Thomas Kutschaty
Porträt

Thomas Kutschaty Der Machtkämpfer

Stand: 12.05.2022 09:23 Uhr

Als Justizminister blieb er blass, inzwischen ist er aber im Angriffsmodus. Thomas Kutschaty hat sich zum Machtkämpfer entwickelt - nun will er die NRW-SPD zurück an die Macht führen.

"Kutschaty? Kenne ich nicht." Noch Anfang des vergangenen Jahres antwortete fast die Hälfte der Befragten in Nordrhein-Westfalen mit einem Achselzucken auf die Frage, ob Thomas Kutschaty ein guter Spitzenkandidat für die Landtagswahl wäre. Seitdem hat der Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag einiges dafür getan, seine Bekanntheit im Land zu steigern - und dabei auch eine bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit an den Tag gelegt. Sogar mit Olaf Scholz lässt er sich auf Wahlplakaten ablichten. Seit' an Seit', als passe kein Blatt zwischen die beiden. Vor allzu langer Zeit wäre das undenkbar gewesen.

Seit vier Jahren ist Kutschaty als SPD-Fraktionsvorsitzender auch Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag. Damit teilt er das Schicksal vieler seiner Kollegen: Die jeweiligen Regierungschefinnen und-chefs haben es in puncto Bekanntheit immer leichter als die Oppositionsführer. Und wenn der NRW-Regierungschef dann auch noch das Glück hat, die große Bühne der Ministerpräsidentenkonferenz bespielen zu dürfen, hat es ein Oppositionsführer neben ihm doppelt schwer. Ihm bleibt nur die kleinere Bühne des Landtags.

Angriff statt Selbstverteidigung

Doch die weiß Kutschaty durchaus zu nutzen. Übte er sich in seiner Zeit als NRW-Justizminister noch in eher braver Selbstverteidigung, hat er inzwischen deutlich in den Angriffsmodus geschaltet. Ministerpräsident Hendrik Wüst attestierte er jüngst, er sei nur der "Abwickler" der Regierung Laschet und kein Erneuerer. "Wir hatten alle Chancen. Sie haben keine davon genutzt", warf er ihm vor.

Mit seinen Attacken auf die Landesregierung versprüht Kutschaty dabei bisweilen den Charme eines rauflustigen Terriers. Den früheren Ministerpräsidenten Laschet nannte er schon einmal einen "Leichtfuß", Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gar "rotzig und arrogant". Der politische Gegner reagierte jeweils wie erhofft, sprach etwa von einem "ungehobelten Vorwurf ", Kutschaty solle sich entschuldigen - was übersetzt bedeutet: Als Oppositionsführer, der Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, hat er alles richtig gemacht.

Kind des Ruhrgebiets

Kutschaty ist ein Kind des Ruhrpotts. 1968 wurde er in Essen in einer Eisenbahnerfamilie geboren. Er wuchs in einer Sozialwohnung mit Kohleofen in Essen-Borbeck auf, einem ziemlich unglamourösen Stadtteil im Nordwesten der Stadt. Bis heute ist er hier verwurzelt. Er lebte gleich nebenan in Schönebeck, wo es alte Zechensiedlungen gibt und engagierte sich im Vorstand der dortigen Bergbaukolonie. Sein Vater nahm ihn früh mit zu Kundgebungen der SPD. Der politische Weg schien damit vorgezeichnet.

Schulisch aber ging er ganz eigene Wege. Er wurde der erste Kutschaty, der seine Schullaufbahn mit dem Abitur beendete. Danach blieb er dem Ruhrgebiet treu, studierte Jura an der Ruhr-Universität in Bochum. Als zugelassener Rechtsanwalt eröffnete er 1998 die Anwaltskanzlei "Kutschaty & Asch" - natürlich in Essen. Doch die Arbeit als Anwalt reichte Kutschaty nicht. Schnell merkte er: "Irgendwann hilft die Anwendung von Recht nicht mehr, sondern ich muss das Recht, das Gesetz verändern, um etwas anpacken zu können."

Der blasse Justizminister

2010 bekam er erstmals Gelegenheit dazu. Hannelore Kraft machte ihn in ihrer rot-grünen Minderheitsregierung zum Justizminister. Doch in seinen insgesamt sieben Minister-Jahren blieb Kutschaty eher blass. In Erinnerung blieb vielmehr der desolate Zustand vieler Gefängnisse in NRW. 2012 konnte ein Schwerkrimineller aus der JVA Bochum fliehen, indem er ein marodes Oberlicht aushebelte. Kutschaty musste daraufhin im Landtag Baupfusch an zahlreichen Gefängnissen einräumen. Auch danach waren marode NRW-Gefängnisse immer wieder Thema.

Die Essener SPD, deren Vorsitz er 2016 übernahm, befand sich kaum in besserem Zustand. Erst wehrten sich SPD-Ortsvereine im Essener Norden gegen die nach ihrer Ansicht ungerechte Verteilung von Flüchtlingen in der Stadt. Die SPD-Spitze konnte gerade noch ihren Protestmarsch verhindern. Dann trat auch noch SPD-Ratsherr Guido Reil nach 26 Jahren aus der SPD aus - und in die AfD ein. Ausgerechnet ein ehemaliger Bergmann wechselte in der einstigen SPD-Hochburg Essen das Lager. Aus Frust, sagte Reil. Weil er sich übergangen fühlte, sagten die Sozialdemokraten.

Kutschaty sei als Vorsitzender konfliktscheu, hieß es zu dieser Zeit in der Essener SPD - die allerdings als zerstrittener Trümmerhaufen galt. Unter seiner Führung kam sie nicht aus den Schlagzeilen. 2016 musste die Essener Bundestagsabgeordnete Petra Hinz einräumen, ihren Lebenslauf gefälscht zu haben. Hinz hatte unter anderem vorgegeben, Juristin zu sein. Dabei hatte sie nicht einmal das Abitur. Dass dies dem Juristen Kutschaty in jahrelanger, enger Zusammenarbeit mit Hinz nicht aufgefallen sein soll, konnten viele kaum glauben.

Die Landtagswahl 2017 wurde zum Debakel für die SPD. Kutschaty zog zwar als direkt gewählter Abgeordneter erneut in den Landtag ein, seine Partei erlitt aber in Essen sowie im ganzen Land herbe Verluste. Erstmals gelang der AfD der Einzug in den Landtag. In Kutschatys Wahlkreis landete die AfD mit 13,1 Prozent sogar auf dem dritten Platz.

Den notwendigen personellen Neuanfang verschob die NRW-SPD um ein Jahr. Die Zeit nutzte Kutschaty, um sich in der Bundes-SPD zu positionieren: für die Abschaffung von Hartz IV, für die Einführung einer Vermögenssteuer und vor allem: gegen die Neuauflage der Großen Koalition in Berlin. Auch in der NRW-SPD machte Kutschaty auf sich aufmerksam. Bei der Neubesetzung des Fraktionsvorsitzes konnte er sich knapp gegen den vom Partei-Establishment favorisierten Marc Herter durchsetzen, einen Ziehsohn des langjährigen Fraktionschefs Norbert Römer. Kutschaty wertete das als Zeichen gegen die "Hinterzimmer-Politik" der NRW-SPD und kündigte einen neuen Aufbruch an.

Doch als es wenig später um die Frage ging, wer neuer Parteivorsitzender in NRW werden soll, ließ Kutschaty die Gelegenheit verstreichen, auch dieses Amt zu übernehmen. Einziger Kandidat war der unbekannte Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann.

Kutschaty lernt Machtkampf

Doch die neue Doppelspitze aus Partei- und Fraktionsvorsitzendem harmonierte nicht. Hartmann wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Wer wissen wollte, was die NRW-SPD will, fragte lieber bei Fraktionschef Kutschaty nach. Schließlich kam es zum offenen Machtkampf zwischen Kutschaty und Hartmann, ein Kampf, den Hartmann nicht gewinnen konnte. Seine Unterstützer saßen weit weg in der Bundestagsfraktion in Berlin, während Kutschaty sich seine Basis in NRW gesichert hatte.

Hinzu kam das Debakel bei der Kommunalwahl im Herbst 2020, wodurch Landeschef Hartmann zusätzlich unter Druck geriet. Kutschaty profilierte sich derweil während der Corona-Pandemie mit Attacken gegen die Landesregierung.

Der einst blasse Ex-Justizminister entwickelte sich zum angriffslustigen Fraktionschef, der nun nach der ganzen Macht in der Partei griff. Kurz vor dem entscheidenden Parteitag im Frühjahr 2021 zog Hartmann entnervt und enttäuscht seine Kandidatur für den Landesvorsitz zurück - der Weg für Kutschaty war frei. Auf einem digitalen Parteitag wurde er mit 90,5 Prozent an die Parteispitze gewählt.

Erst gegen, dann für Scholz

Doch der neue Landesvorsitzende stand gleich vor neuen Herausforderungen. Denn ohne eine starke NRW-SPD war die anstehende Bundestagswahl im Herbst 2021 nicht zu gewinnen. Kutschaty musste seinen Landesverband aus dem Umfragetief führen und - was die Sache nicht einfacher macht - den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz unterstützen.

Denn als erklärter Gegner der Großen Koalition in Berlin hatte sich Kutschaty noch deutlich gegen GroKo-Vizekanzler Scholz ausgesprochen, als dieser sich an die Spitze der Bundes-SPD wählen lassen wollte. Doch Kutschaty wusste auch, dass die Mehrheit im Bund nur mit einer starken NRW-SPD erreicht werden konnte - Scholz hin oder her. Und seine neue Unterstützung für Scholz im Bundestagswahlkampf zahlte sich schließlich aus: Die SPD wurde in NRW mit 29,1 Prozent wieder stärkste Kraft. Im Bund lag sie knapp vor der CDU, Scholz wurde Bundeskanzler.

Scholz-Nähe birgt auch Risiken

Im NRW-Landtagswahlkampf revanchierte sich Scholz, indem er Kutschaty unterstützt. Der wiederum wirbt nun auch mit seinem direkten Draht nach Berlin. Die Botschaft, die beide transportieren, ist klar: Zwischen Scholz und Kutschaty passt kein Blatt.

Allerdings stecken in diesem engen Scholz-Kurs auch Risiken. Denn dass aus Berlin derzeit nicht nur Rückenwind kommt, hat vor einigen Tagen erst die SPD in Schleswig-Holstein schmerzlich zu spüren bekommen. Schadet oder hilft also der Kanzler dem Landtagswahlkampf? Kutschaty glaubt fest an letzteres: "Gerade für seinen besonnenen Kurs in der Ukraine-Krise hat der Kanzler auch viel Rückhalt in der Bevölkerung. Und das gibt auch Rückenwind für uns", betonte er noch wenige Tage vor der NRW-Wahl.

Kutschaty hat zudem aus dem Bundestagswahlkampf gelernt und setzt nun auch in NRW auf wenige Themen: Wohnen, klimagerechte Arbeitsplätze, Gesundheit - und Bildung. Denn auch Kutschaty weiß: Wahlen werden in NRW besonders mit Schulpolitik gewonnen. Oder verloren, wie zuletzt 2017.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 02. Mai 2022 um 18:40 Uhr.