsicherheit wuchs immer weiter.

Er bereue es, dass er so viele Schulden machen musste, sagte Lindner zähneknirschend als Bilanz nach einem Jahr in der Ampelkoalition dem ARD-Hauptstadtstudio. "Aber die Krisen, der Energiekrieg haben mich dazu gezwungen. Wir müssen schließlich ja unsere wirtschaftliche Substanz erhalten, dürfen nicht das verlieren, was sich Menschen über Jahrzehnte aufgebaut haben", sagte er im Dezember 2022.

Langer Haushaltsstreit mit "Platzhalter-Summen"

Dass er auf der einen Seite Milliardensummen verkündete, beim Bundeshaushalt aber zum Sparen aufrufen musste, zeitweise auch Spar-Briefe an die Kabinettsmitglieder verschickte, sorgte aber auch in der Koalition für Unmut. Das Vorlegen der Eckpunkte für den Haushalt musste er mehrmals verschieben, die ganzen Verhandlungen über den Bundeshaushalt waren eine lange Hängepartie.

Der Kanzler musste sich zeitweise einschalten, bis am Ende ein Haushaltsentwurf vorlag - mit "Platzhalter-Summen" zur Kindergrundsicherung. Und auch über diesen Platzhalter wurde wochenlang zwischen dem liberalen Finanzminister und der grünen Familienministerin Lisa Paus gestritten. Am Ende steht nun eine Zahl, die mehr Lindners Vorstellung entspricht. Ob Kinderarmut damit wirksam bekämpft werden kann, wird aber noch weiterdiskutiert.

Der Sparkurs soll gehalten werden

So mancher Koalitionspartner hat schon lange die Geduld mit Lindner und seinem Sparkurs verloren. So forderte SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden auch für Bildung. Das sei schließlich auch wichtig für zukünftige Generationen.

Solche Forderungen sorgen bei Finanzminister Lindner mittlerweile nur noch für ein müdes Lächeln. Er kommt von seinem Sparkurs nicht mehr runter. Das will er auch nicht und hält dabei etwa mit dem Beharren auf der Schuldenbremse stets als FDP-Chef die Grundsätze der Finanzpolitik seiner Partei hoch - mit einem Verbündeten an seiner Seite: seinem Vorgänger im Finanzministerium, Kanzler Scholz.